Insolvenzeröffnungsverfahren: Anforderungen an die Tatsachenfeststellungen des Beschwerdegerichts
Gesetze: § 14 InsO, § 17 InsO, § 34 Abs 2 InsO
Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 3 T 82/10 Beschlussvorgehend AG Lüneburg Az: 46 IN 61/10 Beschluss
Gründe
I.
1Die weitere Beteiligte zu 1 (Gläubigerin) hat wegen Steuerrückständen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Zur Glaubhaftmachung ihrer Forderung hat sie eine "Aufstellung von in Vollstreckung befindlichen Rückständen" vorgelegt. Steuerbescheide und Steueranmeldungen sind nicht zu den Akten gelangt. Das Insolvenzgericht hat das Insolvenzverfahren nach Einholung eines Gutachtens zum Vorliegen eines Insolvenzgrundes und zur Deckung der Massekosten eröffnet. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Abweisung des Insolvenzantrags erreichen. Hilfsweise beantragt er, die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bei Zurückverweisung an das Beschwerdegericht auszusetzen.
II.
2Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie führt bereits deshalb zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weil der angefochtene Beschluss nicht mit Gründen versehen ist. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die in den Vorinstanzen gestellten Anträge erkennen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. , ZInsO 2002, 724; vom - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom - IX ZB 113/10, juris, Rn. 2). Fehlen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht, das grundsätzlich von dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt auszugehen hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO), zu einer rechtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht in der Lage.
3So liegt der Fall hier. Dem Beschluss des Beschwerdegerichts ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung vorliegen muss (vgl. , BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff), gegeben ist. Wie hoch die fälligen Verbindlichkeiten des Schuldners zu diesem Zeitpunkt waren und welche flüssigen Mittel diesen gegenüberstanden (vgl. zu den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit , BGHZ 163, 134, 137 ff), hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Die Einwendungen des Schuldners gegen die Forderung des den Antrag stellenden Finanzamts bleiben ebenso unerwähnt, wie der Einwand des Schuldners, über die Forderung der Steuerberatungsgesellschaft sei eine Teilzahlungsvereinbarung getroffen. Hinsichtlich des vorhandenen liquiden Vermögens wird nur ausgeführt, dass Zahlungsunfähigkeit selbst dann vorliege, wenn ein möglicherweise überhöhter Einbehalt aus einem früheren Insolvenzverfahren, in dem die Vergütung noch nicht abgerechnet sei, zur Masse gezählt werde. Wie hoch ein möglicher Rückfluss von Mitteln aus dem früheren Verfahren sein könnte, ist daraus nicht zu entnehmen.
4Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Insolvenzantrag eines Finanzamts, mit dessen Voraussetzungen sich das Beschwerdegericht bisher noch nicht befasst hat, grundsätzlich nur zulässig ist, wenn Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaige Steueranmeldungen des Schuldners vorgelegt werden (, ZInsO 2006, 828 Rn. 8 ff; vom - IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 3). Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht hierzu nicht aus. Eine Glaubhaftmachung der Forderung durch das Finanzamt durch Vorlage der Bescheide kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner sich lediglich auf Erlassanträge und Gegenansprüche beruft ( aaO, Rn. 3). Ob das Beschwerdegericht von einem entsprechenden Ausnahmefall ausgegangen ist, kann der Entscheidung, in der Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags gänzlich fehlen, nicht entnommen werden, obwohl auch das Beschwerdegericht die Zulässigkeit des Antrags zu prüfen hat ( aaO Rn. 6).
III.
5Der Antrag des Schuldners auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung (§ 4 InsO, § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO) wird abgelehnt, weil nicht festgestellt werden kann, dass dem Rechtsbeschwerdeführer durch die weitere Vollziehung größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Fall der Aussetzung (vgl. , ZInsO 2002, 370 f). Zwar kann das Rechtsbeschwerdegericht die Vollziehung der erstinstanzlichen Entscheidung auch bis zur (erneuten) Entscheidung des Beschwerdegerichts aussetzen ( aaO Rn. 29 ff). Eine Aussetzung der Vollziehung, deren Anordnung im Ermessen des Rechtsbeschwerdegerichts liegt, erscheint hier aber nicht angebracht, weil die Gefahr erheblicher Verschlechterungen für die Gläubiger besteht, wenn der Schuldner bei der Aufklärung der Eröffnungsvoraussetzungen sein bisheriges obstruktives Verhalten fortsetzt.
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1998 Nr. 11
HFR 2012 S. 92 Nr. 1
ZIP 2011 S. 1971 Nr. 41
OAAAD-89687