BAG Urteil v. - 10 AZR 92/10

Tarifliche Übergangsversorgung - Beitragspflicht zur Rentenversicherung - keine ergänzende Auslegung des TV-Übergangsversorgung Fluglotsen

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 22 Ca 9163/03 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 7 Sa 25/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Auszahlung fiktiver Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung für die Dauer einer tariflichen Übergangsversorgung.

2Die Beklagte ist ein aus der ehemaligen Bundesanstalt für Flugsicherung (im Folgenden: BFS) hervorgegangenes privates Flugsicherungsunternehmen. Sie nimmt die operativen Flugsicherungsaufgaben für den gesamten deutschen Luftraum wahr.

Die Kläger sind die Erben des am verstorbenen K. Der am geborene K war seit 1973 als beamteter Fluglotse für die BFS und seit 1993 als angestellter Fluglotse für die Beklagte tätig. Er schied zum aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten aus, nachdem die fliegerärztliche Untersuchungsstelle seine Untauglichkeit für die Tätigkeit im Flugverkehrskontrolldienst festgestellt hatte. Er bezog seit dem ein monatliches Übergangsgeld auf der Grundlage des „Tarifvertrags über den Ausgleich des dauernden Verlustes der Tauglichkeit gemäß FSPAV für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Fluglotsen (Loss of Licence-TV) vom “. § 3 Abs. 3 des Loss of Licence-TV bestimmt:

Im „Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Fluglotsen (Ü-VersTV-Lotsen)“ vom idF des Änderungstarifvertrags vom heißt es ua.:

5Der Entwurf des § 4 Ü-VersTV-Lotsen enthielt eine Passage, nach der die betreffenden Arbeitnehmer vollständig aus dem Erwerbsleben ausscheiden sollten bzw. mussten. Diese Bestimmung war auf Betreiben der Gewerkschaften gestrichen worden.

Mit Schreiben vom übersandte die Beklagte K einen „Vertrag zur Übergangsversorgung“. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

7K unterzeichnete den Vertragsentwurf, der ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zum vorsah, nicht. Ab dem erhielt er Übergangsgeld, für das die Beklagte zunächst die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung an die zuständige Beitragseinzugsstelle der Barmer Ersatzkasse (im Folgenden: BEK) abführte. Auf Antrag von K stellte die BEK mit Bescheid vom fest, dass die ihm gewährte Übergangsversorgung keine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI begründe. Den Widerspruch der Beklagten wies die BEK mit Bescheid vom zurück. Auf die Klage der Beklagten stellte das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom (- S 25 KR 3729/02 -) fest, dass das Übergangsgeld der Rentenversicherungspflicht unterliegt. Hiergegen legte K als Beigeladener Berufung ein, der das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom (- L 8/14 KR 354/04 -) stattgab. Das Bundessozialgericht wies mit Urteil vom (- B 12 R 10/07 R -) die Revision der Beklagten zurück. Daraufhin erstattete die BEK die an sie abgeführten Beiträge anteilig an die Parteien. Seither zahlte die Beklagte die fiktiven Arbeitnehmer-, nicht aber die Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung an K aus.

8Die Kläger haben von der Beklagten die Zahlung der fiktiven Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung in Höhe von zuletzt monatlich 527,35 Euro für den Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2008 begehrt. Sie haben die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse einen Ausgleich dafür leisten, dass die Übergangsversorgung nicht der Rentenversicherungspflicht unterliegt. Der Ü-VersTV-Lotsen enthalte eine unbewusste Regelungslücke. Er gehe davon aus, dass Mitarbeiter, die von der Rentenversicherungspflicht befreit seien, einen Zuschuss in Höhe des Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung erhalten sollten. § 6 Abs. 2 Ü-VersTV-Lotsen sei Bestandteil eines Gesamtversorgungskonzepts. Um den in ein Arbeitsverhältnis gewechselten beamteten Fluglotsen ihren Versorgungsbesitzstand zu erhalten, hätten die Tarifvertragsparteien das Übergangsgeld entweder der Rentenversicherungspflicht unterwerfen oder den Mitarbeitern einen Zuschuss gewähren wollen. Es gäbe ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis ihrer sozialversicherungsrechtlichen Fehleinschätzung allen Übergangsversorgten eine entsprechende Regelung wie in § 6 Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen verschafft hätten. Der einzige Unterschied zum direkten Anwendungsfall des § 6 Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen liege darin, dass der Erblasser eine sog. aufgeschobene Rentenversicherung mit Mindestlaufzeit erst nach Eintritt in die Übergangsversorgung abgeschlossen habe, für die er jährlich ca. 14.000,00 Euro aufgewendet habe.

Die Kläger haben zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass die tariflichen Regelungen keine unbewusste Regelungslücke enthielten. § 6 Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen sei eine Ausnahmevorschrift. Der Erblasser hätte den begehrten „Zuschuss“ in Form des fiktiven Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung erhalten können, wenn er nicht durch seine Prozessführung im sozialgerichtlichen Verfahren die Auszahlung selbst vereitelt hätte. Im Übrigen hätten die Tarifvertragsparteien die von den Klägern angenommene Regelungslücke zur Vermeidung von Doppelleistungen nicht zwingend in der von ihm gewünschten Weise schließen müssen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger das Klagebegehren mit ihrem allein noch anhängigen Hauptantrag weiter.

Gründe

12Die Revision ist unbegründet. Die Kläger haben als Erben nach dem verstorbenen K (§ 1922 BGB) keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten fiktiven Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung für den Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2008.

13I. Eine ausdrückliche vertragliche Zusage dieser Leistung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

14II. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 Loss of Licence-TV in Verbindung mit den Regelungen des Ü-VersTV-Lotsen, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden.

151. Der Loss of Licence-TV regelt ein Übergangsgeld nicht ausdrücklich, sondern verweist bei einem dauernden Verlust der Tauglichkeit in seinem § 3 Abs. 3 auf den Ü-VersTV-Lotsen.

162. Die Tarifregelungen des Ü-VersTV-Lotsen gewähren den begehrten Anspruch nicht.

17a) Einen Zuschuss in Höhe der fiktiven Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung sieht § 6 Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen nur in den Fällen vor, in denen der Mitarbeiter von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war und die Beklagte ihm vor Beginn der Übergangsversorgung einen Zuschuss zur befreienden Lebensversicherung gezahlt hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da der Erblasser weder von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit war noch von der Beklagten vor Beginn der Übergangsversorgung einen Zuschuss zur befreienden Lebensversicherung erhalten hat.

18b) Aus § 6 Abs. 2 Ü-VersTV-Lotsen lässt sich der begehrte Anspruch nicht herleiten.

19§ 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen ist keine Anspruchsgrundlage ( - Rn. 33, AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 32). Die Tarifnorm enthält lediglich einen deklaratorischen Hinweis auf die sozialrechtlichen Folgen der Zahlung von Übergangsgeld (vgl.  - Rn. 33, aaO). Sie kann nicht so verstanden werden, dass die Beklagte hierdurch zur Leistung der Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung an die Arbeitnehmer verpflichtet oder das Übergangsgeld einer Beitragspflicht zur Rentenversicherung unabhängig vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unterworfen werden sollte. Dies gilt schon deshalb, weil die Tarifvertragsparteien über die Sozialversicherungspflicht einer Leistung nicht disponieren können. Die Sozialversicherungspflicht bestimmt sich ausschließlich nach den anwendbaren sozialversicherungsrechtlichen Regelungen ( - Rn. 33, aaO). Hiervon sind die Tarifvertragsparteien bei Schaffung der Tarifnormen offensichtlich auch ausgegangen, wie bereits die Formulierung „unterliegt“ in § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen deutlich macht.

203. Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich der begehrte Anspruch auch nicht aufgrund einer ergänzenden Auslegung des Ü-VersTV-Lotsen. Eine solche ergänzende Auslegung scheitert bereits daran, dass keine Regelungslücke vorliegt, die von den Gerichten für Arbeitssachen geschlossen werden könnte. Zudem wäre - selbst bei einer unterstellten Tariflücke - diese nicht zwingend in dem von den Klägern vertretenen Sinne zu schließen.

21a) Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine unbewusste tarifliche Regelungslücke nicht gegeben. Mit § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen wollten die Tarifvertragsparteien keine Verpflichtung begründen oder eine Zusage erteilen und das Übergangsgeld der Beitragspflicht zur Rentenversicherung unterwerfen. Vielmehr haben sie, wie im Übrigen § 6 Abs. 2 Satz 2 Ü-VersTV-Lotsen zeigt, lediglich die vorgefundene sozialversicherungsrechtliche Situation deklaratorisch wiedergeben wollen. Die Tarifregelungen setzen die gesetzliche Beitragspflicht voraus, begründen sie hingegen nicht. Der Wille der Tarifvertragsparteien, eine Zusage in dem von den Klägern angenommenen Sinne anzunehmen, müsste in der Tarifnorm seinen klaren Niederschlag gefunden haben (vgl.  - Rn. 35, AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 32), was jedoch gerade nicht der Fall ist. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Verzicht der ursprünglich im Entwurf vorgesehenen Regelung des § 4 Ü-VersTV-Lotsen schließen. Aus der Streichung kann nicht auf den eindeutigen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden, den Übergangsversorgten den fiktiven Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung als Anteil der Übergangsversorgung ohne Wenn und Aber zu verschaffen (siehe auch  - Rn. 36, aaO).

22b) Selbst bei Vorliegen einer unbewussten Tariflücke hätte die Klage auch aus anderen Grünen keinen Erfolg.

23(aa) Eine unbewusste tarifliche Regelungslücke kann von den Gerichten für Arbeitssachen nur dann geschlossen werden, wenn sich im Tarifvertrag sichere Anhaltspunkte finden lassen, wie die Tarifvertragsparteien diese geschlossen hätten. Fehlen solche sicheren Orientierungshilfen, kommen insbesondere mehrere Möglichkeiten zur Lückenschließung in Betracht, kann ein mutmaßlicher Wille der Tarifvertragsparteien nicht festgestellt werden (vgl. Krause in Jacobs/Krause/Oetker Tarifvertragsrecht § 4 Rn. 197 ff.; Däubler TVG 2. Aufl. Einl. Rn. 522 ff.; Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 1034 ff.). Eine Lückenschließung durch die Arbeitsgerichte ist in diesem Fall unzulässig. Sie würde in die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien eingreifen. Eine Neuregelung oder Ergänzung bleibt den Tarifvertragsparteien vorbehalten und überlassen (vgl.  - Rn. 13, BAGE 124, 210; - 4 AZR 558/05 - Rn. 24, BAGE 120, 72; - 4 AZR 569/79 - BAGE 36, 218). Die Arbeitsgerichte können nicht gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen schaffen oder eine schlechte Verhandlungsführung der Tarifvertragsparteien ausgleichen, indem sie „Vertragshilfe“ leisten (siehe  - Rn. 26, AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 32).

24(bb) Im Entscheidungsfall kommen durchaus verschiedene Lösungen in Betracht. Die Tarifvertragsparteien hätten sich sowohl für als auch gegen eine Zahlung der fiktiven Arbeitgeberanteile entscheiden oder andere differenzierte Lösungen entwickeln können, beispielsweise durch den Abschluss von unterschiedlichen Versorgungsergänzungsverträgen. Dies verdeutlicht im Übrigen auch die derzeit von den Tarifvertragsparteien diskutierte Neuregelung, die eine bestimmte Regelung der Übergangsversorgung ins Auge gefasst hat. Es würde deshalb einen unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Tarifvertragsparteien darstellen, wenn die Gerichte für Arbeitssachen entscheiden könnten, welche Lösung ihnen sachgerecht und angemessen erschiene.

25III. Andere Ansprüche haben die Kläger mit der Revision nicht mehr geltend gemacht.

IV. Die Kläger haben nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

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Fundstelle(n):
GAAAD-91420