BAG Urteil v. - 1 AZR 507/09

Instanzenzug: Az: 11 Ca 248/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 9 Sa 21/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

2Die zum Zeitpunkt der Klageerhebung 28-jährige Klägerin war seit dem Jahr 1997 bei der Beklagten in deren Betrieb in K beschäftigt. Bei der Beklagten gilt seit dem Jahre 2001 eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV 2001), wonach betriebsbedingte Änderungskündigungen der Zustimmung des Betriebsrats unterliegen.

3Im Dezember 2006 informierte die Beklagte ihre Mitarbeiter über die „endgültige und bindende“ Entscheidung ihrer Gesellschafter ua. die am Standort K ausgeübten Tätigkeiten an andere Standorte zu verlagern. Die Klägerin wurde hierüber in einem Abteilungstreffen in der ersten Jahreshälfte 2007 unterrichtet. Im Rahmen dieses Treffens bezeichnete die Abteilungsleiterin die Verlagerung nach M als feststehend und unverrückbar.

4Zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat fanden ab Juli 2007 Gespräche über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans statt. Zeitgleich verhandelte die Beklagte mit ver.di über den Abschluss eines Firmentarifvertrags über die geplante Standortverlagerung.

Anfang September 2007 stellte eine Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat fest. Dies teilte die Beklagte ihren Arbeitnehmern in einer Informationsschrift vom mit. In dieser wies sie gleichzeitig darauf hin, dass sie nunmehr die Möglichkeit habe, die Standortkonsolidierung zum umzusetzen. Zu den Verhandlungen mit ver.di über den Abschluss eines Tarifsozialplans heißt es in dem Schreiben:

6Am wurde zwischen der Beklagten und ver.di ua. der dann am unterzeichnete Entwurf ua. eines Tarifsozialplans endverhandelt. Nach Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan erhalten ua. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer im Zeitraum vom bis zum ausgesprochenen Eigenkündigung beendet wird, eine Abfindung, die sich nach Abschnitt III Nr. 7.3 Tarifsozialplan berechnet. Die Beklagte vereinbarte - ebenfalls am  - mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV Sozialplan). Nach deren Nr. 2 sollten die Regelungen des Tarifsozialplans für alle Arbeitnehmer der Beklagten Anwendung finden. In Nr. 3 GBV Sozialplan ist bestimmt, dass Ansprüche aus dem Tarifsozialplan mit Ansprüchen aus der GBV Sozialplan verrechnet werden. Am selben Tag schloss die Beklagte mit den örtlichen Betriebsräten eine „Betriebsvereinbarung zur Umsetzung personeller Einzelmaßnahmen der Standortkonsolidierung“ (BV Umsetzung). In dieser verzichteten die örtlichen Betriebsräte auf das Zustimmungserfordernis zum Ausspruch von Änderungskündigungen gemäß der GBV 2001.

7Die Klägerin hat ihr Arbeitsverhältnis bereits mit Schreiben vom gekündigt. Sie hält die auf Eigenkündigungen bezogene Stichtagsregelung im Tarifsozialplan wegen eines Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz für unwirksam. Auch werde sie wegen ihres Alters benachteiligt. Ältere Arbeitnehmer hätten wegen ihrer längeren Kündigungsfristen und dem Kündigungstermin zum Ende eines Kalendervierteljahres weniger Möglichkeiten, ihr Arbeitsverhältnis bis zur Umsetzung der Betriebsänderung am zu beenden.

Die Klägerin hat beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der Revision beantragt die Klägerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Gründe

11Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

12I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Abfindung aus Nr. 2 GBV Sozialplan iVm. Abschnitt III Nr. 7.1, Nr. 7.3 Tarifsozialplan.

13Nach seinem Wortlaut bestimmt Nr. 2 GBV Sozialplan ua. die Anwendung der Regelungen des Tarifsozialplans für alle Arbeitnehmer der Beklagten. Mit dieser Formulierung haben die Betriebsparteien die Regelungen des Tarifsozialplans in Bezug genommen und zum Inhalt der GBV Sozialplan gemacht. Die Klägerin fällt zwar in den persönlichen Geltungsbereich der GBV Sozialplan. Bei Abschluss der Vereinbarung am war sie Arbeitnehmerin der Beklagten iSd. Nr. 1 GBV Sozialplan. Die Klägerin erfüllt aber nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan iVm. § 2 GBV Sozialplan. Ihr Arbeitsverhältnis hat nicht aufgrund einer zwischen dem und dem ausgesprochenen Eigenkündigung geendet. Die Klägerin hat ihr Arbeitsverhältnis schon am gekündigt.

14II. Die Stichtagsregelung in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG.

151. Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck ( - Rn. 17).

162. Vorliegend haben die Betriebsparteien eine Gruppenbildung vorgenommen, indem sie den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung nur für solche von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen haben, die ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer nach dem ausgesprochenen Eigenkündigung beendet haben. Damit haben sie diejenigen Mitarbeiter ausgenommen, die vor dem Abschluss der Tarifsozialplanverhandlungen ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben. Diese Gruppenbildung ist sachlich gerechtfertigt.

17a) Sie ist am Zweck des Sozialplans ausgerichtet, der keine Entschädigung für geleistete Dienste gewähren, sondern konkret absehbare oder eingetretene betriebsänderungsbedingte Nachteile ausgleichen soll ( - Rn. 21, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 208 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 37). Die Betriebsparteien können zur Herstellung von Rechtssicherheit ein Verfahren oder einen Stichtag bestimmen und auf diese Weise festlegen, ob eine Eigenkündigung durch die konkrete Betriebsänderung veranlasst wurde oder nicht. Dazu kann die Ausgleichspflicht an einen Zeitpunkt anknüpfen, in dem die Art und Weise der durchzuführenden Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer feststeht. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dürfen die Betriebsparteien in einem solchen Fall davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran knüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist, ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Betriebsänderung beenden.

18b) Der in § 2 GBV Sozialplan iVm. Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan bestimmte Stichtag ist danach nicht zu beanstanden. Vor dem stand für die betroffenen Arbeitnehmer der Zeitpunkt und der Umfang der betriebsändernden Maßnahmen noch nicht fest. Erst nach der Unterzeichnung der BV Umsetzung konnte die Beklagte betriebsbedingte Änderungskündigungen aussprechen und die geplante Standortkonsolidierung umsetzen.

19aa) Die Beklagte war bis zum Scheitern der mit dem Gesamtbetriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs geführten Verhandlungen betriebsverfassungsrechtlich nicht berechtigt, die geplanten betriebsändernden Maßnahmen umzusetzen. Aus diesem Grund waren die bereits im Dezember 2006 und in der ersten Jahreshälfte 2007 verlautbarten Ankündigungen der Beklagten oder einzelner ihrer Mitarbeiter über die von ihren Gesellschaftern getroffenen Beschlüsse und ihrer Verhandelbarkeit nicht geeignet, die vor dem Stichtag ausgesprochenen Eigenkündigungen als durch die Betriebsänderung veranlasst anzusehen. Jedoch stand auch nach dem Scheitern des Interessenausgleichs wegen der von der Beklagten Anfang September angekündigten Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifsozialplans weder der Umfang der betriebsändernden Maßnahmen noch der Zeitpunkt ihrer Umsetzung fest. Nach dem Inhalt ihrer gegenüber den Arbeitnehmern verlautbarten Schreiben sollten Gegenstand der Verhandlungen auch die für eine Übergangszeit am Standort K verbleibenden Arbeitsplätze sein. Daneben wäre die Beklagte aufgrund der Regelungen in der GBV 2001 zumindest bis zum an der Umsetzung der geplanten Standortverlagerung gehindert gewesen. Hierzu hätte es des Ausspruchs von betriebsbedingten Änderungskündigungen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern bedurft, die nach der GBV 2001 dem Zustimmungserfordernis der örtlichen Betriebsräte nach § 102 Abs. 6 BetrVG unterlagen. Es ist weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen, dass die Beklagte die in § 3 GBV 2001 vereinbarten Kündigungsbeschränkungen vor dem in Frage gestellt hat oder mit der Erteilung der Zustimmung durch die örtlichen Betriebsräte rechnen konnte.

20bb) Unschädlich ist, dass der in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan festgelegte Stichtag nicht taggenau mit dem Abschluss des Tarifsozialplans bzw. der BV Umsetzung übereinstimmt. Am waren die endgültige Fassung ua. des Tarifsozialplans, der Protokollnotiz und der freiwilligen Tarifvereinbarung abschließend ausgehandelt. Dass bis zur Unterzeichnung weitere Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien stattfanden, ist weder festgestellt noch von der Klägerin behauptet worden. Vor diesem Hintergrund orientierte sich die Festlegung des Stichtags am gegebenen Sachverhalt und war sachlich vertretbar.

21III. Die Stichtagsregelung ist entgegen der erstmalig in der Revision von der Klägerin geäußerten Ansicht nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

221. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 2 AGG gegeben, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

2. Eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Benachteiligung ist nicht gegeben, weil die in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan enthaltene Stichtagsregelung nicht unmittelbar an das Merkmal des Alters anknüpft. Eine mittelbare Benachteiligung liegt nicht vor, weil die Klägerin gegenüber jüngeren Arbeitnehmern mit kürzeren Kündigungsfristen nicht weniger günstig behandelt wird. Bei einer Eigenkündigung kommt es für den Abfindungsanspruch auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses nicht an. Eine Abfindung erhalten alle Arbeitnehmer, die im Zeitraum vom bis zum ihr Arbeitsverhältnis durch eine Eigenkündigung beenden.

Fundstelle(n):
EAAAD-98194