Kaufkraftausgleich und Auslandsbezüge: Steuerbefreiung von Auslandsbezügen mit Europarecht vereinbar
Leitsatz
Art. 39 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 3 Nr. 64 des Einkommensteuergesetzes nicht entgegensteht, wonach Zulagen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die einem Beamten eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet, zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts am Dienstort gewährt werden, bei der Bestimmung des auf andere Einkünfte des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten in dem ersten Mitgliedstaat anwendbaren Steuersatzes unberücksichtigt bleiben, während vergleichbare Zulagen, die einem Beamten dieses anderen Mitgliedstaats gewährt werden, der im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats arbeitet, bei der Bestimmung dieses Steuersatzes berücksichtigt werden.
Gesetze: EStG § 3 Nr. 64EStG § 32bEG Art. 39
Instanzenzug: ,
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 EG, 18 EG und 39 EG.
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Schulz-Delzers und Herrn Schulz (im Folgenden zusammen: Eheleute Schulz) einerseits sowie dem Finanzamt Stuttgart III (im Folgenden: Finanzamt) andererseits über Einkommensteuerbescheide des Finanzamts für die Jahre 2005 und 2006.
Rechtlicher Rahmen
Einkommensbesteuerung in Deutschland
Die Einkommensbesteuerung war in Deutschland in den Jahren 2005 und 2006 durch das Einkommensteuergesetz (EStG) in der für diese Jahre geltenden Fassung geregelt.
Nach § 1 EStG sind u. a. natürliche Personen unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Der Einkommensteuersatz wird nach einem progressiven Tarif festgelegt, wobei der Steuersatz entsprechend der Höhe der Einkommen ansteigt. Dieser Tarif spiegelt eine Bewertung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen durch den Gesetzgeber auf der Grundlage der Lebensbedingungen in Deutschland wider.
Bestimmte Einkünfte sind von der Einkommensteuer freigestellt. Dabei wird unterschieden zwischen Einkünften, die zwar nicht selbst besteuert werden, aber bei der Berechnung des auf andere Einkünfte anwendbaren Steuersatzes durch Anwendung des progressiven Steuertarifs berücksichtigt werden, und solchen, die dabei nicht berücksichtigt werden. Erstere werden als steuerfreie Einkünfte unter Progressionsvorbehalt bezeichnet.
Wenn aufgrund des Progressionsvorbehalts bestimmte steuerfreie Einnahmen bei der Bemessung des auf die übrigen Einnahmen anwendbaren Steuersatzes berücksichtigt werden, bringt dies eine Bewertung des Gesetzgebers hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Betroffenen zum Ausdruck. Ein Steuerpflichtiger, der dem Progressionsvorbehalt unterliegende steuerfreie Einnahmen erzielt, ist nach Ansicht des Gesetzgebers leistungsfähiger als ein Steuerpflichtiger ohne diese Einnahmen. Folglich werden dabei eine Reihe grundsätzlich steuerfreier Lohnersatzleistungen, wie vor allem das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe, berücksichtigt. Diese dienen nämlich nicht dem Ausgleich bestimmter Lasten, sondern sollen den Personen, die sie beziehen, hinreichende Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts im Allgemeinen gewährleisten.
Hat der Gesetzgeber dagegen eine Steuerbefreiung ohne Berücksichtigung des betreffenden Einkommens im Rahmen des Progressionsvorbehalts vorgesehen, geht er davon aus, dass das steuerfreie Einkommen auch hinsichtlich der übrigen Einkünfte nicht als Element der Leistungsfähigkeit angesehen werden kann.
Um die Steuerprogression bei der Einkommensteuer für Ehegatten mit unterschiedlich hohen Einkommen zu mildern, hat der deutsche Gesetzgeber zugunsten der verheirateten und nicht dauernd getrennt lebenden unbeschränkt Steuerpflichtigen ein System der Zusammenveranlagung eingeführt, bei dem unter Anwendung des "Splitting-Verfahrens" für sie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage ermittelt wird. Dazu werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte zusammengerechnet und ihnen gemeinsam zugerechnet. Die Einkommensteuer beträgt bei Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens ergibt.
Besteuerung von Einkünften in Deutschland, die von einer französischen Behörde gewährt werden
Das am in Paris unterzeichnete Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (Bundesgesetzblatt 1961 II S. 397), zuletzt geändert durch das am in Paris unterzeichnete Zusatzabkommen (Bundesgesetzblatt 2002 II S. 2370) (im Folgenden: deutsch-französisches DBA), sieht in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 das "Kassenstaatsprinzip" vor, wonach Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts eines Vertragsstaats an in dem anderen Staat ansässige natürliche Personen für gegenwärtige Dienstleistungen in der Verwaltung zahlt, nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden können.
Art. 20 Abs. 1 des deutsch-französischen DBA bestimmt zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, dass die aus Frankreich stammenden Einkünfte, die nach diesem Abkommen in Frankreich besteuert werden können, bei Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden. Ergänzend heißt es, dass diese Bestimmung das Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht einschränkt, die auf diese Weise ausgenommenen Einkünfte bei der Festsetzung ihres Steuersatzes zu berücksichtigen.
Diese Bestimmungen gelten sowohl für das Grundgehalt französischer Beamter mit Wohnsitz in Deutschland als auch für Auslandszulagen, die diese aufgrund ihres Aufenthalts in Deutschland beziehen.
§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG sieht vor:
"Hat ein zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger ...
...
3. Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung oder einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerfrei sind ..., bezogen, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden."
§ 32b Abs. 2 Nr. 2 bestimmt:
"Der besondere Steuersatz nach Absatz 1 ist der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um
...
2. im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 die dort bezeichneten Einkünfte, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind."
Besteuerung von Auslandszulagen in Deutschland, die im Ausland arbeitenden deutschen Steuerpflichtigen gewährt werden
Die Einkünfte von in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Personen, die als Beamte im Ausland arbeiten, werden zwar in Deutschland besteuert, jedoch sind etwaige ihnen aufgrund der Entsendung ins Ausland gewährte Zulagen in Deutschland von der Einkommensteuer freigestellt und unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt.
§ 3 Nr. 64 EStG sieht vor:
"[Steuerfrei sind] bei Arbeitnehmern, die zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen, die Bezüge für eine Tätigkeit im Ausland insoweit, als sie den Arbeitslohn übersteigen, der dem Arbeitnehmer bei einer gleichwertigen Tätigkeit am Ort der zahlenden öffentlichen Kasse zustehen würde. Satz 1 gilt auch, wenn das Dienstverhältnis zu einer anderen Person besteht, die den Arbeitslohn entsprechend den im Sinne des Satzes 1 geltenden Vorschriften ermittelt, der Arbeitslohn aus einer öffentlichen Kasse gezahlt wird und ganz oder im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln aufgebracht wird. Bei anderen für einen begrenzten Zeitraum in das Ausland entsandten Arbeitnehmern, die dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist der ihnen von einem inländischen Arbeitgeber gewährte Kaufkraftausgleich steuerfrei, soweit er den für vergleichbare Auslandsdienstbezüge nach § 54 des Bundesbesoldungsgesetzes zulässigen Betrag nicht übersteigt."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die Eheleute Schulz sind in Deutschland wohnhaft und haben zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Sie sind im Sinne von § 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig und haben die gemeinsame Veranlagung zur Einkommensteuer gewählt, um in den Genuss einer vorteilhafteren gemeinsamen Bemessungsgrundlage zu kommen.
Herr Schulz ist deutscher Staatsangehöriger und bezog in den Jahren 2005 und 2006 Einkünfte aus seiner Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt.
Frau Schulz-Delzers ist französische Staatsangehörige und arbeitet in Deutschland als Beamtin des französischen Staates als Lehrerin an einer deutsch-französischen Grundschule. In den Jahren 2005 und 2006 bezog sie vom französischen Staat zusätzlich zu ihrem Gehalt zwei Zulagen, die nach Art. 14 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des deutsch-französischen DBA in Deutschland wie ihr Gehalt von der Besteuerung unter Beachtung des Progressionsvorbehalts freigestellt sind.
Bei diesen beiden Zulagen handelt es sich um
- eine von den Lebensbedingungen vor Ort abhängige Zulage, die im Ausland tätigen Beamten nach Art. 4B Buchst. d des Dekrets Nr. 2002-22 vom über die verwaltungsmäßige und finanzielle Situation des Personals französischer Bildungseinrichtungen im Ausland (JORF vom , S. 387) vom französischen Staat als Kaufkraftausgleich gewährt wird und 2005 monatlich 437,41 Euro sowie 2006 monatlich 444,08 Euro betrug und
- eine für unterhaltsberechtigte Kinder eines im Ausland tätigen Beamten des französischen Staates gewährte "Familienzulage" ("majoration familiale") nach Art. 4B Buchst. e des Dekrets Nr. 2002-22, die in diesen beiden Jahren monatlich 134,20 Euro bzw. 136,41 Euro betrug.
Das Gehalt, das Frau Schulz-Delzers in den beiden im Ausgangsverfahren streitigen Jahren erzielte, wurde in Frankreich der Einkommensbesteuerung unterworfen. Die beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Zulagen wurden hingegen in Frankreich als nach französischem Recht steuerfreie Einkünfte nicht besteuert.
Das Finanzamt berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2005 und 2006 die Steuerfreiheit dieser beiden Zulagen, unterwarf sie jedoch - ebenso wie das restliche Gehalt von Frau Schulz-Delzers - nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrags in Höhe von jeweils 920 Euro in beiden Jahren dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 EStG. Durch diese Berücksichtigung der genannten Zulagen erhöhte sich die gegenüber den Eheleuten Schulz festgesetzte Einkommensteuer im Jahr 2005 um 654 Euro und im Jahr 2006 um 664 Euro.
Gegen diese Steuerbescheide legten die Eheleute Schulz Einsprüche ein, die mit den Einspruchsentscheidungen vom als unbegründet zurückgewiesen wurden.
Mit Klage vom fochten die Eheleute Schulz beim vorlegenden Gericht die Berücksichtigung der beiden im Ausgangsverfahren fraglichen Zulagen bei der Berechnung des für die anderen Einkünfte geltenden Steuersatzes durch Anwendung des progressiven Steuertarifs an. Sie beantragen, die von Frau Schulz-Delzers bezogenen Zulagen nicht dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Ihrer Ansicht nach verstößt die Unterwerfung unter den Progressionsvorbehalt gegen Art. 39 EG, da gleichartige Zulagen, die unter den in § 3 Nr. 64 EStG festgelegten Voraussetzungen bezogen würden, nicht dem Progressionsvorbehalt unterlägen.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist § 3 Nr. 64 EStG geeignet, einen französischen Beamten davon abzuhalten, im Auftrag seines Dienstherrn in Deutschland tätig zu werden, da die im Ausgangsverfahren fraglichen Zulagen bei der Berechnung des besonderen Steuersatzes berücksichtigt würden, während ein außerhalb Deutschlands arbeitender deutscher Arbeitnehmer gleichartige Zulagen beziehe, ohne dass diese dem Progressionsvorbehalt unterworfen würden.
§ 3 Nr. 64 EStG stelle abgesehen von einem Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 bis 3 EG auch eine versteckte Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit dar, weil in der Regel deutsche Staatsangehörige in einem Arbeitsverhältnis zu einer deutschen juristischen Person des öffentlichen Rechts stünden und § 3 Nr. 64 EStG somit in erster Linie diesen zugutekomme.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Baden-Württemberg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. a) Ist § 3 Nr. 64 EStG mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) vereinbar?
b) Beinhaltet § 3 Nr. 64 EStG eine nach Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) verbotene versteckte Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit?
2. Wenn Frage 1 zu verneinen ist: Ist § 3 Nr. 64 EStG mit der Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) vereinbar?
Zu den Vorlagefragen
Zunächst ist festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in den Nrn. 39 bis 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, von den vom vorlegenden Gericht in seinen Fragen angeführten Vorschriften des EG-Vertrags im Ausgangsverfahren allein Art. 39 EG anwendbar ist.
Denn erstens kann Art. 12 EG, der ein allgemeines Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausspricht, in eigenständiger Weise nur auf unionsrechtlich geregelte Sachverhalte angewendet werden, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht. Das Diskriminierungsverbot wurde aber für den Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch Art. 39 EG umgesetzt (vgl. u. a. Urteil vom , Kommission/Deutschland, C-269/07, Slg. 2009, I-7811, Randnrn. 98 und 99 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Zweitens findet Art. 18 EG, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, in Art. 39 EG einen besonderen Ausdruck in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. Urteil vom , Leyman, C-3/08, Slg. 2009, I-9085, RandNr. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum einen ist unstreitig, dass Frau Schulz-Delzers Frankreich verließ, um in Deutschland ihren Wohnsitz zu nehmen, und zum anderen ist ihre Rechtsstellung als Arbeitnehmerin im Sinne von Art. 39 EG unstreitig. Die Vorlagefragen sind daher im Licht dieser Vorschrift zu prüfen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Leyman, Randnrn. 18 bis 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Vereinbarkeit von § 3 Nr. 64 EStG mit Art. 39 EG im Ausgangsverfahren nur insoweit aufgeworfen wird, als § 3 Nr. 64 auf Zulagen anwendbar ist, die im Ausland arbeitende deutsche Beamte beziehen, während er für Zulagen, die in Deutschland arbeitende Beamte eines anderen Mitgliedstaats beziehen, nicht gilt. Hingegen wird der Umstand, dass diese Vorschrift des deutschen Rechts u. a. nicht für Zulagen gilt, die Beamte eines anderen Mitgliedstaats beziehen, die in Deutschland steuerpflichtig sind und in einem dritten Mitgliedstaat arbeiten, nicht in Frage gestellt.
Unter diesen Umständen müssen die Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, so verstanden werden, dass geklärt werden soll, ob Art. 39 EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 3 Nr. 64 EStG entgegensteht, wonach Zulagen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die einem Beamten eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet, zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts am Dienstort gewährt werden, bei der Bestimmung des auf andere Einkünfte des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten in diesem ersten Mitgliedstaat anwendbaren Steuersatzes unberücksichtigt bleiben, während vergleichbare Zulagen, die einem Beamten dieses anderen Mitgliedstaats gewährt werden, der im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats arbeitet, bei der Bestimmung dieses Steuersatzes berücksichtigt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung steht Art. 39 EG zum einen nicht nur offensichtlichen Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch allen versteckten Formen der Diskriminierung entgegen, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteil vom , Schumacker, C-279/93, Slg. 1995, I-225, RandNr. 26) und zum anderen verbietet diese Vorschrift jede Bestimmung, sei sie auch unterschiedslos anwendbar, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindert oder davon abhält, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (Urteil vom , de Groot, C-385/00, Slg. 2002, I-11819, RandNr. 78).
Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass Frau Schulz-Delzers, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, im Aufnahmestaat nicht weniger günstig behandelt wird, als ein Angehöriger dieses Mitgliedstaats bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt behandelt würde. Denn § 3 Nr. 64 EStG ist seinem Wesen nach nicht auf Steuerpflichtige anwendbar, die in Deutschland arbeiten, und gewährt ausschließlich den außerhalb Deutschlands arbeitenden Steuerpflichtigen einen Vorteil.
Daraus folgt, dass Art. 39 EG im Ausgangsverfahren nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, wenn die Weigerung, diesen Vorteil einem Steuerpflichtigen zu gewähren, der sich in der Situation von Frau Schulz-Delzers befindet, aus anderen Gründen als diskriminierend eingestuft werden könnte, was voraussetzte, dass die Situation von Frau Schulz-Delzers mit derjenigen der durch diesen Vorteil Begünstigten vergleichbar wäre.
Es ist aber festzustellen, dass eine solche Vergleichbarkeit im Licht des mit der Anwendung eines progressiven Steuertarifs verfolgten Zwecks nicht gegeben ist, der, wie in den Randnrn. 5 bis 8 des vorliegenden Urteils dargelegt, notwendigerweise auf einer Bewertung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auf der Grundlage der Lebensbedingungen in dem betreffenden Mitgliedstaat beruht.
Unter diesem Aspekt steigern Zulagen wie die von § 3 Nr. 64 EStG erfassten, die dem Begünstigten lediglich ermöglichen sollen, trotz höherer Lebenshaltungskosten im Ausland dieselben Lebensbedingungen beizubehalten, die er in Deutschland genossen hat, nicht die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und werden somit nicht im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt.
Hingegen sind die Zulagen, die Frau Schulz-Delzers in Deutschland erhält, eindeutig dazu bestimmt, ihre Entlohnung an die Lebenshaltungskosten in Deutschland anzupassen, so dass sie ihre Leistungsfähigkeit, wie sie auf der Grundlage der Lebensbedingungen in diesem Mitgliedstaat bewertet wird, erhöhen; infolgedessen werden sie im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt.
Der Umstand, dass die genannten Zulagen aus der Sicht des französischen Gesetzgebers dem Begünstigten lediglich ermöglichen sollen, trotz höherer Lebenshaltungskosten in Deutschland dieselben Lebensbedingungen beizubehalten, die er in Frankreich genossen hat, ist insoweit unerheblich, da die Vergleichbarkeit der Sachverhalte notwendigerweise nur im Rahmen ein und desselben Steuersystems beurteilt werden kann, und in Ermangelung von Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen auf Unionsebene die Mitgliedstaaten dafür zuständig bleiben, die Kriterien für die Besteuerung der Einkünfte festzulegen.
Dass die Wahl der Eheleute Schulz, gemeinsam zur Steuer veranlagt zu werden, um in den Genuss einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage zu kommen, die vorteilhafter ist als zwei getrennte Bemessungsgrundlagen, zur Berücksichtigung der an Frau Schulz-Delzers gezahlten Zulagen bei der Berechnung des Steuersatzes nach Maßgabe eines progressiven Steuertarifs geführt hat, ist also nicht die Folge einer Diskriminierung im Sinne von Art. 39 EG, sondern die der Anwendung der Kriterien für die Besteuerung, die die Mitgliedstaaten festzulegen haben.
Insoweit ist zu beachten, dass der Vertrag einem Unionsbürger nicht garantiert, dass die Verlegung seiner Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, in dem er bis dahin gewohnt hat, steuerneutral ist. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich kann eine solche Verlegung für diesen Bürger je nach dem Einzelfall mehr oder weniger vorteilhaft oder nachteilig sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Lindfors, C-365/02, Slg. 2004, I-7183, RandNr. 34, und vom , Schempp, C-403/03, Slg. 2005, I-6421, RandNr. 45).
Auf die vorgelegten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 39 EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 3 Nr. 64 EStG nicht entgegensteht, wonach Zulagen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die einem Beamten eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet, zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts am Dienstort gewährt werden, bei der Bestimmung des auf andere Einkünfte des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten in dem ersten Mitgliedstaat anwendbaren Steuersatzes unberücksichtigt bleiben, während vergleichbare Zulagen, die einem Beamten dieses anderen Mitgliedstaats gewährt werden, der im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats arbeitet, bei der Bestimmung dieses Steuersatzes berücksichtigt werden.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 39 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 3 Nr. 64 des Einkommensteuergesetzes nicht entgegensteht, wonach Zulagen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die einem Beamten eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet, zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts am Dienstort gewährt werden, bei der Bestimmung des auf andere Einkünfte des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten in dem ersten Mitgliedstaat anwendbaren Steuersatzes unberücksichtigt bleiben, während vergleichbare Zulagen, die einem Beamten dieses anderen Mitgliedstaats gewährt werden, der im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats arbeitet, bei der Bestimmung dieses Steuersatzes berücksichtigt werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAD-92210