Wiedereinsetzungantrag in eine versäumte Berufungsbegründungsfrist: Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung bei Anfechtung eines auf mehrere, rechtlich selbstständige Erwägungen gestützten Ersturteils; notwendige Ausgangskontrolle trotz Einzelanweisung einer Telefaxübersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes
Leitsatz
1. Ist das angefochtene Urteil hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil fristgerecht in allen diesen Punkten angreifen und daher für jede der Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; anderenfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (im Anschluss an , NJW RR 2006, 285) .
2. Die Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal, einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle nicht entbehrlich (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom , XII ZB 59/10, NJW RR 2010, 1648 Rn. 12 ff.) .
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 139 Abs 1 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 S 1 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 ZPO
Instanzenzug: Az: 1 S 189/10 Beschlussvorgehend Az: 405 C 8675/09
Gründe
I.
1Die Parteien streiten um Räumung und Herausgabe einer Campingplatzparzelle. Das Urteil des Amtsgerichts wurde dem Beklagten am zugestellt. Noch am gleichen Tag legte er gegen dieses Urteil Berufung ein. Auf Antrag des Beklagten wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert. Im Rahmen der Begründung eines Vollstreckungsschutzantrages, der am beim Landgericht einging, wandte sich der Beklagte auch gegen den vom Amtsgericht festgestellten Zahlungsverzug als Kündigungsgrund.
2Am , einem Donnerstag, ging die Berufungsbegründung beim Landgericht ein, in der sich der Beklagte erneut gegen den Zahlungsverzug und erstmals auch gegen die Unzumutbarkeit der Fortführung des Pachtverhältnisses aus weiteren vom Amtsgericht festgestellten Gründen wandte. Auf Hinweis des Landgerichts hat der Beklagte mit einem am eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und seine Berufung erneut begründet.
3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts ist entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
5Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verwehrt und seine Berufung als unzulässig verworfen.
61. Im Gegensatz zur Auffassung der Rechtsbeschwerde hat der Beklagte seine Berufung nicht rechtzeitig begründet.
7a) Die Rechtsbeschwerde weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der Vollstreckungsschutzantrag des Beklagten am und somit noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beim Landgericht eingegangen ist. Dieser Schriftsatz enthält zugleich eine vorläufige Berufungsbegründung. Zwar fehlt es an einem eigenständigen Berufungsantrag. Das Fehlen eines förmlichen Berufungsantrags ist aber unschädlich, wenn der Berufungsbegründung eindeutig zu entnehmen ist, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Änderungen erstrebt werden ( - BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 Berufungsantrag 1). An dieser schon früher geltenden Rechtslage hat sich durch das zum in Kraft getretene Zivilprozessreformgesetz nichts geändert. Die Neufassung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO konkretisiert zwar gegenüber § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO aF die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsgründe. Dies bewirkt aber keine qualitative Änderung, sondern lediglich eine Präzisierung der Berufungsanforderungen, soweit es die Zulässigkeit der Berufung betrifft. Eine Verschärfung kann weder dem Gesetzestext noch den Materialien entnommen werden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 165/02 - FamRZ 2003, 1271).
8Indem der Beklagte "das Urteil… in vollem Umfang“ zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt hat, wird sein Begehren auf Klageabweisung hinreichend deutlich. Weil der rechtzeitig eingegangene Schriftsatz neben weiteren Angriffen zum Zahlungsverzug auch die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten trägt, ist er zugleich als Berufungsbegründung aufzufassen. Umstände, die dem entgegenstehen könnten, liegen hier nicht vor. Insbesondere hat sich der Beklagte ausdrücklich eine "weitergehende Berufungsbegründung" innerhalb der Begründungsfrist vorbehalten (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 140/10 - FamRZ 2011, 366 Rn. 6 und vom - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726 Rn. 10).
9b) Die rechtzeitig eingegangene vorläufige Berufungsbegründung steht der Verwerfung der Berufung gleichwohl nicht entgegen, weil mit ihr nicht alle alternativen Begründungselemente angegriffen wurden.
10Hat das erstinstanzliche Gericht sein Urteil hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen und daher für jede der mehreren Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt, anderenfalls das Rechtsmittel unzulässig ist ( - NJW-RR 2006, 285 Rn. 8 und Urteil vom - VI ZR 228/05 - NJW-RR 2007, 414 Rn. 10).
11Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Das Amtsgericht hatte den Räumungsanspruch auf eine berechtigte außerordentliche Kündigung gestützt, die es aus zwei alternativen Gründen für wirksam erachtet hat. Zum einen hatte das Amtsgericht einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Zahlungsverzug angenommen. Daneben hat es auch das Verhalten des Beklagten, nämlich mehrfache und nachhaltige Beleidigungen der Klägerin und ihrer Verwandten, sowie den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens für "mitentscheidend" erachtet. Auch dieser Umstand lasse erkennen, dass der Klägerin eine Fortsetzung des Pachtverhältnisses nicht weiter zumutbar sei. Darin liegt eine Alternativbegründung, die der Beklagte zwar in seiner verspätet eingegangen Berufungsbegründung, nicht aber bereits in dem rechtzeitig eingegangenen Schriftsatz vom angegriffen hat.
122. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht dem Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt, weil auf der Grundlage seines Vortrags ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt ist.
13a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 117/10 - FamRZ 2010, 2063 Rn. 11 und vom - XII ZB 34/07 - FamRZ 2008, 1515 Rn. 11 jeweils mwN). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Fehlt es an einer allgemeinen Kanzleianweisung, muss sich die Einzelanweisung, einen Schriftsatz sogleich per Telefax an das Rechtsmittelgericht abzusenden, in gleicher Weise auf die Ausgangskontrolle erstrecken. Die Kanzleiangestellte ist dann zusätzlich anzuweisen, die Frist erst nach einer Kontrolle der vollständigen Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu streichen (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 34/07 - FamRZ 2008, 1515 Rn. 12 und vom - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722 Rn. 6). Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal, einen Frist wahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle somit nicht entbehrlich (Senatsbeschluss vom - XII ZB 59/10 - NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12 ff.).
14Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag hat der Beklagte vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe die Kanzleiangestellte noch am Tag des Fristablaufs angewiesen, die Berufungsbegründung umgehend per Telefax an das Berufungsgericht zu senden. Dieser Weisung sei die Mitarbeiterin aus nicht erklärbaren Gründen nicht nachgekommen. Damit ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht ausgeschlossen. Das Wiedereinsetzungsgesuch verhält sich schon nicht zu der Frage, ob zur wirksamen Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten ein Fristenbuch geführt wird. Insbesondere ist nicht vorgetragen, dass die darin eingetragenen Fristen - wie es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt wird - erst dann gelöscht werden dürfen, wenn die Versendung am gleichen Tag gesichert ist oder - bei Versendung per Telefax - der Zugang durch Kontrolle des Sendeberichts überprüft worden ist. Im vorgetragenen Umfang genügt die Organisation im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten mithin nicht der notwendigen Ausgangskontrolle, was dem Beklagten als Verschulden seines Rechtsanwalts gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
15b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Berufungsgericht auch nicht verpflichtet, den Beklagten nach § 139 Abs. 1 ZPO auf seinen unzureichenden Vortrag zur Ausgangskontrolle hinzuweisen. Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags besteht kein Anhaltspunkt für die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangte Ausgangskontrolle durch Führung eines Fristenkalenders. Ob der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist im vorliegenden Fall mittels eines gesondert geführten Kalenders kontrolliert wurde und die Frist erst nach einer Ausgangskontrolle gestrichen werden durfte, ist weder innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen noch sonst ersichtlich. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, der dem Senatsbeschluss vom (XII ZB 232/06 - FamRZ 2007, 1458) zugrunde lag. Wenn die insoweit darlegungspflichtige Prozesspartei nichts zur Ausgangskontrolle vorgetragen hat, ist das Gericht nicht nach
§ 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet, auf den insoweit notwendigen Vortrag hinzuweisen. Der Vortrag des Beklagten zur Einzelanweisung genügt diesen Anforderungen nicht.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Nedden-Boeger
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 2367 Nr. 32
NJW 2011 S. 8 Nr. 30
KAAAD-86690