Beschwer der Berufung: Bedeutung der erstinstanzlichen Festsetzung des Streitwerts für die Auskunftsklage auf über 600 Euro; Beschwer der zur Auskunft über die Einkommensverhältnisse eines Dritten verurteilten Partei
Leitsatz
1. Allein aus der Festsetzung des Streitwertes für eine Auskunftsklage auf über 600 € lässt sich nicht darauf schließen, dass das erstinstanzliche Gericht auch von einer entsprechend hohen Beschwer auf Seiten der zur Auskunft verurteilten Partei ausgegangen ist und deshalb keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen (im Anschluss an , NJW 2011, 2974 Rn. 16) .
2. Ist eine Partei dazu verurteilt worden, über die Einkommensverhältnisse eines Dritten Auskunft zu erteilen, der seinerseits zur Auskunftserteilung nicht bereit ist, ist im Rahmen der Beschwer der Kostenaufwand für eine entsprechende Rechtsverfolgung zu berücksichtigen .
Gesetze: § 3 ZPO, § 511 Abs 4 ZPO, § 522 ZPO, § 888 ZPO
Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 7 UF 97/10 Beschlussvorgehend AG Bad Neustadt Az: 1 F 320/09
Gründe
I.
1Die Beklagte wendet sich gegen die Verpflichtung, Auskunft zu erteilen.
2Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind zwei, 1989 und 1991 geborene, Kinder hervorgegangen. Der Kläger wird von der Stadt B. auf Kindesunterhalt aus zwei Unterhaltstiteln in einer Gesamthöhe von monatlich rund 348 € in Anspruch genommen. Er hat die Beklagte auf Auskunft mit der Begründung in Anspruch genommen, er benötige die Auskunft über die Einkünfte der Beklagten und ihres Lebensgefährten zur Berechnung seines Haftungsanteils bezüglich des Kindesunterhalts für eine von ihm erwogene Abänderungsklage.
3Das Amtsgericht, das den Streitwert auf 1.500 € festgesetzt hat, hat die Beklagte verurteilt, Auskunft über "ihr Vermögen" zu erteilen, unter anderem durch Vorlage ihrer Einkommensnachweise für die Monate Mai 2008 bis einschließlich April 2009 sowie durch Vorlage der Einkommensnachweise ihres Lebensgefährten für denselben Zeitraum. Das Oberlandesgericht hat den Berufungsstreitwert auf 500 € festgesetzt und - demgemäß - die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
5Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG findet auf das Verfahren das bis zum geltende Recht Anwendung, da der Rechtsstreit zuvor anhängig geworden ist.
61. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft.
7Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt die Beklagte in ihrem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 553/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 9 und vom XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).
82. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
9a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Berufungsgericht allerdings nicht gehalten, eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 ZPO nachzuholen.
10aa) Das Berufungsgericht hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - bevor es die Berufung mangels ausreichender Beschwer verwerfen darf - eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es von einer Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, die 600 € übersteigt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 436/10 - FamRZ 2011, 882 Rn. 14 mwN; - NJW 2011, 2974 Rn. 14 mwN).
11bb) Eine solche Konstellation liegt dem Streitfall jedoch nicht zugrunde. Zwar hat das Amtsgericht den Streitwert auf 1.500 € festgesetzt; allerdings versagt diese Festsetzung als Anknüpfungspunkt für die Annahme, das erstinstanzliche Gericht sei deswegen von einer entsprechenden Beschwer der Beklagten und mithin vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausgegangen. Denn bei der Auskunftsklage fallen der Streitwert der Klage und die Beschwer des verurteilten Beklagten in aller Regel auseinander. Der Streitwert richtet sich nach dem Interesse des Klägers an der Erteilung der Auskunft. Dieses ist nach einem gemäß § 3 ZPO zu schätzenden Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll. Demgegenüber richtet sich die Beschwer des zur Erteilung der Auskunft verurteilten Beklagten nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen.
12Ebenso wenig lässt sich aus der Angabe des § 708 Nr. 11 ZPO in den Entscheidungsgründen darauf schließen, dass das Amtsgericht eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung für entbehrlich gehalten hat. Nach § 708 Nr. 11 ZPO sind (andere) Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 € nicht übersteigt. Dies besagt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde jedoch nicht, dass das Amtsgericht von einer über 600 € liegenden Beschwer ausgegangen ist. Denn auch bei einer darunter liegenden Beschwer wäre § 708 Nr. 11 ZPO anzuwenden gewesen. Vielmehr spricht der Umstand, dass das Amtsgericht keine Abwendungsbefugnis gemäß § 711 ZPO ausgesprochen hat, dafür, dass seiner Auffassung nach die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorlagen (vgl. § 713 ZPO).
13b) Die Rechtsbeschwerde ist indessen begründet, weil das Berufungsgericht die Beschwer ermessensfehlerhaft zu niedrig festgesetzt hat.
14aa) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Wert des Beschwerdegegenstandes richte sich bei einer zur Auskunft verurteilten Partei nach deren Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Für die Bewertung dieses Abwehrinteresses komme es, soweit ein besonderes Geheimhaltungsinteresse nicht zu erkennen sei, auf den Zeit- und Arbeitsaufwand an, den die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft verursache. Der Zeit- und Kostenaufwand sei vorliegend mit nicht höher als 500 € zu bemessen. Soweit die Beklagte auch verpflichtet sei, über die Einkommensverhältnisse ihres Lebensgefährten Auskunft zu erteilen, sei sie nicht zu einer unmöglichen Leistung verurteilt worden. Für die zu erteilende Auskunft bedürfe es lediglich der geordneten Zusammenstellung der sich bei der Beklagten befindlichen Unterlagen. Da sich die Auskunft der Beklagten auf ihr eigenes unterhaltsrechtliches Einkommen beziehe, könne für den Streitwert auch nicht auf eventuell entstehende Gerichtskosten für Verfahren gegen dritte Personen abgestellt werden.
15bb) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
16(1) Allerdings hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, dass für die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes bei der Verurteilung zur Auskunftserteilung das Interesse des Rechtsmittelführers maßgebend ist, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Abgesehen von dem Fall eines besonderen Geheimhaltungsinteresses ist auf den Aufwand an Zeit und Kosten abzustellen, den die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft erfordert (Senatsbeschluss vom - XII ZB 436/10 - FamRZ 2011, 882 Rn. 9 mwN).
17Dabei kann der dem Beschwerdegericht bei seiner Schätzung eingeräumte Ermessensspielraum im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob das Gericht die gesetzlichen Grenzen überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 150/05 - FamRZ 2007, 711 Rn. 9; vom - XII ZB 165/00 - FamRZ 2005, 104, 105; BGHZ 155, 127 = FamRZ 2003, 1267, 1268 und vom - XII ZB 31/02 - FamRZ 2003, 597).
18(2) Letzteres ist hier der Fall. Das Berufungsgericht hat den von der Beklagten im Einzelnen dargelegten, mit ihrer Verpflichtung, Einkommensbelege ihres Lebensgefährten vorzulegen, einhergehenden und zu erwartenden Kostenaufwand bei der Wertbemessung ersichtlich nicht berücksichtigt. Vor allem ist es nicht auf den - unter Beweis gestellten - Vortrag der Beklagten eingegangen, wonach ihr Lebensgefährte nicht bereit sei, ihr seine Einkommensbelege vorzulegen und sie über die Höhe seiner Einkünfte zu informieren, weshalb sie ihren Lebensgefährten gerichtlich in Anspruch nehmen müsse, um dem Urteil des Amtsgerichts zu genügen. Anders lassen sich die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach es für die erteilende Auskunft lediglich der geordneten Zusammenstellung "der sich bei der Beklagten befindlichen Unterlagen" bedürfe, nicht erklären.
19Das Berufungsgericht hätte sich mithin die Frage vorlegen müssen, welchen Kostenaufwand diese - im Rahmen der Rechtsbeschwerde zu unterstellende - Weigerung ihres Lebensgefährten erwarten lässt, will die Beklagte ihrer Verurteilung zur Auskunftserteilung gerecht werden.
20Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kostenaufwand für die Prozessführung gegen den Dritten, über dessen Verhältnisse die Beklagte Auskunft erteilen soll, schon wegen der Unsicherheit der Realisierung eines etwaigen Kostenerstattungsanspruches eine Beschwer in entsprechender Höhe begründet. Hinzu kommt, dass die Beklagte mit ihrer Klage aller Voraussicht nach ohnehin unterliegen würde, weil für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs gegen den Lebensgefährten nichts ersichtlich ist. Geht man mithin davon aus, dass die Kosten für die Auskunftsklage von der Beklagten aufzubringen sind, läge ihre Beschwer unter Hinzurechnung der vom Oberlandesgericht (ohne Berücksichtigung dieses Aufwandes) festgesetzten 500 € deutlich über 600 €.
21Auch wenn die Auskunftsklage nach dem Vorgesagten wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte, ist es der Beklagten nicht zu versagen, sich auf die Kosten eines solchen Auskunftsverfahrens für ihre Beschwer zu berufen. Andernfalls würde man ihr den Versuch absprechen, die nach § 888 ZPO durch Festsetzung eines Zwangsgeldes bzw. von Zwangshaft erfolgende Zwangsvollstreckung abzuwenden (vgl. zu der Anwendung des § 888 ZPO auch für die Vorlage von Belegen Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 10 Rn. 354). Zwar kann der Schuldner auch im Vollstreckungsverfahren Unmöglichkeit einwenden. Er muss indessen zunächst alles Zumutbare unternommen haben, um die geschuldete Handlung vorzunehmen; erst wenn die Unmöglichkeit der Erfüllung feststeht, darf eine Zwangsmaßnahme nicht mehr verhängt werden (OLG Brandenburg FamRZ 2007, 63, 64).
22c) Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass das Oberlandesgericht sein Ermessen bei der Bemessung der Beschwer fehlerhaft ausgeübt hat. Die angefochtene Entscheidung kann daher mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Gemäß § 577 Abs. 4 ZPO ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung wird dem Beschwerdegericht Gelegenheit geben, in seine Ermessensentscheidung über die Wertfestsetzung sämtliche hier einschlägigen Umstände einzubeziehen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Günter
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 3790 Nr. 52
NJW 2011 S. 8 Nr. 50
WAAAD-96516