BAG Urteil v. - 10 AZR 62/09

Vertragsauslegung - Beihilfeanspruch nach Ausscheiden wegen Erreichens des gesetzlichen Rentenalters

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 2 Abs 1 Nr 2 BhV

Instanzenzug: Az: 36 Ca 1798/06 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 7 Sa 101/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger über den hinaus Beihilfe entsprechend den für Beamte des Bundes jeweils geltenden Bestimmungen zu gewähren.

2Der Kläger war auf der Basis des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 16./ bei der F-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. (FhG) ab als Wissenschaftler und Mitglied der Leitung des FhG-Instituts für Atmosphärische Umweltforschung beschäftigt.

Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:

Der Kläger sandte der FhG den von ihm unterzeichneten Vertrag mit Schreiben vom zurück. In diesem heißt es ua.:

5Auf dieses Schreiben reagierte die FhG nicht.

Die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags geltende „Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen“ (Beihilfevorschriften - BhV -) vom (GMBl. S. 290) lautete auszugsweise:

7Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging mit Wirkung zum auf die F GmbH, die Rechtsvorgängerin der nunmehrigen Beklagten, über.

8Nach Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres des Klägers endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des gemäß § 13 Abs. 4 Buchst. a des Arbeitsvertrags vom 16./. Mit Arbeitsvertrag vom hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger eine Fortsetzung seiner Tätigkeit bis zum Dienstantritt des neu berufenen Institutsleiters vereinbart.

Dieser Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:

10Die Beklagte gewährte dem Kläger nach dem keine Beihilfe mehr.

11Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe einen Anspruch auf Beihilfe über das Ende seines Arbeitsverhältnisses hinaus. Eine Begrenzung auf die Laufzeit des ursprünglichen Vertrags enthalte § 4 des Arbeitsvertrags nicht. 1997 habe ihm die Referatsleiterin in der Abteilung Personal bei der FhG, Frau C, ausdrücklich bestätigt, dass eine Beihilfeverpflichtung über das Vertragsende hinaus bestehe.

Der Kläger hat beantragt

13Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine beamtenähnliche Stellung sei dem Kläger nur für die Dauer des Arbeitsverhältnisses zugesagt worden. Aus dem Schweigen der Rechtsvorgängerin auf das Schreiben vom könne nichts anderes gefolgert werden. Jedenfalls habe der Arbeitsvertrag vom das Arbeitsverhältnis auf eine neue Basis gestellt und den vorherigen Vertrag abgelöst.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

15Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 16./ einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe entsprechend den für Beamte des Bundes der (früheren) Besoldungsgruppe C 4 jeweils geltenden Bestimmungen über die altersbedingte Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses zum hinaus. Dieser Anspruch ist durch den Arbeitsvertrag vom nicht beseitigt worden.

16I. Der Beihilfeanspruch besteht gemäß § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 16./ iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Beihilfevorschriften des Bundes idF vom (zuletzt geändert durch die 28. Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom , GMBl. S. 379) bzw. ab iVm. § 2 Abs. 1 der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) über den hinaus. Die ursprünglich von der FhG eingegangene Verpflichtung ist durch die Beklagte als deren Rechtsnachfolgerin zu erfüllen.

171. Es kann dahinstehen, ob es sich bei § 4 des Arbeitsvertrags um eine typische Vertragsregelung handelt, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist (vgl. dazu  - Rn. 21 f., BB 2011, 1725; - 10 AZR 588/09 - Rn. 18 mwN, NZA 2011, 151), oder ob eine nichttypische Regelung vorliegt, deren Auslegung durch die Tatsachengerichte in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar ist, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist ( - Rn. 16 mwN). Auch bei einer vollständigen revisionsrechtlichen Überprüfung hielte die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung dieser stand.

182. Der Inhalt der vertraglichen Regelung ist nach den §§ 133157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Ausgehend vom Wortlaut der Klausel ist deren objektiver Bedeutungsgehalt zu ermitteln. Maßgebend ist dabei der allgemeine Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des vertraglichen Regelungszusammenhangs. Ein übereinstimmender Wille der Parteien geht dabei dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind auch der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck und die Interessenlage der Beteiligten sowie die Begleitumstände der Erklärung, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Die tatsächliche Handhabung des Vertragsverhältnisses kann ebenfalls Rückschlüsse auf dessen Inhalt ermöglichen ( - Rn. 22, BB 2011, 1725).

193. Bei Anwendung dieser Grundsätze konnte das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass ein Beihilfeanspruch nach den Regelungen für vergleichbare Bundesbeamte über die altersbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses am hinaus besteht.

20a) Der Wortlaut von § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist nicht eindeutig. Ihm lässt sich nicht klar entnehmen, ob der Anspruch auf Beihilfe auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses begrenzt ist. § 2 Abs. 1 Nr. 2 BhV in der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags geltenden Fassung sah einen Beihilfeanspruch auch für Ruhestandsbeamte vor, sodass eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift grundsätzlich einen Anspruch für die Zeit nach einem altersbedingten Ausscheiden gemäß § 13 Abs. 4 Buchst. a des Arbeitsvertrags erfasst. Zwar ist bei der Auslegung der vertraglichen Regelung zu berücksichtigen, dass die Vertragspflichten der Arbeitsvertragsparteien regelmäßig auf die Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses beschränkt sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Fragen der betrieblichen Altersversorgung berührt sind, zu denen die Beihilfe nicht gehört ( - Rn. 19, EzA BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 6), oder andere Regelungsbereiche, die sich typischerweise auf die Zeit nach Beendigung des Arbeitsvertrags beziehen, wie beispielsweise nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Im konkreten Einzelfall sprechen aber der vertragliche Regelungszusammenhang sowie der Regelungszweck und die Interessenlage der Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags gegen eine solche Beschränkung.

21b) Eine Gesamtbetrachtung der Regelungen des Arbeitsvertrags ergibt, dass dem Kläger eine beamtenähnliche Stellung verschafft werden sollte. Sowohl die Vergütungsregelung des Arbeitsvertrags als auch die Regelungen über Urlaub, Nebentätigkeit, Krankenbezüge und Dauer des Dienstverhältnisses sind Indizien für diesen Regelungszweck. Nach § 10 des Arbeitsvertrags werden die Beiträge zur „Angestellten- und Arbeitslosenversicherung“ - untypisch für ein Arbeitsverhältnis - in vollem Umfang vom Arbeitgeber getragen. Auch das dem Abschluss des Arbeitsvertrags vorausgegangene Schreiben der FhG vom benennt dieses Ziel deutlich.

22Zu berücksichtigen ist auch das Schreiben des Klägers vom , dass er der FhG zusammen mit dem unterschriebenen Arbeitsvertrag vom 16./ übersandt hatte. Dabei handelt es sich um die Offenlegung des Vertragsverständnisses des Klägers im Hinblick auf eine interpretationsbedürftige Regelung gegenüber der anderen Vertragspartei. Reagiert diese darauf nicht, kann dies ein redlicher Vertragspartner nur so verstehen, als entspreche die abgegebene Interpretation derjenigen beider Vertragsparteien.

23c) Die hiergegen von der Revision vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

24aa) Zwar ist zutreffend, dass ein privater Arbeitgeber regelmäßig solche (kostenintensiven) Leistungen für den Krankheitsfall nicht über den Bestand des Arbeitsverhältnisses hinaus gewähren will. Im Entscheidungsfall liegen jedoch besondere Umstände vor, die einer solchen Vermutung entgegenstehen. Bei der FhG handelte es sich um eine öffentlich geförderte Institution des Wissenschaftsbetriebs, die bei der Werbung um qualifiziertes Personal insbesondere mit den Universitäten in Konkurrenz stand. Da ihr die Dienstherrneigenschaft fehlte und sie deshalb keine Beamtenverhältnisse begründen konnte, konnte sie in diesem Wettbewerb nur erfolgreich sein, wenn sie Bewerbern durch die Gestaltung der Arbeitsverträge mindestens die Arbeitsbedingungen anbot, die entsprechend qualifizierten Personen im öffentlichen Dienst gewährt wurden.

25bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich aus dem Umstand, dass dem Kläger von ihr keine Altersversorgung über das Vertragsende hinaus gewährt wird, nicht der Schluss ziehen, sämtliche Vertragspflichten sollten grundsätzlich auf die Vertragslaufzeit begrenzt werden. Gemäß § 11 des Arbeitsvertrags hatte sich die FhG verpflichtet, den Kläger bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu versichern. Die Satzung der VBL sah zum damaligen Zeitpunkt ein Gesamtversorgungssystem mit dem Ziel vor, die Versorgung der Angestellten des öffentlichen Dienstes der der Beamten anzunähern. Das durch beamtenrechtliche Grundsätze geprägte Gesamtversorgungssystem wurde erst mit Wirkung zum geschlossen und durch ein Punktemodell ersetzt (vgl. dazu  - Rn. 37, NZA-RR 2009, 449). Damit war die Versorgung zwar nicht durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten selbst gewährleistet, aber diese verschaffte dem Kläger eine entsprechende Zusatzversorgung.

26II. Der Anspruch des Klägers ist nicht durch den Arbeitsvertrag vom beseitigt worden.

271. Bei diesem Vertrag handelt es sich um einen nichttypischen Vertrag. Seine Regelungen sind für die besondere Einzelfallsituation der Beschäftigung des Klägers für eine Überbrückungszeit bis zum Dienstantritt des neu berufenen Institutsleiters getroffen worden. Seine Auslegung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt deshalb nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Sie ist nur darauf überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist ( - Rn. 16 mwN). Einer solchen Überprüfung hält die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht ohne Weiteres stand.

282. Das Landesarbeitsgericht hat alle Umstände des Vertragsschlusses, seinen Inhalt und seinen Zweck berücksichtigt. Es nimmt insbesondere zutreffend an, dass Regelungen, die den Beihilfeanspruch ausdrücklich oder konkludent beseitigen, dem Vertrag vom nicht zu entnehmen sind. Die hiergegen erhobenen Angriffe der Revision vermögen nicht zu überzeugen. Zwar löst regelmäßig eine spätere, neue Vertragsregelung die frühere ab. Die Revision übersieht aber die besondere Übergangssituation, die diesem Vertrag zugrunde lag. In einem solchen Fall braucht es besondere Anhaltspunkte für die Annahme der Ablösung nachwirkender Pflichten aus dem beendeten Arbeitsverhältnis. Solche ergeben sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 des Arbeitsvertrags vom . Diese Regelung bezieht sich nach dem vertraglichen Gesamtzusammenhang eindeutig nur darauf, welche Gegenleistungen der Kläger für seine Tätigkeiten aufgrund des neuen Arbeitsvertrags erhalten soll. Einen Bezug zu nachwirkenden Ansprüchen aus dem früheren Arbeitsvertrag hat diese Regelung nicht. Dies wird im Übrigen auch daraus deutlich, dass eine ähnliche Regelung in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags vom 16./ enthalten war.

29III. Auf mögliche Schadensersatzansprüche kommt es aufgrund der bestehenden vertraglichen Verpflichtung nicht an.

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 2420 Nr. 39
JAAAD-91419