Veranlagung von Steuerpflichtigen mit steuerabzugspflichtigen Einkünften Veranlagung bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
Bezug:
1. Allgemeines
Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.
Mit mehreren Entscheidungen vom hat der BFH u. a. zur Problematik der Antragsfrist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG Stellung genommen und zugleich die Frage, ob die Antragsfrist verfassungsgemäß ist, dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Aus diesem Anlass weise ich auf folgende Besonderheiten hin:
2. Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (410-€uro-Grenze)
2.1 Änderung durch das JStG 2007
Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 sind Arbeitnehmer verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 EStG und § 24a EStG, oder die positive Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, jeweils mehr als 410 € beträgt. Nach § 52 Abs. 55j EStG ist die Neufassung auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.
Diese klarstellende Gesetzesänderung wurde auf Grund (BStBl 2007 II S. 45) – erforderlich. Der BFH vertrat darin die Auffassung, dass auch bei einer negativen Summe der Einkünfte von mehr als 410 € eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von Amts wegen durchzuführen sei.
2.2 Anwendung der Regeln über den Verlustausgleich (Mindestbesteuerung – § 2 Abs. 3 EStG a. F.)
Mit (BStBl 2006 II S. 801) hat der BFH entschieden, dass die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i. S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG unter Beachtung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln ist. Übersteigt die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 3 EStG vorgeschriebenen Verhältnisrechnung den Betrag von 800 DM (410 €), sind die Steuerpflichtigen demnach von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen.
3. Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
3.1 Änderung durch das JStG 2008
§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG regelte bisher, dass der Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen ist. Durch das Jahressteuergesetz 2008 ist die zweijährige Antragsfrist aufgehoben worden. Nach § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG ist diese Änderung erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden.
Darüber hinaus ist sie für Veranlagungszeiträume vor 2005 anzuwenden, wenn der Antrag auf Veranlagung bis zum (= Tag der Verkündigung des JStG 2008 im BGBl) beim Finanzamt eingegangen ist und über den Antrag am noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist. Die Neuregelung gilt somit nicht für Fälle, in denen der Antrag auf Veranlagung für einen Veranlagungszeitraum vor 2005 erst nach dem beim Finanzamt eingeht.
Gegen diese Verwaltungsauffassung hat der BStBl 2010 II S. 406, entschieden, dass ein Stpfl. der ausschließlich Arbeitslohn bezieht und den Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 erst nach dem stellt – soweit Verjährungsfristen nicht entgegensteht –, zu veranlagen ist. Entsprechende Fälle, die bisher von der Bearbeitung zurückgestellt wurden, bitte ich in diesem Sinne zu erledigen. Hinsichtlich der Anwendung der Anlaufhemmung weise ich darauf hin, dass das Urteil keine Ausführungen zur Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthält.
Die Frage, ob die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch für Fälle der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu berücksichtigen ist, wurde inzwischen von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder erörtert. Danach ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 AO nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige zwar berechtigt aber nicht verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben.
Der Anwendungserlass zu § 170 AO wurde mit Wirkung zum um folgenden Absatz erweitert:
„Ist der Steuerpflichtige nur berechtigt, nicht jedoch verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben, wie z. B. bei der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, greift die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 AO nicht”.
Diese Auffassung der Finanzverwaltung entspricht auch dem BFH/NV 2010, 1080. In diesem Streitfall lehnte der BFH die Gewährung der Anlaufhemmung bei verspäteter Wahl der getrennten Veranlagung ab. Er weist in seiner Begründung darauf hin, dass die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ausscheidet, wenn der Steuerpflichtige nicht zur Abgabe einer Erklärung gesetzlich verpflichtet und zur Erklärungsabgabe auch nicht aufgefordert worden ist (siehe hierzu § 149 Abs. 1 S. 2 AO).
Der BFH hat mit Urteilen vom (, und ) entschieden, dass bei einer Antragsveranlagung die dreijährige Anlaufhemmung nicht in Betracht kommt und damit im Ergebnis keine siebenjährige Festsetzungsfrist gilt. Der BFH stellt erneut klar, dass die Festsetzungsfrist nicht nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO gehemmt wird, wenn keine Steuererklärung einzureichen ist. Auch bestehen keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen eine unterschiedliche Behandlung zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung, da Art. 3 Abs. 1 GG lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte verlangt. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch Sachunterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO soll nach Rechtsprechung des BFH verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird.
Da das Urteil vom noch nicht im Bundessteuerblatt II veröffentlicht wurde (somit noch nicht über den entschiedenen Fall hinaus allgemein anzuwenden ist) und darüber hinaus zur gleichen Thematik noch weitere Verfahren beim BFH anhängig sind (VI R 68/10, VI R 77/10, VI R 16/11 und VI R 17/11), bestehen keine Bedenken, derartige Einsprüche zunächst weiter von der Bearbeitung zurückzustellen.
3.2 § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide
In den Fällen, in denen über den Einkommensteueranspruch bereits durch bestandskräftigen Bescheid entschieden worden ist, vermag auch ein fristgerechter Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG keine erneute Entscheidung über diesen Anspruch herbeizuführen, da § 46 EStG keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits bestandskräftiger Steuerbescheide enthält, vgl. ( BStBl 2006 II S. 806). Zu prüfen bleibt allerdings, ob eine Änderung nach den Vorschriften der Abgabenordnung in Betracht kommt.
OFD Frankfurt/M. v. - S
2270 A - 11 - St
216
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
ESt-Kartei
HE § 36
EStG Karte 2
EAAAD-93408