BFH Beschluss v. - II B 38/11

Keine Wiedereinsetzung bei Mitverursachung für das Versäumen der Frist durch den Prozessbevollmächtigten

Gesetze: FGO § 116 Abs. 2, FGO § 56 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 2, ZPO § 85

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.

2 a) Die Monatsfrist nach § 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Einlegung der Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) für das am zugestellte Urteil des Finanzgerichts endete am (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 der ZivilprozessordnungZPO—, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die erst am beim BFH eingegangene Beschwerde der Klägerin war mithin verspätet.

3 b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist kann nicht gewährt werden.

4 aa) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei muss er sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

5 Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 FGO). Erforderlich ist eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (BFH-Beschlüsse vom X R 95/93, BFH/NV 1997, 40; vom I B 70/06, BFH/NV 2007, 929, jeweils m.w.N.). Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (, BFH/NV 2000, 1108, m.w.N.).

6 bb) Die Klägerin hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sie bzw. ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten.

7 Der Hinweis auf das Versäumnis der Kanzleikraft reicht nicht aus. Es ist in der Rechtsprechung zwar anerkannt, dass ein Rechtsanwalt das Versehen bzw. die Versäumnis einer zuverlässigen Kanzleiangestellten, die er durch eine konkrete Einzelanweisung etwa mit der Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraut, nicht als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn diese über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden ist. Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine konkrete Einzelanweisung von seinem sonst zuverlässigen Personal auch befolgt wird, ist er ohne besonderen Anlass nicht zu auf die Einzelweisung bezogenen Überwachungsmaßnahmen verpflichtet (, BFH/NV 2010, 457, m.w.N.). Die das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ausschließende Wirkung kommt einer konkreten Einzelanweisung jedoch dann nicht zu, wenn neben dem Umstand, dass eine Angestellte schuldhaft eine Einzelanweisung nicht befolgt und dadurch eine Frist versäumt wird, ein bestimmtes, den speziellen Fall betreffendes schuldhaftes Verhalten des Prozessbevollmächtigten hinzu tritt, das für das Versäumen der Frist mitursächlich sein kann (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2004, 1214).

8 Der Vortrag der Klägerin, ihr Prozessbevollmächtigter habe am , nachdem er die Nichtzulassungsbeschwerde unterschrieben habe, seine Büroangestellte angewiesen, die Beschwerde sofort, ohne weiteres Zögern und ohne zuvor andere Dinge zu tun, an den BFH per Telefax zu übermitteln und ihm hierzu den Faxsendebericht vorzulegen, ist nicht geeignet, ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten auszuschließen. Denn hieraus ergibt sich nicht, ob die von ihm mit der Absendung der Nichtzulassungsbeschwerde betraute Büroangestellte über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden war.

9 Ferner ist nach dem weiteren Vortrag der Klägerin ein zusätzliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht auszuschließen.

10 Die Klägerin trägt nämlich vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe am gegen 16:30 Uhr die Kanzlei verlassen müssen, um einen auswärtigen Termin wahrzunehmen. Vor Verlassen der Kanzlei habe die Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten auf dessen Nachfrage eingeräumt, die Beschwerde noch nicht gefaxt zu haben. Ihr Prozessbevollmächtigter habe seine Büroangestellte erneut aufgefordert, dies sofort nachzuholen. Da dieser die Kanzlei aber sofort habe verlassen müssen, habe er die Büroangestellte angewiesen, ihm telefonisch hierüber Mitteilung zu machen. Nachdem dieser Anruf ausgeblieben sei, habe ihr Prozessbevollmächtigter erfolglos versucht seine Büroangestellte nach Büroschluss um 17:00 Uhr auf dem privaten Mobiltelefon zu erreichen. Erst um 22:18 Uhr habe die Büroangestellte ihn angerufen und mitgeteilt, dass sie es versäumt habe, das Fax zu versenden. Da sich ihr Prozessbevollmächtigter zu diesem Zeitpunkt bereits weit mehr als zwei Stunden Autofahrt von der Kanzlei entfernt in X befunden habe, wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, in die Kanzlei zu fahren, um die Versendung nachzuholen.

11 Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, wieso es dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin unmöglich war, seine Büroangestellte um 22:18 Uhr anzuweisen, in die Kanzlei zurückzukehren und die Nichtzulassungsbeschwerde per Telefax zu versenden. Unklar bleibt auch, weshalb der Prozessbevollmächtigte nicht selbst von einer geeigneten Stelle in X in der Zeit von 22:18 Uhr bis 24:00 Uhr die Nichtzulassungsbeschwerde per Telefax versandt hat. Ebenso wenig hat die Klägerin dargelegt, warum ihr Prozessbevollmächtigter, nachdem dieser seine Büroangestellte telefonisch nicht erreicht hatte, keinen Anlass sehen musste bzw. daran gehindert war, zu seiner Kanzlei so rechtzeitig zurückzukehren, dass die Beschwerde fristgerecht gefaxt werden konnte. Aus dem Vorbringen, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich um 22:18 Uhr in X befunden, folgt nicht, wieso es diesem zwischen Büroschluss um 17:00 Uhr und dem Anruf seiner Büroangestellten um 22:18 Uhr unmöglich war, zu seiner Kanzlei zurückzukehren.

12 Schließlich hat die Klägerin die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen sollen, auch nicht glaubhaft gemacht. Die dafür erforderliche eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten hat die Klägerin trotz gerichtlichen Hinweises nicht vorgelegt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 250 Nr. 2
XAAAD-98367