Auslegung eines Haustarifvertrags - Absenkung der Entgelthöhe
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: ArbG Halberstadt Az: 2 Ca 537/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 7 Sa 166/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über den Bemessungssatz der tariflichen Vergütung.
2Die Klägerin ist seit 1977 als Krankenschwester bei der Beklagten bzw. früheren Trägern des Krankenhauses beschäftigt. Seit dem ist sie Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di).
Die Beklagte schloss mit ver.di am mit Wirkung zum einen erstmals zum kündbaren Haustarifvertrag (im Folgenden: HausTV). Dieser lautet auszugsweise:
4Dem HausTV sind als Anlage drei „Tabellen TVöD“ angefügt. Die letzte Tabelle weist für die Zeit ab das Entgelt bei einer 35-Stunden-Woche nach einem „Bemessungssatz Tarifgebiet Ost 9 v.H.“ aus.
5Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr stehe seit dem Vergütung nach einem Bemessungssatz von 100 % des Tarifentgelts West zu. § 3 Abs. 4 HausTV habe deklaratorischen Charakter. Er wiederhole nur den Tarifstand bei Abschluss des HausTV und schließe weitere Anhebungen des Bemessungssatzes aufgrund der nach § 2 HausTV anzuwendenden Tarifverträge nicht aus.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 3 Abs. 4 HausTV sei eine konstitutive, die Bezugnahmen in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 HausTV einschränkende Regelung. Damit werde der Bemessungssatz für die restliche Laufzeit des HausTV in bewusster Abkopplung von der allgemeinen Tariflage abschließend auf 97 % des Tarifniveaus West festgeschrieben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren („hilfsweise“ erst für die Zeit ab dem ) weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
9Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
10I. Die Feststellungsklage ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend angenommen, dass § 3 Abs. 4 HausTV den Bemessungssatz für das Tabellenentgelt (und sonstige Entgeltbestandteile) für die restliche Laufzeit des HausTV ab dem auf 97 % der für das Tarifgebiet West geltenden Beträge festschreibt. Damit hat die Klägerin keinen tariflichen Anspruch auf Vergütung nach einem Bemessungssatz von 100 % des Tarifentgelts West weder seit dem 1. Januar noch seit dem .
111. Dieses Ergebnis kann bereits aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 HausTV geschlossen werden, denn ein Bemessungssatz von 100 % ist darin nicht geregelt. Nach § 3 Abs. 4 HausTV betrug für die Beschäftigten iSd. § 1 Abs. 1 HausTV der Bemessungssatz für das Tabellenentgelt (und die sonstigen Entgeltbestandteile der unter § 2 Abs. 1 HausTV genannten Tarifverträge) zunächst 94 % der nach den jeweiligen Tarifvorschriften für Beschäftigte im Bereich der VKA, für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, geltenden Beträge. Dieser Bemessungssatz erhöhte sich zum auf 95,5 % und zum auf 97 %. Weitere Steigerungen des Bemessungssatzes, wie sie ein tarifvertraglicher Anspruch vorausgesetzt hätte, sieht § 3 Abs. 4 HausTV nicht vor.
122. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang folgt, dass § 3 Abs. 4 HausTV den Bemessungssatz für die restliche Laufzeit des HausTV ab dem abweichend von der allgemeinen Tariflage auf 97 % der für das Tarifgebiet West geltenden Beträge festschreibt. Ansonsten wäre § 3 Abs. 4 HausTV systematisch falsch eingeordnet, überflüssig und unvollständig. Seine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Gestaltung erklärt sich (allein) daraus, dass er eine umfassende, allen unmittelbar (§ 2 Abs. 1 HausTV) und mittelbar (§ 2 Abs. 2 HausTV) in Bezug genommenen Tarifverträgen vorgehende Regelung enthält.
13a) § 3 Abs. 4 HausTV beinhaltet eine konstitutive, von der allgemeinen Tariflage abweichende Regelung. Das folgt zum einen aus seiner Einordnung in den mit „Besondere Regelungen“ überschriebenen § 3 HausTV. Zum anderen ergibt sich dies aus § 2 Abs. 1 HausTV. Danach finden die dort in Bezug genommenen Tarifverträge nur „unter Beachtung der in § 3 vereinbarten Maßgaben“ Anwendung. Es wird auf § 3 HausTV in Gänze und nicht bloß auf dessen Absätze 1 bis 3 verwiesen. Damit muss auch § 3 Abs. 4 HausTV eine „Maßgabe“ enthalten. Dem entspricht es, dass sich auch sonst an keiner Stelle des HausTV eine reine Wiedergabe der allgemeinen Tariflage findet.
b) Die „Maßgabe“ bzw. von der allgemeinen Tariflage abweichende und damit - im Sinne der Überschrift - „besondere“ Regelung in § 3 Abs. 4 HausTV kann nur in einer Festschreibung des Bemessungssatzes für die restliche Laufzeit des HausTV ab dem auf 97 % der für das Tarifgebiet West geltenden Beträge liegen. Denn für die Zeit bis zum erschöpft sich § 3 Abs. 4 HausTV in einer - als solche überflüssigen und nahezu wortgleichen - Wiedergabe der über § 2 Abs. 1 Buchst. a HausTV ohnehin in Bezug genommenen Protokollnotiz Nr. 2 zu § 15 Abs. 1 TVöD in der bei Abschluss des HausTV geltenden Fassung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die inhaltlich und formal (vgl. - Rn. 27 mwN) einer Tarifregelung entsprechende Protokollnotiz „vollwertiger“ Bestandteil des TVöD war. Sie lautete:
15Diese Steigerungen des Bemessungssatzes liegen auch den Faktoren in § 6 Abs. 1 Satz 4 TVÜ-VKA aF für die Stufenzuordnung der Angestellten und in der Protokollerklärung zu § 7 Abs. 2 bis Abs. 4 TVÜ-VKA aF für die Stufenzuordnung der Arbeiterinnen und Arbeiter zugrunde. Die dort geregelten Erhöhungen des Entgelts der individuellen Zwischenstufe am um den Faktor 1,01596 sowie am um den Faktor 1,01571 entsprechen den Anstiegen von 94 % auf 95,5 % bzw. von 95,5 % auf 97 %.
16c) Gegen die Lesart der Revision spricht weiter, dass § 3 Abs. 4 HausTV als bloß beschreibende Regelung nicht lediglich unter der falschen Überschrift eingeordnet und überflüssig, sondern auch unvollständig wäre. Bei Abschluss des HausTV stand bereits fest, dass der Bemessungssatz nach den dort in Bezug genommenen Tarifverträgen noch während der Mindestlaufzeit des HausTV auf 100 % des Tarifentgelts West anzuheben sein würde. § 2 Abs. 1 Buchst. c HausTV verweist auf den TVÜ-VKA. § 29 TVÜ-VKA aF stellte klar, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 des Vergütungstarifvertrags Nr. 7 zum BAT-O für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vom (im Folgenden: VTV Nr. 7) und § 3 Abs. 1 Satz 2 des Monatslohntarifvertrags Nr. 7 zum BMT-G-O vom (im Folgenden: LTV Nr. 7) durch das Inkrafttreten des TVÜ-VKA unberührt blieben. Tarifverträge, auf die im TVÜ-VKA verwiesen wird, gelten über § 2 Abs. 2 HausTV auch für Arbeitnehmer der Beklagten, soweit im HausTV keine abweichende Regelung vereinbart ist.
§ 3 Abs. 1 Satz 2 VTV Nr. 7 lautete:
§ 3 Abs. 1 Satz 2 LTV Nr. 7 lautete:
19Hätte § 3 Abs. 4 HausTV die schon bei Abschluss des HausTV geltende allgemeine Tariflage beschreiben sollen, hätte er auch die in diesen Bestimmungen niedergelegte, jedenfalls schuldrechtlich wirkende Regelung als „Fahrplan“ iSd. „Spätestens-Regelung“ wiedergeben müssen. In eben diesem beredten Schweigen liegt die - von der Revision vermisste - „abweichende Regelung“ iSv. § 2 Abs. 2 HausTV. Eines ausdrücklichen Ausschlusses weiterer Steigerungen des Bemessungssatzes während der Laufzeit des HausTV bedurfte es nicht. Es genügte, dass keine weitere Steigerung während der Laufzeit des HausTV vorgesehen ist.
20d) Nach alledem beinhaltet § 3 Abs. 4 HausTV mit der Festschreibung des Bemessungssatzes auf 97 % zugleich eine „Maßgabe“ iSv. § 2 Abs. 1 HausTV für künftige „umsetzende“ Fassungen der dort in Bezug genommenen „Haupttarifverträge“ und eine „abweichende Regelung“ iSv. § 2 Abs. 2 HausTV von dem hiernach sonst als Verweisungstarifverträge Anwendung findenden § 3 Abs. 1 Satz 2 VTV/LTV Nr. 7. Diese Doppelfunktion erklärt, warum die Regelung am Ende des § 3 HausTV eingeordnet worden ist und - anders als die drei vorherigen Absätze - nicht ausdrücklich (nur) eine „Maßgabe“ für einen in der in § 2 Abs. 1 HausTV in Bezug genommenen Tarifverträge vorsieht.
II. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
RAAAD-88286