Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsfrist für eine mittellose Partei: Berufungseinlegung unter der Bedingung der Prozesskostenhilfegewährung; falsche Tatsachenbehauptung zu einem rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag verbunden mit einer Berufungseinlegung nach Prozesskostenhilfebewilligung in Ansehung eines späteren Telefonats mit dem Vorsitzenden des Berufungssenats beim Oberlandesgericht
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 S 1 ZPO, § 511 ZPO, § 517 ZPO
Instanzenzug: OLG Celle Az: 6 U 20/11 Beschlussvorgehend LG Verden Az: 8 O 228/10
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch. Das Landgericht hat seine auf Zahlung von 15.659,09 € nebst Zinsen gerichtete Klage mit Urteil vom , das zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden ist, abgewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom , der am beim Oberlandesgericht eingegangen ist, Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt und zugleich "unter der Bedingung gewährter PKH", wie der Prozessbevollmächtigte handschriftlich ergänzt hat, Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger durch Beschluss vom , der seinem Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden ist, in Höhe von 6.629,39 € nebst Zinsen Prozesskostenhilfe bewilligt und den weitergehenden Bewilligungsantrag zurückgewiesen.
2Am hat der Prozessbevollmächtigte beim Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts fernmündlich angefragt, wann mit einer Terminierung zu rechnen sei. Dieser hat erklärt, mit einer solchen sei nicht zu rechnen, weil keine Berufung eingelegt sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat erwidert, er habe doch Berufung unter der eingetretenen Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits eingelegt. Der Vorsitzende hat entgegnet, eine solche Berufung sei unwirksam.
3Mit einem am eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Berufung eingelegt, sich zu deren Begründung auf den Schriftsatz vom bezogen, Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist und Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zur Einlegung der Berufung beantragt. Zugleich hat er einen Schriftsatz vom vorgelegt, in dem nach gewährter Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist beantragt und Berufung eingelegt wird. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte anwaltlich versichert, er habe diesen Schriftsatz am mittags in den Briefkasten auf der L. Straße in N. eingeworfen, der zweimal täglich geleert werde.
4Das Oberlandesgericht hat die Berufung wegen Versäumung der Einlegungsfrist als unzulässig verworfen und den Antrag, dem Kläger Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit dem Schriftsatz vom sei keine wirksame Berufung eingelegt worden, weil das Rechtsmittel unzulässigerweise mit der Bedingung verknüpft worden sei, dass dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt werde. Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist könne dem Kläger nicht erteilt werden. Es gereiche seinem Prozessbevollmächtigten zum Verschulden, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, dass er nicht innerhalb der mit Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beginnenden Frist von 14 Tagen Wiedereinsetzung beantragt und Berufung eingelegt, sondern gemeint habe, er habe bereits am wirksam Berufung eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe auch nicht am eine Berufungsschrift in den Briefkasten eingeworfen. Seine diesbezügliche Versicherung sei falsch, da er bei seinem Verständnis der Dinge bis zum Telefongespräch mit dem Senatsvorsitzenden keinen Anlass gehabt habe, Berufung einzulegen. Mit näherer Begründung hat das Oberlandesgericht weiter die Auffassung vertreten, der Kläger habe die Berufung auch nicht fristgerecht begründet und sein Schriftsatz vom lasse sich nicht in einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist umdeuten.
5Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
6Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. In ihrer Hauptbegründung hält die angefochtene Entscheidung der rechtlichen Überprüfung stand.
71. Zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass nicht bereits mit dem Schriftsatz vom wirksam Berufung eingelegt worden ist. Denn die Berufungseinlegung ist in diesem Schriftsatz ausdrücklich unter die Bedingung der Bewilligung gewährter Prozesskostenhilfe gestellt worden. Das ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht zulässig (vgl. nur , NJW 1999, 2823). Infolge der handschriftlich eingefügten Klarstellung des Prozessbevollmächtigten kam es daher nicht in Betracht, in der Einreichung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugleich die Einlegung einer unbedingten Berufung zu sehen (vgl. , MDR 2006, 43, 44). Auch die Beschwerde erhebt insoweit keine Rügen.
82. a) Liegt das Hindernis für die Einlegung der Berufung in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt dieses mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. , BGHZ 173, 14 Rn. 10), hier am . Der Kläger musste daher innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, also bis zum , Wiedereinsetzung beantragen und die versäumte Berufungseinlegung nachholen.
9Innerhalb dieser Frist lag ein entsprechender Schriftsatz des Klägers bei Gericht nicht vor. Hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, wie die Beschwerde geltend macht, den Schriftsatz vom an diesem Tag zur Post gegeben, dann erhielt der Kläger von dem Nichteingang dieses Schriftsatzes bei Gericht Kenntnis durch seine Anfrage vom nach einer Terminierung der Sache. Dem Berufungsgericht ist daher - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - darin zuzustimmen, dass ein wegen der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zulässiger Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von 14 Tagen seit dieser Kenntniserlangung zu stellen war und bei Eingang des Schriftsatzes vom noch nicht verfristet war.
10b) Das Berufungsgericht misst diesem Wiedereinsetzungsantrag jedoch keine Bedeutung bei, weil es die Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, er habe den Schriftsatz vom zur Post gegeben, für "falsch" hält. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
11Nach dem Telefongespräch, das der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Hinblick auf dessen Terminierungsanfrage führte, machte der Senatsvorsitzende deutlich, dass mangels einer Berufungseinlegung eine Terminierung nicht veranlasst sei. Hierauf wandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht etwa ein, er habe erst vor kurzem, nämlich am , unter Beantragung von Wiedereinsetzung Berufung eingelegt, sondern er bezog sich insoweit auf seinen Schriftsatz vom , dem er offensichtlich eine entsprechende Wirkung beimaß. Dass sich das Telefongespräch nur um diese Frage drehte, verdeutlicht - abgesehen von dem Umstand, dass die Rechtsbeschwerde insoweit gegen die tatsächlichen Feststellungen keine Rügen erhoben hat - auch die "Gegendarstellung" des Klägers vom gegen die angefochtene Entscheidung, in der dessen Prozessbevollmächtigter auf seine Anträge in den beiden Parallelverfahren 6 U 145/10 und 6 U 146/10 hinwies, in denen er ebenfalls Berufung unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt hatte und in denen das Verfahren dadurch seine Erledigung fand, dass das Berufungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht mit Beschlüssen vom ablehnte.
12Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen im Ergebnis davon ausgeht, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe seinen Schriftsatz vom nicht an diesem Tage abgeschickt, ist dies eine tatrichterliche Würdigung, die ihm nicht verschlossen ist und rechtlich nicht zu beanstanden ist. Zwar genügt es zur Glaubhaftmachung einer Tatsache regelmäßig, wenn ein Prozessbevollmächtigter deren Richtigkeit unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert (vgl. , NJOZ 2011, 1809 Rn. 11). Von dem als richtig versicherten Vortrag darf ausgegangen werden, solange nicht konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend zu erachten (vgl. IVb ZR 109/87, FamRZ 1989, 373, 374). Es ist nachvollziehbar, dass der Inhalt und der Verlauf des Telefongesprächs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe auf der Grundlage seiner von Rechtsfehlern beeinflussten Auffassung, bereits mit seinem Schriftsatz vom wirksam Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt zu haben, keinen Anlass gehabt, mit Schriftsatz vom die versäumte Prozesshandlung nachzuholen und Wiedereinsetzung zu beantragen. Die Beschwerde macht zwar geltend, es liege auf der Hand, dass ein Rechtsanwalt verunsichert sei, wenn ihm am Telefon erklärt werde, eine Rechtsmittelschrift liege nicht vor. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an den Zugang zur Rechtsmittelinstanz zu stellen seien, würden durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Interpretation des Telefongesprächs überspannt. Das überzeugt jedoch nicht. Das Telefongespräch fand auf Initiative des Prozessbevollmächtigten des Klägers statt, so dass er nicht unvermittelt vor eine für ihn nicht zu übersehende Situation gestellt war. Es wäre zwar aus Sicht des Senats geboten gewesen, den Parteien die vom Senatsvorsitzenden am gefertigten Vermerke über das Telefongespräch vom vor der Entscheidung zur Kenntnis zu geben und darauf hinzuweisen, dass es die anwaltliche Versicherung vom für falsch halte. Der Gegendarstellung des Klägers vom sind jedoch ebenfalls keine nachvollziehbaren Gründe zu entnehmen, weshalb der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz seiner Auffassung, bereits wirksam Berufung eingelegt zu haben, dies am noch einmal getan haben will. Soweit er sein Verhalten damit erklärt, er sei mit Rücksicht auf eine Entscheidung des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom (MDR 2003, 470 f) so vorgegangen, ist dies nicht nachvollziehbar. Diese Entscheidung, die entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschlüsse vom - IV ZB 9/00, NJW-RR 2001, 570; vom - XII ZB 193/00, NJW-RR 2001, 1146, 1147) für das Prozesskostenhilfegesuch einer anwaltlich vertretenen Partei eine Begründung verlangt, mag zwar den mit einer Begründung versehenen Prozesskostenhilfeantrag vom beeinflusst haben, verhielt sich aber zur hier in Rede stehenden prozessualen Situation nicht.
13c) Sieht man die Absendung des Schriftsatzes vom nicht als glaubhaft gemacht an, ist der Antrag, dem Kläger wegen der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren, unbegründet, da die Säumnis auf einem dem Kläger zurechenbaren Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht.
143. Mit Rücksicht hierauf kommt es auf die weiteren vom Berufungsgericht angesprochenen Fragen zur Begründung des Rechtsmittels nicht an. Insoweit weist der Senat lediglich darauf hin, dass er keine Bedenken sieht, wenn der Prozessbevollmächtigte - unter Beachtung der Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO - zur Begründung seines Rechtsmittels auf eine von ihm gefertigte Begründung eines Prozesskostenhilfeantrags Bezug nimmt, und dass in Fällen, in denen dem Berufungskläger nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt wird, die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung beginnt (vgl. , BGHZ 173, 14).
Schlick Dörr Wöstmann
Seiters Tombrink
Fundstelle(n):
TAAAD-98766