BGH Beschluss v. - 4 StR 127/11

Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung in Übergangsfällen

Gesetze: § 66 Abs 1 Nr 1 StGB vom , § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a StGB vom , § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b StGB vom , § 66 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst c StGB vom , § 66 Abs 1 S 1 Nr 2 StGB vom , Art 316e Abs 1 StGBEG, Art 316e Abs 2 StGBEG, SichVNOG

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 1 KLs 46 Js 525/10 - 25/10 I Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Betrugs und wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von fünf Jahren festgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht die Unterbringungsanordnung rechtsfehlerfrei auf § 66 Abs. 1 StGB a.F. gestützt und die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. durch die Urteile des Landgerichts Traunstein vom und des als erfüllt angesehen. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob nach der am - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB die Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ebenfalls erfüllt sind.

3Durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom (BGBl I 2300) ist u.a. die Bestimmung des § 66 StGB erheblich umgestaltet worden. Gemäß der Übergangsregelung des Art. 316e Abs. 1 EGStGB findet, sofern die für die Maßregelanordnung relevanten Anlasstaten vor dem begangen wurden, zwar grundsätzlich das bisherige Recht Anwendung. Anderes gilt indes dann, wenn nach neuem Recht die rechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht mehr gegeben sind. In diesen Fällen ist nach Art. 316e Abs. 2 EGStGB, der auch in der Revisionsinstanz zu beachten ist (§ 354a StPO), das neue Recht als das mildere Gesetz anzuwenden (vgl. Rn. 49; Beschluss vom - 2 StR 642/10 Rn. 2).

4Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB n.F. müssen die in formeller Hinsicht für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erforderlichen Vorverurteilungen jeweils Straftaten zum Gegenstand haben, die in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a bis c StGB n.F. bezeichnet sind. Diesen Anforderungen genügen die Urteile des Landgerichts Traunstein vom und des auf welche sich die Strafkammer für die Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. gestützt hat, nicht, weil beiden Entscheidungen ausschließlich nicht vom Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB n.F. erfasste Delikte zu Grunde lagen. Beide Urteile sind nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB n.F. nicht mehr geeignet, formell die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.

5Als Vorverurteilungen, welche den Voraussetzungen des neuen Rechts entsprechen, kommen nach den Feststellungen allein die Verurteilungen durch das Landgericht Schwerin vom wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Geiselnahme in zwei Fällen sowie durch das u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen räuberischer Erpressung in Betracht, wobei das angefochtene Urteil weder die Höhe der Einzelstrafen aus dem mitteilt, noch die jeweiligen Verbüßungszeiten genau feststellt. Die Urteilsausführungen legen es - wie der Generalbundesanwalt in seinem Verwerfungsantrag im Einzelnen darlegt - allerdings zumindest sehr nahe, dass für die Katalogtaten im eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt wurde und die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB n.F. der Berücksichtigung der jeweils abgeurteilten Taten nicht entgegen steht.

6In materieller Hinsicht hat sich die Strafkammer aber - der damaligen Rechtslage entsprechend - bei der Feststellung des Hangs neben der neu abgeurteilten Gewalttat zum Nachteil der Eheleute R.   maßgeblich auf die nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. als Symptomtaten gewerteten Straftaten gestützt, welche den Urteilen des Landgerichts Traunstein vom und des zu Grunde lagen, während die Verurteilungen durch das und das Landgericht Schwerin vom in der Gesamtwürdigung des Landgerichts nur am Rande und in summarischer Weise Erwähnung finden. Ob das Landgericht bei einer Gesamtbewertung, welche insbesondere die nach neuem Recht in formeller Hinsicht zur Begründung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB n.F. allein in Betracht kommenden Taten aus den Urteilen des und des Landgerichts Schwerin vom in den Blick zu nehmen und damit auf anders gewichteter tatsächlicher Grundlage zu erfolgen hätte, ebenfalls zur Bejahung eines Hangs des Angeklagten gelangt wäre, vermag der Senat den Urteilsgründen mit hinreichender Sicherheit nicht zu entnehmen. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.

7Bei der neuerlichen Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung werden die Anforderungen zu beachten sein, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom - 2 BvR 2365/09 - für die befristete weitere Anwendung des § 66 StGB alter und neuer Fassung aufgestellt hat (vgl. Rn. 172 der Entscheidung).

Ernemann                                   Roggenbuck                                  Mutzbauer

                           Bender                                         Quentin

Fundstelle(n):
LAAAD-88343