BVerwG Beschluss v. - 9 B 67.11

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: VGH Hessen, 5 A 2499/09 vom

Gründe

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.

Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass die Klägerin einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.

Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).

Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 123.91 - [...] Rn. 3 und vom - BVerwG 4 B 51.10 - [...] Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).

b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu - NJW 2003, 2524).

bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm auf richterliche Anordnung vom unter demselben Datum sämtliche zum streitgegenständlichen Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch der Klägerin nicht vollständig entsprach, wäre es Sache der Klägerin gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum sie die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat die Klägerin indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom ) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom ist sie hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.

cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).

dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an die Klägerin verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom , ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom sowie der Mitteilung vom , dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.

2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.

Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes folgt aus § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG und entspricht dem im Beschwerdeverfahren noch streitigen Betrag.

Dr. Storost

Domgörgen

Dr. Christ

Fundstelle(n):
FAAAD-93519