BGH Beschluss v. - XI ZB 23/08

Leitsatz

Leitsatz:

Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, aber nicht anordnet, dass die Eingaben in diesen Kalender jeweils durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über einen Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls kontrolliert werden.

Gesetze: ZPO § 233 Fd

Instanzenzug: LG Frankfurt am Main, 2-19 O 82/06 vom OLG Frankfurt am Main, 9 U 50/08 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; BGHR: ja; Nachschlagewerk: ja

Gründe

Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem fehlgeschlagenen Anlagegeschäft geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt. Gegen die Entscheidung haben diese mit Schriftsatz vom , bei Gericht am selben Tag eingegangen, Berufung eingelegt. Durch Schreiben vom , zugestellt am , hat das Berufungsgericht die Klägervertreter auf das Fehlen einer Berufungsbegründung aufmerksam gemacht. Da der Hinweis zunächst ohne Antwort geblieben ist, hat es die Berufung durch Beschluss vom als unzulässig zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom hat die die vorliegende Sache bearbeitende Rechtsanwältin die Berufung begründet und zugleich die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Der Kläger hat unter anderem vorgetragen: Seine Anwältin habe ihre persönliche Sekretärin per Diktat angewiesen, die nach dem Computerprogramm notwendige separate Eintragung der Frist für die Berufungsbegründung in den elektronischen Kalender vorzunehmen. Dabei sei das zunächst richtig eingetragene Zustellungsdatum des landgerichtlichen Urteils gelöscht und infolge eines Tippfehlers falsch (Monat "06" statt "05") neu eingegeben worden. Der Computer habe daher irrtümlich den 2. August (einen Samstag) bzw. den (einen Montag) als Tag des Fristablaufs für die Einreichung der Berufungsbegründungsschrift errechnet und gespeichert.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Fristversäumnis beruhe auf einem dem Kläger zurechenbaren Organisations- bzw. Überwachungsverschulden seiner zweitinstanzlichen Rechtsanwälte. Es überrasche, dass bei einer modernen Software das Zustellungsdatum des angefochtenen Urteils gleich zweimal in den EDV-Fristenkalender eingetragen werden müsse und eine Warnmeldung unterbleibe, wenn das richtig eingegebene Datum falsch überschrieben werde. Falls dies wirklich der Fall sein sollte, hätten die Klägervertreter durch besondere Anweisung an ihr Personal sicherstellen müssen, dass ein Bedienungsfehler nicht vorkomme. Da das Fehlerrisiko bei der Eingabe von Datumsangaben über eine Tastatur naturgemäß wesentlich höher sei als bei einem handschriftlich geführten Fristenkalender, wäre es unter den vorliegenden Umständen erforderlich gewesen, eine zweite Person mit der Überprüfung der Eintragung zu betrauen. Es komme daher nicht darauf an, ob die Verwendung einer Computersoftware anwaltlicher Sorgfalt genüge, bei der das Personal die Fristen für die Berufung und Berufungsbegründung nicht gleichzeitig, sondern gesondert in den EDV-Kalender eintrage und damit die Fehleranfälligkeit erheblich erhöhe. Das gelte auch für die Frage, ob die Fristversäumnis durch Eintragung der Rechtsmittelfristen in die Handakte der die Berufung des Klägers bearbeitenden Rechtsanwältin vermieden worden wäre.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; 159, 135, 137), sind nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich.

1. Allerdings ist der Rechtsbeschwerde darin zuzustimmen, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofes erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht einer Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; BGHZ 159, 135, 139 f.).

2. Ein Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht des Klägers liegt jedoch nicht vor.

a) Zwar hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers bereits zwei Wochen nach Zustellung des schriftlichen Hinweises vom auf die fehlende Berufungsbegründung zurückgewiesen, obwohl die kenntnisabhängige Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Dies ist aber entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unschädlich, weil das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen hat. Es hat daher den Verfahrensfehler korrigiert, so dass der Kläger keinen Rechtsnachteil erlitten hat.

b) Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem schuldhaften Fehlverhalten seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht.

aa) Der Anwalt hat grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (siehe etwa , BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 22 m.w.N.). Nach diesen strengen Maßstäben ist bereits zweifelhaft, ob ein gewissenhafter Anwalt eine Computersoftware verwenden darf, bei der die Fristen für die Berufung und Berufungsbegründung nicht gleichzeitig, sondern separat einzutragen sind und eine Fehlermeldung unterbleibt, wenn das Personal zunächst ein richtiges, dann aber ein falsches Zustellungsdatum des angefochtenen Urteils eingibt. Auf die Beantwortung dieser Frage kommt es aber im vorliegenden Streitfall nicht entscheidend an, weil die für die Berufungsbegründung zuständige Anwältin ohnehin ein Verschulden trifft, das der Kläger sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

bb) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die elektronische Kalenderführung eines Prozessbevollmächtigten grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmlichen Fristenkalenders. Ein anwaltliches Organisationsverschulden ist danach darin zu sehen, dass Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert werden (siehe BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 111/96, NJW-RR 1997, 698, vom - II ZB 11/98, BB 1998, 2603 und vom - II ZB 33/04, MDR 2006, 539, 540 m.w.N.). Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen, zumal der Ausdruck dem Schriftstück, das dem Rechtsanwalt vorzulegen ist, beigeheftet werden kann (vgl. aaO, S. 540).

Der Kläger hat eine derartige Kontrolle nicht dargetan (§ 236 Abs. 2 ZPO). Zwar ist gemäß dem Vortrag des Klägers davon auszugehen, dass die von seinen Prozessbevollmächtigten mit der Fristenkontrolle betrauten Büroangestellten die in den Computer eingegebenen Fristen täglich ausdrucken und dem jeweiligen Sachbearbeiter vorlegen. Auf die allgemeine Organisation der Fristenkontrolle kommt es aber nicht entscheidend an, weil nach den eigenen Angaben des Klägers die mit seiner Sache befasste Anwältin ihre persönliche Sekretärin per Diktat angewiesen hat, die Eintragung der Frist für die Berufungsbegründung vorzunehmen. Dazu, dass die Sekretärin angewiesen war, die Eintragung anhand eines Kontrollausdrucks zu überprüfen, ist indes nichts vorgetragen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um einen Ausnahmefall handelt, d.h. das für die Fristenkontrolle zuständige Personal die erforderlichen Prüfungen sonst immer vorgenommen hat oder zumindest eine entsprechende Anweisung bestand. Das Berufungsgericht hat daher im Ergebnis zu Recht den Schluss gezogen, dass die Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei der Klägervertreter entweder nicht ausreichend verständlich gestaltet war und/oder nicht eingehalten bzw. überwacht wurde.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
StBW 2010 S. 281 Nr. 6
IAAAD-98197