Auslegung des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Leitsatz
Unter den Begriff der ▪negativen Summen” in
§ 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 fallen keine Verluste, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt
werden (sog. „echte” Verluste).
Vergleichbar
.
Gesetze: EStG § 2 Abs. 3
Instanzenzug: ,F (Verfahrensverlauf),
Gründe
1I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (2001) neben positiven Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit als Zahnarzt auch negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Gewerbebetrieb. In den negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind u.a. lineare und degressive Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 4, 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthalten; Sonderabschreibungen wurden demgegenüber nicht vorgenommen.
2Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr unter Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) fest und erhöhte den gesondert festgestellten verbleibenden Verlustabzug um die nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 im Streitjahr nicht ausgleichsfähigen Verluste.
3Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 710 veröffentlichten Urteil die Auffassung, die Regelung des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 sei jedenfalls in der für den Streitfall maßgeblichen Konstellation von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da dem Kläger auch nach Anwendung dieser Vorschrift das Existenzminimum verblieben sei.
4Mit der Revision rügt der Kläger die Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002.
5Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum , beide vom , in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer sowie der verbleibende Verlustabzug zur Einkommensteuer unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Verluste —ohne Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002— festgesetzt wird.
6Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Revisionsverfahren durch Beschluss vom XI R 16/06 bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Vorlageverfahren 2 BvL 59/06 ausgesetzt. Nach Abschluss dieses Verfahrens (s. , BFH/NV 2010, 2387) hat der BFH das Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu der Entscheidung des BVerfG zu äußern.
8II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass das FA die Summe der Einkünfte zutreffend nach der maßgeblichen gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ermittelt hat.
91. Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer die Einkünfte aus den in dieser Vorschrift genannten sieben Einkunftsarten.
10a) Für die Besteuerung war nach § 2 Abs. 3 Satz 1 EStG in der bis zum geltenden Fassung (a.F.) die „Summe der Einkünfte” maßgeblich, und das heißt, positive und negative Ergebnisse unterschiedlicher Einkunftsarten waren im Rahmen eines periodeninternen (horizontalen und vertikalen) Verlustausgleichs zu saldieren. Soweit die negativen Einkünfte die positiven Einkünfte im jeweiligen Veranlagungszeitraum überstiegen, wurden die übrigen Verluste nach § 10d EStG a.F. in anderen Veranlagungszeiträumen zum Abzug gebracht (periodenübergreifender Verlustausgleich).
11b) Um dem Rückgang von Steuereinnahmen entgegenzuwirken und steuerpolitisch nicht anerkennenswerte Verlustquellen einzuschränken, beabsichtigte der Gesetzgeber, eine „quellenbezogene Mindestbesteuerung” zu schaffen. § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 sieht in Satz 3 der Vorschrift vor, dass die Summe der positiven Einkünfte, soweit sie den Betrag von 100.000 Deutsche Mark übersteigt, durch „negative Summen der Einkünfte” aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern ist. Der Senat legt den Begriff der „negativen Summen” der Einkünfte dahin aus, dass hierunter grundsätzlich nur solche (negativen) Einkünfte fallen, die, wie der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung ausgeführt hat, nicht wirtschaftlich erzielt werden (sog. „unechte” Verluste). Demgegenüber fallen Verluste, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt werden (sog. „echte” Verluste), im Gegensatz zu „unechten” Verlusten überhaupt nicht in den Anwendungsbereich der Regelungen in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 (ebenso Weber-Grellet, Die Steuerberatung 2004, 31, 39); sie sind unbeschadet der Frage, aus welcher Einkunftsart sie stammen, bei der Bildung der Summe der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 stets und in vollem Umfang horizontal und vertikal auszugleichen.
12Der Begriff der „unechten” Verluste, welche dem Grunde nach entsprechend den Regelungen in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nur eingeschränkt mit positiven Einkünften desselben Veranlagungszeitraums auszugleichen sind, ist nicht einkunftsartbezogen, sondern wirtschaftlich zu verstehen. Zu den „unechten” Verlusten zählen negative Einkünfte jedenfalls insoweit, als sie auf die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zurückzuführen sind. Demgegenüber führt die Inanspruchnahme der in § 7 EStG gesetzlich vorgesehenen (regulären oder erhöhten) AfA nicht zu einem lediglich buchmäßigen und damit nicht wirtschaftlich erzielten „unechten” Verlust. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom IX R 56/05, BFHE 233, 152.
132. Die Sache ist spruchreif. Das FG ist auf der Grundlage des seinerzeitigen Meinungsstandes zur Auslegung des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu einem unzutreffenden Auslegungsergebnis gelangt und hat daher dem Kläger zu Unrecht den von ihm begehrten vollständigen Ausgleich der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Gewerbebetrieb im Streitjahr verwehrt.
14Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Klage stattzugeben. Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindenden Feststellungen des FG handelt es sich bei den Verlusten des Klägers aus Vermietung und Verpachtung und aus Gewerbebetrieb um tatsächlich wirtschaftlich erzielte —und damit „echte"— Verluste; Sonderabschreibungen hatte der Kläger nicht in Anspruch genommen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1674 Nr. 10
VAAAD-89812