Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO im Rahmen von Außenprüfungen
I. Allgemeines
Durch Art. 10 Nr. 8 des JStG 2009 ( BGBl 2008 I S. 2794) wurde § 146 AO um die Absätze 2a und 2b ergänzt.
Während den Unternehmern durch den § 146 Abs. 2a AO erstmalig die Möglichkeit eingeräumt wird, die elektronischen Bücher und die sonstigen elektronischen Aufzeichnungen unter den dort genannten Voraussetzungen im Ausland zu führen und aufzubewahren, werden in § 146 Abs. 2b AO die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes geregelt.
Ziel des Verzögerungsgeldes ist es u. a., den Steuerpflichtigen zu einer zeitnahen Mitwirkung im Rahmen einer Außenprüfung (Betriebsprüfung, Umsatzsteuer-Sonderprüfung, Lohnsteuer-Außenprüfung u. ä.) anzuhalten. Eine Festsetzung eines Verzögerungsgeldes im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Mitwirkungspflichten kann nur im Rahmen einer Außenprüfung vorgenommen werden.
II. Verzögerungsgeld bei unzureichender Mitwirkung im Rahmen einer Außenprüfung
Im Rahmen einer Außenprüfung ist die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes insbesondere möglich, wenn der Steuerpflichtige
den Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO nicht, nicht zeitnah oder nicht in vollem Umfang einräumt,
Auskünfte nicht, nicht zeitnah oder nicht vollständig erteilt,
angeforderte Unterlagen nicht, nicht zeitnah oder nicht vollständig vorlegt.
1. Mitwirkungspflichten
Die Finanzbehörden haben bei einer Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Form sie die Mitwirkung des Steuerpflichtigen in Anspruch nehmen.
Nach § 200 AO hat der Steuerpflichtige insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben und die Finanzbehörde bei der Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO zu unterstützen.
Kommt der Steuerpflichtige diesen Mitwirkungspflichten nicht, unvollständig oder verspätet nach, kann die Finanzverwaltung ein Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO festsetzen.
Der Steuerpflichtige muss zu einer bestimmten Mitwirkung nach § 200 Abs. 1 AO oder § 147 Abs. 6 AO vor Festsetzung eines Verzögerungsgeldes konkret und aus Beweisgründen möglichst schriftlich aufgefordert werden.
Ein Verzögerungsgeld kann für jede einzelne unzureichende Mitwirkung festgesetzt werden. Sofern verschiedene Mitwirkungshandlungen in einem Schriftstück zusammengefasst werden, sollte diese Aufstellung jede einzelne geforderte Mitwirkung und die dafür gesetzten Fristen erkennen lassen.
2. Besonderheiten bei den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen
Behauptet der Steuerpflichtige, er habe die vorzulegenden Unterlagen verloren, dann ist bei der Frage der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes zu berücksichtigen, dass niemand zu etwas Unmöglichem verpflichtet werden kann. Allerdings dürfte die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, die Unterlage sei verloren gegangen, nicht ausreichen. Vielmehr ist er in diesem Fall nachweispflichtig (z. B. Brand im Büro). Ob eine Ersatzbeschaffung möglich und zumutbar ist (z. B. Nacherstellung von Kontoauszügen durch die Bank), ist eine Frage des konkreten Einzelfalles (Hinweis auf § 90 Abs. 1 Satz 3 AO).
Bei der Frage der behaupteten Unmöglichkeit des Datenzugriffes sollte danach unterschieden werden, ob
das DV-System objektiv ein hard- und softwaremäßiges Upgrade erlaubt, das den Anforderungen des Datenzugriffs bzw. den GDPdU genügt (objektive Erfüllbarkeit),
überhaupt noch maschinell auswertbare Daten vorhanden sind oder diese bereits endgültig gelöscht wurden (objektive Unmöglichkeit).
Erste Möglichkeit
Soweit es nur um die Frage geht, ob es im Belieben des Steuerpflichtigen steht, die grundsätzlich mögliche technische Aktualisierung des DV-Systems zur Gewährleistung des Datenzugriffs in Auftrag zu geben bzw. umzusetzen, ist eine entsprechende Aufforderung und Fristsetzung aus „präventiven” Gründen zweckmäßig.
Unterlässt der Steuerpflichtige gleichwohl eine Anpassung des DV-Systems, ist eine Verzögerungsgeldfestsetzung grundsätzlich zulässig.
Zweite Möglichkeit
Liegen dagegen gar keine digital maschinell auswertbaren Daten mehr vor, ist der Fall mit dem Verlust der Papierbelege vergleichbar; hier wird etwas objektiv Unmögliches gefordert. Auch dann gibt es zwar die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung bzw. erneuten Verarbeitung der Papierbuchführung, die aber vor dem Hintergrund eines möglichen Ermessensmissbrauch (notwendig, verhältnismäßig, zumutbar) nicht besonders Erfolg versprechend bzw. verwaltungsökonomisch ist.
Diesbezüglich sollte dann ausnahmsweise eine Durchführung der Außenprüfung auf herkömmlichen Weg erfolgen.
3. Bemessung des Verzögerungsgeldes
Bei der Festsetzung des Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO hat die Finanzverwaltung bei Vorliegen der Voraussetzungen zum einen ein Ermessen, überhaupt ein Verzögerungsgeld festzusetzen (sog. Entschließungsermessen) und zum anderen, die Höhe zu bestimmen (sog. Auswahlermessen).
Der Mindestbetrag beträgt 2.500,– € für jede unzureichende Mitwirkung des Steuerpflichtigen. Für den Mindestbetrag wird keine Begründung des Auswahlermessens benötigt (vgl. , EFG 2010 S. 686; , bisher noch nicht veröffentlicht).
Da der „Einstiegsbetrag” relativ hoch ist (insbesondere, wenn geringfügige Verfehlungen vorliegen), kommt dem Entschließungsermessen eine sehr hohe Bedeutung zu.
Bei höheren Beträgen sind bei der Bemessung des Verzögerungsgeldes folgende Überlegungen von Bedeutung:
Dauer der Fristüberschreitung
Gründe der Pflichtverletzung
Verschulden des Steuerpflichtigen an der mangelnden Mitwirkung
Wiederholte Verzögerung bzw. Verweigerung
Ausmaß der Beeinträchtigung der Außenprüfung
Vorteile des Steuerpflichtigen aus seiner fehlenden oder verspäteten Mitwirkung
Unternehmensgröße und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen
Wiederholte Verzögerungsgeldfestsetzung
In Anlehnung an die Bemessung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 2 AO oder eines Steuerzuschlags nach § 162 Abs. 4 AO wird empfohlen, bei der erstmaligen Festsetzung des Verzögerungsgeldes einen Betrag in Höhe von 5 % bis zu 10 % der Steuer bezogen auf die jeweilige Mitwirkungspflicht anzusetzen. Wird das Recht auf Datenzugriff verweigert oder verzögert, kann die insgesamt festgesetzte Steuer als Bemessungsgrundlage herangezogen werden.
Der Steuerpflichtige legt Belege über Betriebsausgaben in Höhe von 100.000,– € trotz schriftlicher Aufforderung bis zum Ende des Fristablaufs nicht vor.
Berechnung des Verzögerungsgeldes:
100.000,– € × 30 % (durchschnittlicher Steuersatz) = 30.000,– € Bemessungsgrundlage
30.000,– € × 10 % = 3.000,– € Verzögerungsgeld
Der Steuerpflichtige gewährt bis zum Ende des Fristablaufs keinen berechtigten Datenzugriff. Die festgesetzte Steuer beträgt 10.000,– €.
Berechnung des Verzögerungsgeldes:
10.000,– € × 10 % = 1.000,– €
Festzusetzen ist der Mindestbetrag in Höhe von 2.500,– €.
4. Festsetzung eines Verzögerungsgeldes
Ein Verzögerungsgeld kann nur im Rahmen einer Außenprüfung nach Ablauf der von der Finanzbehörde gesetzten angemessenen Frist in Höhe von 2.500,– € bis zu einem Höchstbetrag von 250.000,– € festgesetzt werden. Sofern der Steuerpflichtige eine plausible Begründung vortragen kann, sollte eine Fristverlängerung gewährt werden.
Die Festsetzung erfolgt durch die Prüferin/den Prüfer und muss von der jeweils zuständigen Außendienst-Sachgebietsleiterin/vom jeweiligen zuständigen Außendienst-Sachgebietsleiter unterzeichnet werden.
Beim Verzögerungsgeld handelt es sich um eine steuerliche Nebenleistung nach § 3 Abs. 4 AO, die mit einem Verwaltungsakt festzusetzen ist und gesondert mit einem Einspruch gemäß § 347 AO angefochten werden kann.
Wird gegen die Festsetzung Einspruch eingelegt, ist dieser der Prüferin/dem Prüfer, die/der die Festsetzung des Zuschlags vorgenommen hat, zur Stellungnahme zuzuleiten.
Es bedarf keiner Androhung des Verzögerungsgeldes; der Steuerpflichtige sollte aber auf die Möglichkeit der Festsetzung hingewiesen werden. Da das Mitwirkungsverlangen inhaltlich hinreichend bestimmt sein muss, sollte die Aufforderung zur Mitwirkung aus Beweissicherungsgründen schriftlich erfolgen. Dabei sollte deutlich werden, dass für jedes einzelne Mitwirkungsverlangen (z. B. je einzelner verlangter Mitwirkungspflicht wie z. B. Bp-Anfrage, je angefordertem Beleg) ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden kann.
Die Fristsetzung für die Vorlage der Unterlagen oder der Erteilung der Auskunft bzw. der Einräumung des Datenzugriffs richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (siehe hierzu Frage 13 des Fragen und Antwortenkatalogs zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AOvom – nachfolgend Abschnitt III).
Für den Hinweis auf das Verzögerungsgeld und die Festsetzung des Verzögerungsgeldes werden entsprechende Vordrucke beim nächsten Update in Bp-Office eingestellt. Die Lohnsteueraußenprüfung und Umsatzsteuersonderprüfung finden diese Vordrucke künftig im Dokumentenmanager unter OFD und Finanzamt.
Die Entscheidungsgründe für die Bemessung des Verzögerungsgeldes sollten bereits im Festsetzungsbescheid über das Verzögerungsgeld, spätestens aber in einer Rechtsbehelfsentscheidung aufgeführt werden.
Wird innerhalb der festgesetzten Frist nach Auffassung des Steuerpflichtigen dem Mitwirkungsverlangen nachgekommen, dadurch aber der mit dem Mitwirkungsverlangen verfolgte Zweck (vollständige und richtige Feststellung von Besteuerungsgrundlagen) nicht erreicht, kann ebenfalls eine Festsetzung des Verzögerungsgeldes erfolgen, da die angeordnete Mitwirkungshandlung nicht (vollständig) erfüllt wurde (Beispiel: Prüfer verlangt Buchführungsdaten auf Datenträger und bekommt stattdessen CD, die lediglich Drucklisten enthält).
Das festgesetzte Verzögerungsgeld bleibt weiterhin bestehen, auch wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach Fristablauf nachkommt (vgl. , EFG 2010 S. 686).
5. Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach Einleitung eines Strafverfahrens
Nach Einleitung eines Strafverfahrens ist der Steuerpflichtige auch weiterhin zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren verpflichtet. Seine Mitwirkung darf jedoch nicht mehr durch Zwangsmittel im Sinne des § 328 AO durchgesetzt werden (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO).
Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach der Einleitung eines Strafverfahrens ist demnach gesetzlich nicht untersagt.
Hier ist jedoch zu berücksichtigen:
Sofern der Steuerpflichtige sich aufgrund der verlangten Mitwirkung selbst belasten würde, ist von der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes gegen ihn abzusehen.
Andernfalls würde durch die Anwendung des § 146 Abs. 2b AOdie Vorschrift des § 393 Abs. 1 AO umgangen werden.
6. Zeitpunkt der Festsetzung
Das Verzögerungsgeld sollte zeitnah nach Ablauf der Frist, kann aber auch erst im Rahmen der Berichtserstellung festgesetzt werden.
7. Sollstellung des Verzögerungsgeldes
Das Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO ist von der festsetzenden Dienststelle zum Soll zu stellen [1].
Die Buchung erfolgt im Programm 500 (Evita Universal):
Abgabeart: 1010
Zeitraum: 6-stellig (TTMMJJ = Datum des erstmaligen Festsetzungsbescheides)
Fälligkeit: 0 [2]
Buchungstext: 13 (erstmalige Festsetzung); 14 (geänderte Festsetzung)
Betrag: festgesetzter Zuschlag
Nach Verarbeitung ist der Bescheid über die Festsetzung des Zuschlags zusammen mit der maschinell erstellten Abrechnung zu versenden.
Die zum Soll gestellten Zuschläge werden im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Mahn- und Einzugsermächtigungsverfahren berücksichtigt.
Eine Verzinsung (Vollverzinsung, Stundungszinsen usw.) und die Berechnung von Säumniszuschlägen kommen für die Abgabeart 1010 nicht in Betracht, da es sich bei dem Zuschlag nach § 146 Abs. 2b AO um eine steuerliche Nebenleistung gemäß § 3 Abs. 4 AO handelt.
Die Fälligkeit verändernde Maßnahmen wie Stundung, Aussetzung der Vollziehung etc. sind möglich.
III. Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO
Das BMF hat am einen Katalog von Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO auf den Internetseiten des BMF veröffentlicht (NWB DokID: TAAAD-83693).
Die Übersicht enthält Fragen, zu denen die Finanzverwaltung bislang Stellung genommen hat. Bei diesem Fragen- und Antwortenkatalog handelt es sich um eine Orientierungshilfe für die Anwendung des Verzögerungsgeldes. Eine Bindungswirkung geht davon nicht aus. Der Fragen- und Antwortenkatalog wird nach Bedarf aktualisiert. Dieser wird auch künftig in der Bp-Onlinehilfe enthalten sein.
IV. Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO und Steuerzuschlag nach § 162 Abs. 4 AO
Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz vom hat der Gesetzgeber in § 90 Abs. 3 AO erweiterte Dokumentationspflichten für Auslandssachverhalte vorgeschrieben. Verstöße gegen diese Dokumentationspflichten können durch einen Zuschlag (steuerliche Nebenleistung) gemäß § 162 Abs. 4 AO sanktioniert werden. Weitere Erläuterungen zu diesem Zuschlag ergeben sich aus der AO-Kartei (Karte 1 zu § 162 AO).
Die Sanktionsmaßnahmen nach § 146 AO einerseits und § 162 Abs. 4 AO andererseits haben unterschiedliche Zielrichtungen und können ggf. auch nebeneinander festgesetzt werden. Während der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung und nur bei Verstößen gegen die o.g. Dokumentationspflichten festgesetzt werden kann, zielt das Verzögerungsgeld hingegen auf eine fristgerechte Erfüllung der steuerlichen Mitwirkungspflichtigen des Steuerpflichtigen während der Außenprüfung ab.
V. Abzugsfähigkeit des Verzögerungsgeldes
Das Verzögerungsgeld als steuerliche Nebenleistung i. S. d. § 3 Abs. 4 AO teilt in Bezug der Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe oder Werbungskosten das Schicksal der Hauptleistung (vgl. § 12 Nr. 3 EStG i. V. m. H 12.4 EStH 2009 und § 10 Nr. 2 KStG i. V. m. R 48 Abs. 2 KStR 2004).
Der Erlass wird der Steuerberaterkammer Schleswig-Holstein und dem Steuerberaterverband Schleswig-Holstein bekannt gegeben.
Finanzministerium Schleswig-Holstein v. - VI 328 - S 0316 - 032
Fundstelle(n):
PAAAE-01837