Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: OLG Frankfurt/Main, 10 U 26/09 vom LG Limburg, 5 O 39/08 vom
Gründe
I. Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter vom Beklagten die Zahlung restlichen Kaufpreises in Höhe von 80.000 € nebst Zinsen aus einem Unternehmenskaufvertrag vom , mit dem der Beklagte die "Assets" der Insolvenzschuldnerin zu einem Kaufpreis von 200.000 € erwarb. Ziff. 3.3 des Vertrages lautet wie folgt:
"Sollte sich bis zum der Auftragsbestand des Erwerbers, ausgehend von dem Basisumsatzwert für 280.000 € nach unten bzw. oben verändern, gilt - ausschließlich - hinsichtlich der am fällig werdenden Teilzahlung folgendes: Je 10.000 € Umsatzabweichung verändert sich der Kaufpreis um 6.000 €. Damit kann der Gesamtkaufpreis um maximal 80.000 € nach unten abweichen."
Der Beklagte verweigert die Zahlung unter Berufung auf diese Vertragsbestimmung. Er macht geltend, zwischen den Parteien habe vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags Einigkeit darüber bestanden, dass alle vor dem Stichtag gekündigten Aufträge zu einer Kaufpreisreduzierung führen sollten, auch wenn die Kündigung erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werde und sich deshalb erst nach dem Stichtag auf den Umsatz auswirke.
Das Landgericht hat der Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme über den Inhalt der Vertragsverhandlungen stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Vertragsauslegung des Landgerichts im Wesentlichen mit der Begründung für unzutreffend gehalten, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts dem protokollierten Ergebnis der Beweisaufnahme in keiner Weise Rechnung trage und deshalb nicht haltbar sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat die erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen, obwohl es deren Aussagen anders gewürdigt hat als das Landgericht. Diese rechtsfehlerhafte Anwendung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verletzt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; , FamRZ 2006, 946).
1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Anerkannt ist, dass das Berufungsgericht einen Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO nochmals vernehmen muss, wenn es dessen Glaubwürdigkeit anders beurteilen oder den Bekundungen des Zeugen eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht geben, sie also anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz. Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (st. Rspr.; Senatsbeschlüsse vom - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; vom - VIII ZR 270/09, BauR 2010, 1095 Rn. 6 f.).
2. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung nicht vor.
Das Landgericht hat seinem Verständnis vom Regelungsgehalt der vertraglich vereinbarten Anpassungsklausel die Aussage des Zeugen Dr. W. zugrunde gelegt und ihr ausschlaggebende Bedeutung insbesondere unter dem Gesichtspunkt zugemessen, dass der Zeuge maßgeblichen Einfluss auf die in seine Zuständigkeit fallende betriebswirtschaftliche Regelung genommen habe und bei allen diese Frage betreffenden Gesprächen vom Kläger hinzugezogen worden sei, auch wenn der Zeuge bei der eigentlichen Vertragsunterzeichnung nicht anwesend gewesen sei. Während das Landgericht die Aussage des Zeugen Dr. W. als nachvollziehbar und widerspruchsfrei angesehen hat, hat das Berufungsgericht an ihr einen "Mangel an Präzision" beanstandet. Damit hat das Berufungsgericht die Aussage des Zeugen für weniger ergiebig erachtet und ihr deshalb ein geringeres Gewicht beigemessen als das Landgericht. Diese vom Landgericht abweichende Würdigung hätte das Berufungsgericht nicht vornehmen dürfen, ohne sich durch erneute Vernehmung des Zeugen einen eigenen Eindruck von dessen Aussage verschafft zu haben (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZR 3/09, aaO. Rn. 6).
Das gleiche gilt hinsichtlich der Aussagen der Zeugen B. und G.. Während die Aussage des Zeugen B. nach Auffassung des Landgerichts nicht zu überzeugen vermag, weil dessen Darstellung nicht mit der Regelung in Ziff. 3.4 des Vertrages zu vereinbaren sei, und das Landgericht die in Ansätzen vergleichbare Aussage des Zeugen G. schon deshalb nicht für überzeugend hält, weil der Zeuge - wie auch die Zeugin K. - bei den maßgeblichen Vertragsverhandlungen nicht anwesend gewesen sei, hat das Berufungsgericht die Aussage des Zeugen G. für "sehr ergiebig" gehalten und ihr - wie auch der Aussage des Zeugen B. - ausschlaggebende Bedeutung mit der Begründung beigemessen, die protokollierten Bekundungen der Zeugen seien jedenfalls zum Teil anders zu verstehen, als sie vom Landgericht verstanden worden seien. Auch insoweit hat das Berufungsgericht die Aussagen der Zeugen hinsichtlich ihrer Ergiebigkeit und ihres Gewichts vom Landgericht abweichend gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugen einen eigenen Eindruck zu verschaffen.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen hätte. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die - nicht tragende - Erwägung des Berufungsgerichts zutrifft, dass Unklarheiten der vertraglichen Regelung zu Lasten des Klägers gehen. Ebenso wenig kommt es im gegenwärtigen Verfahrensstadium darauf an, ob das Berufungsgericht die - von seinem bisherigen Standpunkt aus entscheidungserhebliche - Höhe der Umsatzeinbußen infolge gekündigter Aufträge rechtsfehlerfrei festgestellt hat.
Fundstelle(n):
YAAAD-85605