NWB Nr. 33 vom Seite 2753

Abschied vom Ehegattensplitting

Professor Dr. Hans-Joachim Kanzler | Vors. Richter des VI. Senats des BFH

Hat das Ehegattensplitting noch eine Chance?

Ende Juli erschien eine Meldung der Nachrichtenagentur dapd zum Thema „Ehegattensplitting auch für eingetragene Lebenspartnerschaften?” mit dem Hinweis, dass dem 2. Senat des BVerfG seit geraumer Zeit drei Verfassungsbeschwerden gegen den Ausschluss für gleichgeschlechtliche Verbindungen vorlägen und dass die Gerichtssprecherin auf Anfrage erklärt habe, wann eine Entscheidung ergehe, sei derzeit nicht absehbar. Wenige Tage später äußerte sich die Bundesjustizministerin und forderte die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht, verwies auf jüngste Änderungen durch das JStG 2010 zur Gleichstellung im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, erinnerte an das Gleichstellungsversprechen im Koalitionsvertrag und bezog sich auf die neuere Rechtsprechung des BVerfG, die eine Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft eingefordert haben soll (BMJ, Pressemitteilung v. ).

Warum diese Duplizität der Ereignisse? Nichts, aber rein gar nichts, ist geschehen, was solche Äußerungen zu diesem Zeitpunkt rechtfertigen könnte. Es sei denn, die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts in einer Aussetzungssache – die nicht zur Richtervorlage an das BVerfG zwingt – hat diese Reaktionen ausgelöst. Mit diesem Beschluss v. - 10 V 309/10 NWB WAAAD-56534 hat das Finanzgericht entschieden, der Ausschluss von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting sei verfassungswidrig.

Ich mag mich irren, aber die beiden genannten Meldungen vermitteln den Eindruck einer gewissen Unduldsamkeit. Da liegen dem zweiten Senat des BVerfG schon seit Jahren drei Verfassungsbeschwerden gegen Urteile des BFH vor (2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07) und die Bestätigung dieser Urteile scheint dem zuständigen Senat nicht leicht zu fallen. Inzwischen hatte nämlich der erste Senat des BVerfG in einigen grundlegenden Entscheidungen zur Hinterbliebenenversorgung (1 BvR 1164/07) und zur Erbschaftsbesteuerung (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07) die Gleichbehandlung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe eingefordert und u. a. ausgeführt, aus dem besonderen Schutz der Ehe könne kein Gebot abgeleitet werden, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen seien (, BVerfGE 124 S. 199). Die Änderungen des ErbStG durch das JStG 2010 waren also keineswegs dem Versprechen im Koalitionsvertrag, sondern vor allem dem Neuregelungsgebot des BVerfG geschuldet. Deshalb wird man wohl auch beim Ehegattensplitting lieber auf eine Entscheidung warten wollen, als sich zu einer eigenständigen Neuregelung zu entschließen.

Eine solche eigenständige Regelung könnte den Lebenspartnerschaften ein begrenztes Realsplitting gewähren, wie es im Jahr 2000 nach dem Modell der § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1a EStG im Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes vorgesehen war; sie könnte aber auch zu einer Abschaffung des Ehegattensplittings führen, das in der Hausfrauenehe als Subvention wirkt und nur noch in Deutschland Befürworter findet.

Hans Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2011 Seite 2753
WAAAD-88254