Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Unterkunft und Heizung - Mietvertrag unter Verwandten - fehlender rechtlicher Bindungswille - Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl nur bei tatsächlichen Aufwendungen
Gesetze: § 42 S 1 Nr 2 SGB 12 vom , § 19 Abs 2 SGB 12 vom , § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom , § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom , § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom , § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom , § 117 Abs 1 BGB vom , § 133 BGB
Instanzenzug: SG Stade Az: S 19 SO 120/05 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 8 SO 52/08 Urteil
Tatbestand
1Im Streit sind (noch) Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1.1. bis nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
2Der 1980 geborene Kläger bezieht seit dem Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zunächst (bis ) nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "H" und "RF" anerkannt. Er lebt gemeinsam mit seinem Vater in einem Reihenhaus; dieser ist Eigentümer des Hausgrundstücks und trägt hierfür die laufenden Kosten. Am schloss der Kläger, vertreten durch einen gesondert hierfür bestellten Ergänzungsbetreuer, mit seinem Vater ab einen Mietvertrag über einen Mietzins von 300 Euro zzgl einer Vorauszahlung für Heizung und Warmwasser in Höhe von 50 Euro monatlich ab. Dem Kläger waren zuvor ab 1.1. bis Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt worden (bestandskräftiger Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nach Vorlage des Mietvertrages vom in einem Überprüfungsverfahren erneut für das Jahr 2005 abgelehnt (Bescheide vom und ; Widerspruchsbescheid nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom ).
3Die Klage, mit der der Kläger ua Leistungen für Unterkunft und Heizung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht (SG) Stade abgewiesen (Urteil vom ), weil der Kläger keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung habe. Der Mietvertrag sei nur zu dem Zweck eingegangen worden, höhere Grundsicherungsleistungen zu erhalten und dem Vater des Klägers als Vermieter der Räumlichkeiten Einnahmen zukommen zu lassen; die geleisteten Mietzahlungen seien von den Vertragspartnern als rechtlich nicht verbindlich angesehen worden. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den Beklagten auf die Berufung des Klägers verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1.1. bis Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der Hälfte der für das bewohnte Haus anfallenden angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten zu zahlen (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger seien zwar keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch entsprechende Zahlungsverpflichtungen aus dem mit seinem Vater als Vermieter geschlossenen Mietvertrag entstanden, weil unter Würdigung der Gesamtumstände nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernstlichen Forderungen seines Vaters auf Zahlung der sich aus dem vorliegenden - nicht mit ernsthaftem Bindungswillen abgeschlossenen - Mietvertrag ergebenden Gesamtmonatsmiete ausgesetzt sei; jedoch bestünden die Aufwendungen für die Unterkunft einer hilfebedürftigen Person, die mit nicht hilfebedürftigen, mit ihr verwandten oder verschwägerten Personen in Haushaltsgemeinschaft lebten, in einem Teil der angemessenen Aufwendungen, die für die Wohnung der Haushaltsgemeinschaft zu entrichten seien. Die Unterkunftskosten seien dabei nach Personenzahl - hier zwei - aufzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - tatsächliche Aufwendungen im Sinne der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen nicht bestünden.
4Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII. Übernahmefähig seien danach nur tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die dem Kläger jedoch nicht entstanden seien.
5Der Beklagte beantragt,das Urteil des LSG unter Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG aufzuheben, soweit darin über Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung entschieden worden ist.
6Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
7Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.
Gründe
8Die Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das LSG hat zu Unrecht den Beklagten zur Zahlung anteiliger Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verurteilt. Der Kläger hat in dem streitigen Zeitraum von Januar bis Dezember 2005 keinen Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung, der von dem Beklagten zu decken war.
9Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , soweit der Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt hat. Der zunächst als Bescheid nach § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ergangene Überprüfungsbescheid vom , der die Aufhebung des hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung belastenden Verwaltungsakts vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom abgelehnt hat, wurde nämlich durch den im laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom insgesamt ersetzt (§ 86 SGG). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Rechtsprechung des -, Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 38) Rechnung getragen, wonach Kindergeld, das an den Kindergeldberechtigten ausgezahlt wird, nicht als Einkommen des (erwachsenen) Kindes zu berücksichtigen ist und deshalb die Leistung für das gesamte Jahr 2005 neu festgesetzt. Damit hat sich auch der Bescheid vom erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X), weil er hinsichtlich des neuerlichen Bewilligungsbescheides keine Wirkung mehr entfaltet. Dabei spielt es keine Rolle, dass eine ausdrückliche Ablehnung von Kosten für Unterkunft und Heizung zwar noch in dem Bescheid vom , nicht mehr aber in dem nur noch streitbefangenen Bescheid vom im Sinne einer ausdrücklichen Verfügung enthalten war, weil eine solche Ablehnung stillschweigend auch dieser Bescheid erklärt, sich hiergegen der (aufrechterhaltende) Widerspruch richtete und in dem Widerspruchsbescheid vom auch ausdrücklich eine den Widerspruch zurückweisende Entscheidung über Kosten für Unterkunft und Heizung getroffen wurde. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Der Senat hat nur über die Kosten von Unterkunft und Heizung zu entscheiden. Das LSG hat in seinem Urteil die Zulassung der Revision zulässigerweise auf diesen abtrennbaren selbstständigen Anspruch (BSGE 97, 217 ff RdNr 18 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; - RdNr 10 mwN zum Recht Grundsicherung für Arbeitsuchende) beschränkt.
10Soweit der Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 betroffen ist, ist die Anfechtungsklage bereits unzulässig, weil der Bescheid vom durch einen weiteren, nach Klageerhebung () am ergangenen Bescheid ersetzt wurde und sich insoweit - also bezogen auf den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 - erledigt hat (siehe oben). Der Bescheid vom , mit dem die Leistung für diesen Zeitraum wiederum neu geregelt wurde, ist zwar nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. SG und LSG haben ihn allerdings faktisch nicht in das Verfahren einbezogen, was von dem Kläger und dem Beklagten im Revisionsverfahren nicht gerügt worden ist. Die Nichtbeachtung eines Folgebescheids im Sinne des § 96 SGG stellt keinen in der Revisionsinstanz fortwirkenden und dort von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar (stRspr; vgl nur BSG SozR 1500 § 53 Nr 2). Die auf den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2005 gerichtete Leistungsklage ist damit andererseits unbegründet, weil der Bescheid vom mangels Verfahrensrüge bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG).
11Soweit es den (verbleibenden) Zeitraum von Januar bis September 2005 betrifft, misst sich die Begründetheit der Klage - anders als das LSG meint - nicht an § 44 Abs 1 SGB X. Zwar hat es im Hinblick auf den bestandskräftigen Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu Recht angenommen, dass der zunächst ergangene Bescheid vom als Bescheid nach § 44 Abs 1 SGB X zu werten war, der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom wurde jedoch durch den im laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom , der Leistungen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2005 ablehnt und damit die Möglichkeit zur Anfechtung neu eröffnet, insgesamt ersetzt (siehe oben).
12Ob die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 19 Abs 2, 41 ff SGB XII (jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom - BGBl I 3022) für den Zeitraum von Januar bis September 2005 gegeben sind, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung, auf den die Klage beschränkt wurde, schon mangels Bedarfs ausscheidet. Nach § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom ) umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend § 29 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom bzw für die Zeit ab in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom - BGBl I 818). Nach § 29 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht. Nach dem Wortlaut von § 42 Satz 1 Nr 2 iVm § 29 SGB XII kommt dabei nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht, wenn - wie hier - eine volljährige hilfebedürftige Person mit nicht hilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten Personen in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebt ( - RdNr 15; BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 14) und weder die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) noch einer Einsatzgemeinschaft nach dem SGB XII noch einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft besteht, bei der mindestens eine Person dem System des SGB II und mindestens eine andere dem System des SGB XII zuzuordnen ist (BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1).
13So liegt der Fall hier. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte der in Haushaltsgemeinschaft mit seinem Vater lebende volljährige Kläger keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, weil mangels Bindungswillens kein wirksamer Mietvertrag geschlossen wurde (§§ 117 Abs 1, 133 Bürgerliches Gesetzbuch) und auch nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernsthaften Forderungen seines Vaters ausgesetzt gewesen sei. Dem Senat ist es nicht gestattet, eine andere Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, weil er hierdurch im Ergebnis entgegen §§ 162, 163 SGG eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen würde (vgl nur ). Die Beweislast für das Entstehen von Aufwendungen trägt der Kläger.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:250811UB8SO2910R0
Fundstelle(n):
EAAAD-93888