Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen BGB-Gesellschafters: Leistungsklage bei pflichtwidrigem Unterlassen der Benennung eines Schiedsgutachters durch die Gesellschaft
Leitsatz
Unterlässt die nach dem Gesellschaftsvertrag hierzu verpflichtete Gesellschaft bürgerlichen Rechts über einen außerhalb objektiv angemessener Zeit liegenden Zeitraum (hier: fast zwei Jahre) die Benennung eines Schiedsgutachters und die Einholung des Gutachtens über die zwischen ihr und dem ausgeschiedenen Gesellschafter streitige Höhe des Abfindungsguthabens, kann der Ausgeschiedene auf Zahlung des ihm seiner Ansicht nach zustehenden Abfindungsguthabens klagen. Das angerufene Gericht hat die Bestimmung der Leistung - falls erforderlich mit sachverständiger Hilfe - durch Urteil zu treffen; eine Abweisung der Klage als zur Zeit unbegründet ist nicht (mehr) zulässig .
Gesetze: § 319 Abs 1 S 2 BGB
Instanzenzug: OLG Celle Az: 9 U 22/08 Urteilvorgehend LG Verden Az: 4 O 57/07
Tatbestand
1Der Kläger hat sich mit Beitrittserklärungen vom 1. Februar und jeweils in einer sogenannten Haustürsituation mit Einlagen in Höhe von 35.520 € (erste Beitrittserklärung) und 47.600 € (zweite Beitrittserklärung) an der Beklagten, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, beteiligt, deren Zweck der Erwerb, das Halten und die Veräußerung von Anteilen an Investmentvermögen, Investitionen in Immobiliengesellschaften und der Erwerb, das Halten und die Veräußerung von Beteiligungen an Gesellschaften ist. Er hat das sogenannte Beteiligungsprogramm Multi B gewählt, das bei der ersten Beitrittserklärung eine Einmalzahlung von 6.000 € zuzüglich 5 % Agio (= 300 €) sowie über 30 Jahre monatliche Ratenzahlungen - inklusive eines Agios - von 86,10 € und bei der zweiten Beitrittserklärung eine Einmalzahlung von 8.000 € zuzüglich 400 € Agio und über 30 Jahre monatliche Ratenzahlungen von 115,50 € inklusive Agio vorsah. Beide Beitrittserklärungen sind am von der geschäftsführenden Gesellschafterin der Beklagten angenommen worden, die nach dem Gesellschaftsvertrag zur Aufnahme weiterer Gesellschafter berechtigt war. Auf die erste Beitrittserklärung hat der Kläger die Einmalzahlung nebst Agio sowie fünf monatliche Raten, auf die zweite hat er bereits vor deren Annahme die Einmalzahlung nebst Agio sowie danach noch eine Ratenzahlung geleistet. Mit Schreiben vom hat der Kläger die „Kündigung meines Vertrages in Höhe von 8.000 €“ erklärt, mit Anwaltschreiben vom hat er sodann auch seine erste Beitrittserklärung im Hinblick auf die Haustürsituation widerrufen. Nachdem die Beklagte zunächst ein „negatives Abfindungsguthaben“, d.h. eine Zahlungspflicht des Klägers in Höhe von 1.746,34 € errechnet hatte, hat sie mit Schriftsatz vom ein Abfindungsguthaben zu seinen Gunsten in Höhe von 73,43 € errechnet.
2Mit der Klage verlangt der Kläger seine Einlageleistungen zurück und begehrt Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 449,96 € nebst Zinsen; hilfsweise hat er seine Zahlungsklage auf die Zahlung eines Abfindungsguthabens in dieser Höhe gestützt. Das Landgericht hat die Klage in Höhe von 15.185,20 € zugesprochen; auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die vom Berufungsgericht im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des erkennenden Senats vom (II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 - FRIZ I) zugelassen worden ist.
3Der erkennende Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom entsprechend § 148 ZPO bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens in dem Verfahren II ZR 292/06 ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat darüber durch Urteil vom (C-215/08, ZIP 2010, 772) entschieden.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
5I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
6Der Kläger habe seine in einer sogenannten Haustürsituation abgegebenen Beitrittserklärungen zu der Beklagten wirksam widerrufen. Auf die Folgen seines Widerrufs seien die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar, so dass kein Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung seiner Einlageleistungen bestehe, sondern nur ein Anspruch auf Zahlung des Abfindungsguthabens. Über die Höhe des Abfindungsguthabens könne derzeit nicht entschieden werden, da bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe nach § 26 Nr. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten zunächst ein Schiedsgutachten einzuholen sei. Ein solches liege nicht vor.
7II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
81. Allerdings hat das Berufungsgericht - von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen und auch von der Revisionserwiderung nicht beanstandet - zutreffend angenommen, dass der Kläger der Beklagten in einer sogenannten Haustürsituation beigetreten ist und seine Beitrittserklärungen wirksam widerrufen hat (§ 312 Abs. 1, § 355 Abs. 1 BGB).
92. Entgegen der Ansicht der Revision steht dem Kläger gegen die Beklagte aufgrund des Widerrufs der Beitrittserklärungen kein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Einlagen nach § 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1 BGB zu. Die Folgen des Widerrufs richten sich, wie das Berufungsgericht ebenfalls noch zutreffend erkannt hat, nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft. Danach hat der Kläger nur einen Anspruch auf Zahlung eines Abfindungsguthabens nach § 738 BGB.
10a) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat durch Urteil vom (C-215/08, ZIP 2010, 772) auf die Vorlagefragen des erkennenden Senats im Beschluss vom (II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 - FRIZ I) ausgeführt, dass die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zwar auf den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in der Form einer Personengesellschaft anwendbar ist, wenn der Zweck des Beitritts nicht vorrangig darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen. Die Richtlinie schließt es nach Ansicht des Gerichtshofs in diesen Fällen aber keineswegs aus, dass der Verbraucher gegebenenfalls gewisse Folgen tragen muss, die sich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergeben (, ZIP 2010, 772 Rn. 45). Wie der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt hat, darf das nationale Recht bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten herstellen. Es ist insbesondere zulässig, dem widerrufenden Verbraucher die finanziellen Folgen des Widerrufs des Beitritts aufzuerlegen (, ZIP 2010, 772 Rn. 48 f.). Danach sind die Rechtsfolgen, die mit der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft für den Verbraucher mit dem Widerruf seiner Beitrittserklärung verbunden sind, mit Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie vereinbar (, BGHZ 186, 167 Rn. 12 - FRIZ II).
11b) Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft trägt der Besonderheit des Gesellschaftsrechts Rechnung, dass - nachdem der Verband erst einmal, wenn auch auf fehlerhafter Grundlage in Vollzug gesetzt worden ist - die Ergebnisse dieses Vorgangs, die regelmäßig mit dem Entstehen von Verbindlichkeiten verbunden sind, nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden können. Diese Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, der der fehlerhafte Gesellschaftsbeitritt gleichsteht (, BGHZ 26, 330, 334 ff.; Urteil vom - II ZR 212/90, WM 1992, 490, 491; Urteil vom - II ZR 304/00, ZIP 2001, 1364, 1366; Urteil vom - II ZR 109/01, BGHZ 153, 214, 221), gehört zum "gesicherten Bestandteil des Gesellschaftsrechts" (, BGHZ 55, 5, 8). Die gegenläufigen Interessen des Beitretenden, der Mitgesellschafter und der Gläubiger der Gesellschaft werden gleichmäßig berücksichtigt. Darin liegt die Eigenheit der gesellschaftsrechtlichen Konstellation. Der Kern der Aussagen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft und vom fehlerhaften Beitritt besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, der die Literatur weitestgehend folgt, darin, dass der Beigetretene - bis zum Austritt infolge der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit durch Widerruf/Kündigung - Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten bleibt, und zwar sowohl im Innenverhältnis (vgl. , BGHZ 26, 330, 334 f.) als auch im Außenverhältnis (so zu §§ 128 ff. HGB: , BGHZ 44, 235, 236; Urteil vom - II ZR 251/86, ZIP 1988, 512, 513; Urteil vom - XI ZR 112/07, BGHZ 177, 108 Rn. 22; zu § 171 HGB: , ZIP 2010, 1689 Rn. 6).
123. Das Berufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klage derzeit unbegründet sei, weil nach § 26 Nr. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages (künftig: GV) wegen der zwischen den Parteien über die Höhe des Abfindungsguthabens bestehenden Meinungsverschiedenheiten vorab ein Schiedsgutachten einzuholen sei.
13a) Zwar enthält der Vertrag der Parteien eine Schiedsgutachtenabrede. Die Parteien haben in § 26 Nr. 4 GV vereinbart, dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Abfindungsguthabens dieses von einem Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter auf der Basis des Gesellschaftsvertrags ermittelt werden soll. Es entspricht auch allgemeiner Meinung, dass eine Klage insgesamt als verfrüht ("als zur Zeit unbegründet") abzuweisen ist, wenn der - wie hier - beweispflichtige Kläger die rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung dem Schiedsgutachter übertragen ist, nicht durch Vorlage des Schiedsgutachtens nachweist (, NJW 1960, 1462, 1463; Urteil vom - VIII ZR 105/87, WM 1988, 1500, 1503 m.w.N.).
14b) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass der Kläger hier trotz der Regelung in § 26 Nr. 4 GV zu Recht unmittelbar auf das ihm seiner Ansicht nach zustehende Abfindungsguthaben geklagt hat (§ 319 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB entsprechend).
15Nach § 26 Nr. 4 GV oblag es der Beklagten, durch die geschäftsführende Gesellschafterin den Schiedsgutachter zu benennen und damit zu beauftragen, das Schiedsgutachten über die Höhe des Abfindungsguthabens zu erstellen. Unterlässt - wie hier - die hierzu befugte und verpflichtete Vertragspartei über einen Zeitraum von fast zwei Jahren und damit außerhalb objektiv angemessener Zeit (vgl. RG JW 1912, 386 Nr. 6; , BGHZ 74, 341, 345) die Benennung des Schiedsgutachters und die Einholung des Gutachtens, entspricht es allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur, § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB entsprechend anzuwenden. Nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB hat die Bestimmung der Leistung durch Urteil des angerufenen Gerichts zu erfolgen, wenn der Dritte, dem die Bestimmung obliegt, diese verzögert. Die Vorschrift gilt entsprechend, wenn die Verzögerung der Leistungsbestimmung, die kein Verschulden voraussetzt, auf der Nichtbenennung des bestimmungsberechtigten Dritten durch eine hierzu verpflichtete Vertragspartei beruht (, NJW 1971, 1455, 1456; Urteil vom - VIII ZR 271/75, WM 1977, 418; Urteil vom - V ZR 150/77, BGHZ 74, 341, 344 f.; MünchKommBGB/Gottwald, 5. Aufl., § 319 Rn. 22;Erman/J. Hager, BGB, 12. Aufl., § 319 Rn. 11 m.w.N.).
16III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung die Höhe des Abfindungsguthabens durch Einholung des vom Kläger beantragten Sachverständigengutachtens zu bestimmen haben (vgl. , BGHZ 26, 25, 29; Urteil vom - II ZR 274/86, ZIP 1987, 1314,
1315 f.; Urteil vom - II ZR 32/98, WM 1999, 1213 f.; siehe auch Ulmer/Schäfer in MünchKommBGB, 5. Aufl., § 738 Rn. 30 f. m.w.N.).
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1793 Nr. 30
BB 2011 S. 2130 Nr. 35
DB 2011 S. 8 Nr. 29
DStR 2011 S. 1434 Nr. 30
NJW-RR 2011 S. 1059 Nr. 15
NWB-Eilnachricht Nr. 30/2011 S. 2528
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2011 S. 687
WM 2011 S. 1374 Nr. 29
ZIP 2011 S. 1358 Nr. 29
EAAAD-87009