Rückstellungen für Nachzahlungszinsen
Leitsatz
Die Bildung von Rückstellungen für Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO bereits zum Ende des Wirtschaftsjahres, in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist, ist ausgeschlossen. Die Passivierungsvoraussetzungen für Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO müssen eigenständig und unabhängig von den Voraussetzungen der zugrunde liegenden Steuerschuld vorliegen.
Gesetze: EStG § 5 Abs. 1 Satz 1, AO § 233a, HGB § 249 Abs. 1 Satz 1, HGB § 252 Abs. 1 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Streitpunkt ist, ab welchem Zeitpunkt Rückstellungen für Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) zu bilden sind.
2 Bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, fand eine Außenprüfung statt, aufgrund derer für die Streitjahre (2003 bis 2006) u.a. höhere Gewerbesteuern sowie entsprechende Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO festgesetzt wurden. Bei der Gewinnermittlung für die Streitjahre berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Nachzahlungszinsen in der Weise, dass er Rückstellungen für Nachzahlungszinsen ab dem jeweiligen Beginn des Zinslaufs in der bis zum jeweiligen Bilanzstichtag entstandenen Höhe anerkannte. Danach waren erstmals für die Streitjahre 2005 und 2006 Rückstellungen für Nachzahlungszinsen (betreffend die Gewerbesteuern der Jahre 2003 bzw. 2004) zu bilden; auf die Gewinnermittlung der Streitjahre 2003 und 2004 wirkten sich die Nachzahlungszinsen nicht aus. Auf dieser Grundlage erließ das FA geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, die Nachzahlungszinsen seien in der gesamten festzusetzenden Höhe bereits ab jenem Veranlagungszeitraum gewinnmindernd zu berücksichtigen, für den die jeweils zugrunde liegende Gewerbesteuer festzusetzen war, so dass z.B. die Nachzahlungszinsen für die Gewerbesteuer 2003 sich bereits in der Bilanz zum in voller Höhe gewinnmindernd auswirken müssten. Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) München, Außensenate Augsburg, hat sie mit Urteil vom 6 K 1941/10 als unbegründet abgewiesen.
3 Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil.
4 Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
5 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen —soweit sie überhaupt hinreichend dargetan worden sind— nicht vor.
6 1. In Zusammenhang mit den Zulassungsgründen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) möchte die Klägerin geklärt wissen, ob Nachzahlungszinsen einheitlich mit den Steuerschulden zu bilanzieren und deshalb dem Jahr zuzuordnen seien, zu dem die „Hauptschuld” gehöre oder ob sie —wie vom FG angenommen— frühestens ab Beginn des Zinslaufs passiviert werden dürfen. Die Frage ist indes nicht klärungsbedürftig.
7 An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a., wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom III B 109/06, BFH/NV 2007, 1867, und vom VIII B 184/08, BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall.
8 Zu den gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehört der Grundsatz der Einzelbewertung, demzufolge Vermögensgegenstände (Wirtschaftsgüter) und auch Schulden in der Bilanz einzeln zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 des Handelsgesetzbuchs —HGB—) und einzeln zu erfassen sind (vgl. Senatsurteil vom I R 16/97, BFHE 184, 439, BStBl II 1998, 249; Blümich/Buciek, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz 229, m.w.N.). Für die bilanzielle Erfassung von Verbindlichkeiten in Form von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO folgt daraus, dass ihre Passivierungsvoraussetzungen eigenständig und unabhängig von den Voraussetzungen der zugrunde liegenden Steuerschuld vorliegen müssen. In Bezug auf die im Streitfall relevante Frage, ob und ggf. ab wann in Bezug auf Nachzahlungszinsen für Zeiträume vor ihrer behördlichen Festsetzung Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu bilden sind, sind deshalb die allgemeinen Voraussetzungen der Rückstellungsbildung bezogen auf die speziellen Modalitäten der Nachzahlungszinsen zu prüfen. Das gilt auch für die Rückstellungserfordernisse der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme und der wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem jeweiligen Bilanzstichtag (zu diesen Voraussetzungen z.B. Senatsurteil vom I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279; Blümich/Buciek, a.a.O., § 5 EStG Rz 797a ff., m.w.N.).
9 Bei Anwendung dieser Kriterien auf die Nachzahlungszinsen ist eine Passivierung bereits zum Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist, ausgeschlossen. Denn zum einen kann zu diesem Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden, ob, wann und in welcher Höhe künftig Nachzahlungszinsen gezahlt werden müssen; die Entstehung und die Höhe von Nachzahlungszinsen hängt von Zeitpunkt und Inhalt künftiger Steuerfestsetzungen ab, die zu diesem Zeitpunkt nicht prognostizierbar sind. Zum anderen handelt es sich bei den Nachzahlungszinsen um Verbindlichkeiten, deren wesentliche Voraussetzung der Ablauf eines bestimmten Zeitraums ist, nämlich des Zeitraums zwischen dem Ende des 15. Monats nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, und dem Zeitpunkt der Fälligkeit der durch Festsetzung konkretisierten Steuerschuld (§ 233a Abs. 2 Sätze 1 und 3 AO). Dieser Zeitraum liegt denknotwendig nach dem Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, so dass der Anspruch auf Nachzahlungszinsen —wie das FG zutreffend angenommen hat— nicht schon vor diesem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sein kann.
10 Auf die von der Klägerin in den Vordergrund gestellte Frage, ob es sich bei den Nachzahlungszinsen nach § 233a AO im wirtschaftlichen Sinne tatsächlich um „Zinsen” handele, die mit Vergütungen für die Nutzung fremden Kapitals vergleichbar seien, kommt es für die Voraussetzungen der Rückstellbarkeit ungewisser Verbindlichkeiten nicht an. Denn unabhängig von der theoretischen Charakterisierung und Einordnung bleibt es dabei, dass es sich bei der Verpflichtung zur Zahlung von Nachzahlungszinsen bilanzrechtlich um eine selbständige Verbindlichkeit handelt, deren rechtliche und wirtschaftliche Ursachen sich erst nach dem Ablauf des Veranlagungszeitraums verwirklichen, in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist.
11 2. Die von der Klägerin geltend gemachten Abweichungen des FG-Urteils von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar —und wird von der Klägerin nicht schlüssig dargetan—, in welchem sachlichen Zusammenhang das Senatsurteil vom I R 176/84 (BFHE 163, 566, BStBl II 1991, 456), welches die Behandlung eines Skontoabzugs bei der Bemessung der Anschaffungskosten betrifft, zur vorliegenden Problematik stehen soll. Das Senatsurteil befasst sich weder mit den Spezifika der Nachzahlungszinsen noch mit den Voraussetzungen einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten. Entsprechendes gilt für das von der Klägerin des Weiteren herangezogene (Deutsches Steuerrecht 2009, 1330), welches den Verjährungsbeginn von Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Beratung durch einen Steuerberater betrifft und für das (BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641), das die Berücksichtigung latenter Einkommensteuerlasten als Nachlassverbindlichkeiten im Erbschaftsteuerrecht ablehnt.
12 3. Ein zur Revisionszulassung führender Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor. Das FG war auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung —die für die Prüfung auf Verfahrensmängel maßgeblich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom I B 148/06, BFH/NV 2007, 1927; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, m.w.N.)— nicht gehalten, dem Beweisangebot der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage nachzugehen, ob es sich bei den Nachzahlungszinsen um ein Entgelt für eine Kapitalnutzung oder um „Opportunitätskosten” handele.
13 4. Bei den Ausführungen der Klägerin zur hilfsweise begehrten Bildung von Rückstellungen für künftige Kosten einer Außenprüfung handelt es sich im Wesentlichen um Rechtsausführungen im Stile einer Revisionsbegründung, ohne dass ein Bezug zu einem bestimmten Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 FGO kenntlich wird. Soweit es abschließend heißt, das FG weiche „ein weiteres Mal von der einschlägigen Rechtsprechung des BFH ab”, wird damit eine Divergenz zur BFH-Rechtsprechung nicht hinreichend dargelegt. Dazu hätte es der Gegenüberstellung eines das FG-Urteil tragenden abstrakten Rechtssatzes mit einem ebensolchen Rechtssatz aus einem BFH-Urteil bedurft, so dass die Abweichung erkennbar wird (z.B. Senatsbeschluss vom I B 51/06, BFH/NV 2007, 2259; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42, jeweils m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 2044 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2011 S. 882
XAAAD-94148