BSG Beschluss v. - B 4 AS 82/11 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Ablauf der Berufungsfrist - Einlieferungsbeleg - Verfahrensmangel - Verletzung des rechtlichen Gehörs - verhindertes Vorbringen

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 151 Abs 1 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Lüneburg Az: S 25 AS 595/10 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 13 AS 382/10 Urteil

Gründe

1Im Streit stehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

2Der Beklagte hat die Bewilligung von Alg II für den Kläger und seine Angehörigen wegen ausreichender Bedarfsdeckung durch Einkommen abgelehnt. Das SG Lüneburg hat durch Gerichtsbescheid vom die hiergegen gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am (Datum Zustellungsurkunde) zugestellt worden. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid ist am beim LSG eingegangen. Auf dem Briefumschlag ist ein Poststempel aufgebracht, der das Datum "" und die Uhrzeit "16:00 Uhr" ausweist. Der 13. Senat des LSG hat daraufhin nach Anhörung der Beteiligten, unter Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berufung, durch Beschluss vom die Entscheidung über die Berufung des Klägers dem Berichterstatter übertragen. Aufgrund mündlicher Verhandlung hat dieser unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter die Berufung durch Urteil vom als unzulässig verworfen. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

3Mit seiner Beschwerde hiergegen sowie dem Antrag, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens PKH zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, macht der Kläger geltend: Er habe die Berufungsschrift am per Einschreiben zur Post aufgegeben. Zum Beweis hat er einen Einlieferungsbeleg beigefügt. Zudem bemängelt er, nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG geladen worden zu sein. Zudem verweist er auf medizinische Unterlagen aus dem Jahre 1999.

4Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und der damit verbundene Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO kann PKH nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier.

5Es sind unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie des Akteninhalts keine Gründe für eine Zulassung der Revision ersichtlich. Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), wenn das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

6Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht gegeben.

7Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das LSG hat ein Prozessurteil verkündet und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art stellt sich hierbei nicht.

8Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sind nicht gegeben.

9Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, einen Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) darzulegen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

10Es ist nicht erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung durch Prozessurteil verfahrensfehlerhaft gehandelt haben könnte.

11Die Berufung ist ausweislich des Eingangsstempels nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 SGG) beim LSG eingegangen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am zugestellt worden. Die Berufungsfrist lief mithin am Freitag, den - 24:00 Uhr ab. Der von dem Kläger vorgelegte Einlieferungsbeleg vermag die Richtigkeit des Eingangsdatums beim LSG am nicht zu entkräften. Der Einlieferungsbeleg weist zwar das Datum des aus. Abgesehen davon, dass Adressat und Anschrift handschriftlich nachgetragen sind, sodass keineswegs der Nachweis erbracht ist, dass es sich bei der eingelieferten Sendung um die Berufungsschrift des Klägers gehandelt hat, mag sie zwar am abgesandt worden sein, dieses besagt jedoch nicht, dass sie auch noch an diesem Tage bei dem LSG eingegangen sei. Dieses gilt um so mehr, als die Uhrzeit der Einlieferung mit 17:32 Uhr ausgewiesen ist.

12Dem Kläger ist auch nicht unter Hinweis auf die Einlieferung am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Er konnte nicht davon ausgehen, dass die am um 17:32 Uhr aufgegebene Postsendung das LSG bis 24:00 Uhr desselben Tages erreichen werde.

13Soweit der Kläger ferner vorbringt, nicht ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden zu sein, weil sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen sei, verkennt er, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten im Ermessen des Gerichts steht (§ 111 Abs 1 SGG) und für eine ordnungsgemäße Ladung nach § 110 SGG nicht erforderlich ist.

14Es ist insoweit auch nicht erkennbar, dass das LSG den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Nichtanordnung des persönlichen Erscheinens verletzt haben könnte. Wird ein Gehörsverstoß gerügt, muss vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen von ihm verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl ; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 11c). Zumindest Letzteres war hier nicht der Fall. Der Kläger hat sich bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht zu dem Hinweis der möglichen Unzulässigkeit der Berufung geäußert. Das LSG hatte mithin keine Veranlassung, ihn persönlich hierzu zu hören.

15Da dem Kläger PKH nicht zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.

16Die Nichtzulassungsbeschwerde war ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger insoweit nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) vertreten war (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

17Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:010611BB4AS8211B0

Fundstelle(n):
JAAAD-86822