BAG Urteil v. - 1 AZR 472/09

Sozialplanabfindung - persönlicher Geltungsbereich - Gleichbehandlung

Gesetze: § 75 BetrVG, § 112 BetrVG

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 7 Ca 2875/07 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6/13 Sa 746/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

2Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem Jahre 1998 als Referent für Vertriebsprodukte in W beschäftigt. Sein Jahresgehalt belief sich zuletzt auf 54.651,58 Euro brutto.

3Zum Jahreswechsel 2005/2006 übernahm der T Konzern die Gesellschaften der G Beteiligungs-GmbH und ihrer Tochtergesellschaften mit dem Ziel, diese in den T Konzern zu integrieren. In einer Rahmenvereinbarung vom verständigten sich die T AG sowie die zu ihrem Konzern gehörenden Gesellschaften mit dem Konzernbetriebsrat darauf, im Hinblick auf die beabsichtigten Restrukturierungen Verhandlungen über den Abschluss von (Teil-)Interessenausgleichen bzgl. der einzelnen Maßnahmen durchzuführen. Die T AG verpflichtete sich, die Umstrukturierungsmaßnahmen nicht vor Abschluss der jeweiligen Interessenausgleiche zu beginnen. Am vereinbarte die T AG mit dem Konzernbetriebsrat ein Eckpunktepapier über die Durchführung betriebsorganisatorischer Maßnahmen und die Aufstellung eines Sozialplans im Zusammenhang mit der Neuordnung des T Konzerns.

4Mit zwei Schreiben vom bot die Beklagte dem Kläger eine Weiterbeschäftigung bei der H Vertriebsservice AG zu den bisherigen Arbeitsbedingungen am Standort K an. Des Weiteren unterrichtete sie den Kläger darüber, dass sein Tätigkeitsbereich nach K in die dort entstehende Hauptverwaltung verlagert werde, so dass unabhängig von der Annahme des Weiterbeschäftigungsangebots in K das Arbeitsverhältnis wegen eines Teilbetriebsübergangs gem. § 613a BGB bei der H Vertriebsservice AG fortbestehen werde. Die Beklagte wies den Kläger ferner darauf hin, dass er im Falle der Ablehnung des Angebots bzw. der Ausübung des Widerspruchsrechts mit einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Der Kläger nahm das Angebot der Beklagten nicht an und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom zum .

Die T AG und der bei ihr gebildete Konzernbetriebsrat schlossen am einen Sozialplan (SP). Darin ist ua. bestimmt:

6Der im Betrieb W bestehende Betriebsrat hat diesen Sozialplan am übernommen.

7Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihn zum Ausspruch der Eigenkündigung veranlasst. Aufgrund der Schreiben der Beklagten vom sei klar gewesen, dass sein Arbeitsplatz in W wegfallen würde. Eine Weiterbeschäftigung in K sei ihm nicht zumutbar gewesen. Die Eigenkündigung sei daher durch die Beklagte veranlasst gewesen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Kläger falle nicht in den Geltungsbereich des Sozialplans. Auch habe zum Zeitpunkt der Kündigung nicht festgestanden, dass eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in M oder W nicht in Betracht kommen würde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.

Gründe

11Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Abfindung.

12I. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat vor Inkrafttreten des Sozialplans geendet. Er unterfällt damit nicht dem in §§ 2, 3 SP geregelten Geltungsbereich des Sozialplans. Das ergibt die Auslegung des Sozialplans.

131. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen eigener Art wegen ihrer normativen Wirkungen (§ 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn, kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt ( - 1 AZR 370/06 - Rn. 11, ZIP 2007, 1575).

142. Ausgehend von diesen Grundsätzen begründet der Sozialplan nur für solche Arbeitnehmer Leistungen, deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch bestanden hat.

15a) Gem. § 3 Abs. 1 SP gilt der Sozialplan für alle Arbeitnehmer des T Konzerns. Das sind nur diejenigen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans in einem Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen des T Konzerns standen. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehört der Betreffende diesem Personenkreis nicht mehr an.

16b) Das sich aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 SP ergebende Verständnis zum persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans wird durch den Regelungszusammenhang bestätigt. So liegt der Normierung des zeitlichen Geltungsbereichs in § 2 Abs. 2 SP zugrunde, dass der Sozialplan grundsätzlich nur für betriebsänderungsbedingte Maßnahmen gilt, die nach seinem Inkrafttreten bis zum erfolgen. Lediglich bei den in dieser Bestimmung aufgeführten Arbeitsplatzwechseln innerhalb des T Konzerns findet der Sozialplan auch dann Anwendung, wenn diese personellen Maßnahmen vor seinem Inkrafttreten vorgenommen wurden. Aber auch in diesen Fällen haben die Arbeitsverhältnisse fortbestanden. Trotz Änderung der Arbeitsbedingungen sind die Betroffenen Arbeitnehmer eines konzernzugehörigen Unternehmens geblieben. Schließlich spricht auch die Regelung zur Behandlung von Eigenkündigungen in § 3 Abs. 2 SP dafür, dass der persönliche Geltungsbereich des Sozialplans auf Arbeitnehmer beschränkt ist, deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch nicht beendet war. Dazu bestimmt § 3 Abs. 2 Buchst. e SP, dass der Sozialplan nicht für Arbeitnehmer gilt, deren Arbeitsverhältnis aufgrund Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet wird. Das setzt denklogisch voraus, dass zu diesem Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis, wenn auch im gekündigten Zustand, bestanden hat.

17c) Diese Auslegung steht zudem im Einklang mit Sinn und Zweck eines Sozialplans. Zweck eines Sozialplans ist es gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern. Angesichts der Vielfalt ausgleichsfähiger und ausgleichsbedürftiger Nachteile steht den zuständigen Betriebsparteien ein darauf bezogener Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Aus diesem Grunde können sie eine typisierende Beurteilung dahin vornehmen, dass Arbeitnehmer, die während laufender Verhandlungen über Art und Ausmaß von Umstrukturierungsmaßnahmen das Arbeitsverhältnis beenden, ohne den Abschluss eines Sozialplans abzuwarten, eine Anschlussbeschäftigung gefunden haben, infolge derer ihnen keine oder sehr viel geringere ausgleichsfähige Nachteile drohen als den verbleibenden Arbeitnehmern ( - Rn. 26, BAGE 125, 366; - 1 AZR 370/06 - Rn. 16, ZIP 2007, 1575). Bei solchen Arbeitnehmern sind die Betriebsparteien nicht zum Nachteilsausgleich verpflichtet, sondern berechtigt, das verfügbare Sozialplanvolumen auf diejenigen Arbeitnehmer aufzuteilen, die tatsächlich infolge der konkreten Betriebsänderung gewichtige Nachteile zu erwarten haben.

183. Der Kläger ist aufgrund seiner Eigenkündigung vom zum aus dem Unternehmen der Beklagten ausgeschieden. Zu diesem Zeitpunkt war für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers noch kein Sozialplan abgeschlossen. Die nach § 1 SP notwendige Bestätigung der Vereinbarung zwischen der T AG und dem Konzernbetriebsrat durch den örtlichen Betriebsrat ist erst am erfolgt. Erst seit diesem Zeitpunkt war eine normative Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Sozialplanabfindung vorhanden. In der Rahmenvereinbarung vom , bei deren Abschluss der Kläger noch betriebszugehörig war, ist der geltend gemachte Abfindungsanspruch nicht geregelt.

19II. Ein Abfindungsanspruch folgt auch nicht aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG.

201. Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck ( - Rn. 15, EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 38).

212. Vorliegend haben die Betriebsparteien eine Gruppenbildung vorgenommen, indem sie nur solche Arbeitnehmer in den Geltungsbereich des Sozialplans aufgenommen haben, die bei seinem Zustandekommen noch Arbeitnehmer der Beklagten waren. Damit haben sie diejenigen Mitarbeiter ausgenommen, die zwar noch zu Beginn der Verhandlungen über das „Ob“ und „Wie“ der Umstrukturierungsmaßnahmen in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten standen, jedoch nicht mehr im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Sozialplans. Diese Gruppenbildung ist sachlich gerechtfertigt.

22a) Sie ist am Zweck des Sozialplans ausgerichtet, der keine Entschädigung für geleistete Dienste gewähren, sondern konkret absehbare oder eingetretene betriebsänderungsbedingte Nachteile ausgleichen soll. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dürfen die Betriebsparteien davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung genau absehbar und der Umfang der daran knüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist, keinen oder nur einen geringeren Ausgleichsbedarf haben ( - Rn. 26, BAGE 125, 366).

23b) Die Sachgerechtigkeit dieser Gruppenbildung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 2 Abs. 2 SP bestimmte konzerninterne Arbeitsplatzwechsel, die im Vorgriff auf eine beabsichtigte Betriebsänderung vor Abschluss des Sozialplans erfolgten, in dessen Geltungsbereich einbezieht. Die davon betroffenen Arbeitnehmer sind mit denjenigen, die vom persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans ausgenommen sind, nicht vergleichbar. Zum einen betrifft das Arbeitnehmer, die nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis zu einem konzernzugehörigen Unternehmen stehen. Zum anderen hatten sich bei dieser Personengruppe die betriebsänderungsbedingten Nachteile typischerweise bereits konkretisiert.

24c) Die Betriebsparteien waren auch nicht gehalten, den persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans durch eine Ausweitung des zeitlichen Geltungsbereichs auf einen Zeitpunkt vor dessen Abschluss vorzuverlegen. Die zu dieser Zeit noch betriebszugehörigen Arbeitnehmer hatten zu diesem Zeitpunkt noch keine Rechtsposition erlangt, die eine solche Einbeziehung zwingend geboten hätte. Das gilt schon deswegen, weil das genaue Ausmaß der Betriebsänderung vor Abschluss des Sozialplans noch nicht im Einzelnen festgestanden hat. Bis dahin gab es nur die Rahmenvereinbarung vom , in der aber nur das Verfahren zur Beteiligung des Betriebsrats bei der geplanten Neuordnung des Konzerns in groben Zügen festgelegt worden war, sowie die Eckpunktevereinbarung vom . Der für den Kläger maßgebliche Interessenausgleich wurde erst am 15./ und damit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger abgeschlossen. Normative Ansprüche zugunsten der Arbeitnehmer sind darin nicht begründet worden.

d) Aus der mit Schreiben der Beklagten vom angekündigten Verlagerung des Tätigkeitsbereichs des Klägers von W nach K folgt nichts anderes. Den damit einhergehenden Nachteilen haben die Betriebsparteien durch § 2 Abs. 2 SP Rechnung getragen, indem sie auch Arbeitnehmer in den Geltungsbereich des Sozialplans einbezogen haben, die vor Abschluss des Sozialplans, aber nach arbeitgeberseitiger Eröffnung der jeweiligen Angebotsphase einen Arbeitsplatzwechsel innerhalb des T Konzerns vorgenommen haben. Darin kommt die nicht zu beanstandende Einschätzung der Betriebsparteien zum Ausdruck, nach der Arbeitnehmer, die in dieser Zeit einen betriebsänderungsbedingten Wechsel des Arbeitsorts hinnehmen, einen wirtschaftlichen und damit ausgleichsbedürftigen Nachteil erleiden, während andere, die einen solchen Arbeitsplatzwechsel vermeiden, eines derartigen Ausgleichs nicht bedürfen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
SAAAD-83783