Neufassung des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG durch das Jahressteuergesetz 2010 – erstmaliger Erlass oder Änderung eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag
Die Neuregelung gilt nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i. d. Fassung des JStG 2010 erstmals für Verluste, für die nach dem eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird.
1. Rechtliche Darstellung:
Durch das Jahressteuergesetz 2010 wurde § 10d Abs. 4 Satz 4 und Satz 5 EStG neu gefasst. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG ordnet nunmehr an, dass bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen sind, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind. Eine entsprechende Anwendung der Regelungen in § 171 Abs. 10 (Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist des Folgebescheids), § 175 Abs. 1 Nr. 1 (Änderung von Folgebescheiden zur Anpassung an den Grundlagenbescheid) und § 351 Abs. 2 AO (Anfechtungsbeschränkung des Folgebescheids) und § 42 FGO (Anfechtungsbeschränkung des Folgebescheids) lässt der jeweiligen Steuerfestsetzung die Wirkung eines Grundlagenbescheids (§ 182 AO) für die Verlustfeststellung zukommen.
Mit der Neufassung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG wird somit eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl er verfahrensrechtlich kein Grundlagenbescheid ist.
In Anlehnung an das alte Recht sieht der geänderte § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG eine Ausnahme von der Bindungswirkung der Steuerfestsetzung vor. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.
Folglich darf die erstmalige oder korrigierte Verlustfeststellung ausnahmsweise unabhängig von der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen erfolgen, wenn die Korrektur des Steuerbescheids dem Grunde nach (d. h. nach dem steuerlichen Verfahrensrecht) möglich wäre und nur deshalb unterbleibt, weil sich die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht ändert.
2. Anwendungsbereich:
Fälle mit steuerlicher Auswirkung im Steuerbescheid
erstmalige/geänderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags: Die Besteuerungsgrundlage muss betragsmäßig im Steuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr berücksichtigt worden sein (Ansatz im Verlustfeststellungsbescheid ggf. unter Abzug eines durchgeführten Verlustrücktrages).
Beispiel: Der Steuerpflichtige reicht seine Einkommensteuererklärung 2010 ein und erklärt lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG in Höhe von 30.000 €. Nachdem der daraufhin erlassene Einkommensteuerbescheid bestandskräftig wird, beantragt der Steuerpflichtige die Berücksichtigung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG in Höhe von – 45.000 €. Unter der Annahme, dass keine Änderungsvorschrift nach den §§ 172 ff bzw. § 129 AO greift, kann dieser Verlust nicht nachträglich berücksichtigt werden. Auch der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides kann nicht erfolgen, da die Besteuerungsgrundlage nicht im Einkommensteuerbescheid berücksichtigt wurde (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG n. F.). Die Voraussetzungen des Satzes 5 des § 10d Abs. 4 EStG n. F. sind ebenfalls nicht erfüllt.
Fälle ohne steuerliche Auswirkung im Steuerbescheid
erstmalige/geänderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags: Die betragsmäßige Korrektur der Steuerfestsetzung unterbleibt ausschließlich mangels steuerlicher Auswirkung.
3. Kein Anwendungsbereich:
§ 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 hat für den Verlustrücktrag keinerlei Bedeutung. Denn die im Steuerbescheid „zugrunde gelegten“ (§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG) Besteuerungsgrundlagen sind nur für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages bindend.
Da die Neufassung eine Regelung im Zusammenhang mit der betragsmäßig zu berücksichtigen Besteuerungsgröße betrifft, sind etwaige andere Punkte der Verlustfeststellung nicht von dieser Art von Bindungswirkung betroffen (vgl. beispielhafte Aufzählung unter Punkt 4). Der Gesetzgeber hat hier lediglich eine Verknüpfung hinsichtlich der Verlusthöhe zwischen Steuerbescheid und Verlustfeststellung hergestellt.
4. Vorgehensweise bei Einsprüchen gegen die Verlustfeststellung:
Ob ein Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 358 AO erfüllt, ist anhand der o.g. Ausführungen zu prüfen. Die nachstehenden Fallgestaltungen sollen dies verdeutlichen:
Legt der Steuerpflichtige Einspruch gegen den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags ein und begehrt eine geänderte Feststellung der Höhe nach, ist der Einspruch gem. § 351 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 10d Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz EStG n. F. unzulässig. Der Steuerpflichtige muss gegen die Steuerfestsetzung Einspruch einlegen und dort die Durchsetzung des beantragten Verlustes erwirken.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist auch dann erforderlich, wenn die Steuerfestsetzung bereits auf 0 Euro lautet. Im Bezug auf die angefochtene Steuerfestsetzung liegt zwar keine Beschwer im Sinne von § 350 AO vor, aber § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG n. F. eröffnet die betragsmäßige Verlustübernahme in den Verlustfeststellungsbescheid.
Beispiel von oben (Punkt 2a), aber der Steuerpflichtige hat bereits Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von – 50.000 € erklärt und beantragt im Wege des Einspruchs eine Erhöhung des Verlustes auf insgesamt 60.000 €:
Der Steuerpflichtige hat gegen den Einkommensteuerbescheid fristgerecht Einspruch eingelegt. Die Änderung der Steuerfestsetzung kann somit dem Grunde nach gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO erfolgen. Unterbleibt aufgrund der steuerlichen Auswirkung von 0 € diese Änderung, kann gleichwohl die Verlustfeststellung auf 30.000 € korrigiert werden (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG).
Erfolgte die Verlustfeststellung aus unbestimmten Gründen nicht, obwohl die Besteuerungsgrundlagen in nicht zu beanstandender Höhe im Steuerbescheid berücksichtigt wurden, sollte zunächst ein Antrag auf Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids gestellt werden. Wird über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden, ist der (Untätigkeits-)Einspruch statthaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO).
Begehrt der Steuerpflichtige nachträglich die Durchführung eines Verlustrücktrages (der bisher nicht oder nur teilweise erfolgt ist), ist ein Einspruch gegen die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zulässig.
Ein Einspruch gegen die Verlustfeststellung ist ferner zulässig, wenn die Feststellung an sich falsche Angaben enthält, die mit dem festgestellten Betrag nicht im Zusammenhang stehen.
5. Anwendungszeitpunkt:
Mit der Änderung des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG wird das Gesetz im Sinne seiner ursprünglichen Zielsetzung, der bisherigen Rechtsprechung und der Anwendung in der Praxis klargestellt.
Nach Verkündung des JStG 2010 (mit Wirkung ab dem ) gilt die Neuregelung.
OFD Münster v. - Kurzinfo ESt
18/2011
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
DAAAD-86448