Urteilsverkündung: Beweis des Protokolls für die schriftliche Fixierung der Urteilsformel
Leitsatz
Enthält ein Protokoll die Feststellung, "anliegende Entscheidung" sei verkündet worden, so erbringt es nur dann Beweis dafür, dass ein Urteil auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel verkündet worden ist, wenn das Protokoll innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO erstellt worden ist (Abgrenzung zu , NJW 1985, 1782 und Beschluss vom , IX ZR 350/00, BGHR ZPO § 311 Urteilsverkündung 1) .
Gesetze: § 160 Abs 3 Nr 6 ZPO, § 160 Abs 3 Nr 7 ZPO, § 160 Abs 5 ZPO, § 160a ZPO, § 165 ZPO, § 517 ZPO
Instanzenzug: Az: 9 UF 633/08 Urteilvorgehend AG Cochem Az: 4b F 60/05
Tatbestand
1Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.
2In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, die am stattfand, wurde Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den bestimmt. Unter dem findet sich in den Akten ein Verkündungsprotokoll mit folgendem Wortlaut:
"... erschien bei Aufruf niemand. Anliegende Entscheidung wurde durch Verlesen der Urteilsformel verkündet."
3Das Protokoll trägt die Unterschrift des Richters am Amtsgericht R., der von der Hinzuziehung eines Protokollführers abgesehen hatte, weil der Inhalt des Protokolls vorläufig auf einem Tonaufnahmegerät aufgezeichnet worden sei. In den Akten folgt ein vollständiges Urteil, das laut nicht unterzeichnetem Verkündungsvermerk am verkündet wurde und das am zur Geschäftsstelle gelangt war. Nach dem Urteil eingeheftet sind zwei Schriftsätze des Klägervertreters vom 2. Juni und vom mit der Bitte um Bekanntgabe der ergangenen Entscheidung bzw. um Akteneinsicht, auf die nichts veranlasst wurde. Das Urteil wurde dem Beklagten am zugestellt. Am legte der Beklagte Berufung ein. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, die Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO sei verstrichen, hat der Beklagte zunächst bestritten, dass am ein Urteil verkündet worden sei, und später geltend gemacht, dass das Protokoll gefälscht sei. Außerdem hat er am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte die Berufung innerhalb der bis zu diesem Tag verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.
4Das Berufungsgericht hat die Berufung nach Beweiserhebung durch Vernehmung des RAG R., der Geschäftsstellenbeamtin M. und der Kanzleiangestellten B. als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist nicht gewahrt sei. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten.
Gründe
5Die Revision ist begründet.
6Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 mwN).
7I. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufung nicht fristgerecht eingelegt worden wäre, wenn das Urteil des Amtsgerichts am wirksam verkündet worden wäre. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung (§ 517 ZPO). Die zuletzt genannte Frist wäre durch die am , mithin mehr als acht Monate nach einer Verkündung am eingegangene Berufung nicht gewahrt worden.
8Fehlte es dagegen an einer wirksamen Verkündung, so hätte im Rechtssinn noch kein Urteil vorgelegen (vgl. BGHZ-GSZ-14, 39, 44), weshalb auch der Lauf der Fünfmonatsfrist nicht hätte beginnen können (vgl. - NJW 1985, 1782, 1783).
9II. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Urteil des Amtsgerichts sei am wirksam verkündet worden, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
101. Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten - einschließlich der Verkündung eines Urteils (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) - nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen dessen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist allein der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
11Diesen Nachweis hat das Berufungsgericht nicht als geführt angesehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach den Bekundungen der Zeugen sei es im Frühjahr 2008 häufig vorgekommen, dass zu dem angesetzten Verkündungstermin nur ein Urteilstenor vorgelegen habe und der Richter, der Zeuge R., das schriftliche Urteil erst nach dessen Verkündung abgesetzt und unterschrieben habe. Die Kanzleiangestellte B. habe ausdrücklich erklärt, dass sie zu Verkündungsterminen nur dann die Verkündungsprotokolle in die Akte gelegt habe, wenn von ihr auch ein schriftlicher Tenor gefertigt worden sei. Der Zeuge R. habe betont, dass er dann, wenn kein schriftlicher Tenor vorgelegen habe, keine Entscheidung verkündet hätte. Dass sich trotz dieser Praxis kein separater Urteilstenor in der Akte befinde, genüge nicht, um die Unrichtigkeit des Verkündungsprotokolls zu beweisen. Auch wenn alle Zeugen übereinstimmend erklärt hätten, sie hätten nie einen einzelnen Tenor aus der Akte entfernt, so hätten sie ebenso ausdrücklich betont, dass dann, wenn eine Verkündung protokolliert worden sei, auch ein schriftlicher Tenor vorgelegen habe. Äußere Mängel im Sinne von § 419 ZPO weise das Verkündungsprotokoll nicht auf.
12Damit ist indessen allein die seitens des Beklagten behauptete Protokollfälschung für nicht durchgreifend erachtet worden.
132. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob das Urteil wirksam verkündet worden ist. Das ist nicht bewiesen.
14a) Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es allerdings nicht schon deshalb an dem Nachweis einer wirksamen Verkündung, weil das Protokoll vom nur von dem Richter, nicht dagegen von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet worden ist. Ausweislich der Sitzungsniederschrift ist deren Inhalt zwar vorläufig auf einem Tonträger aufgezeichnet und das Protokoll nach der Sitzung hergestellt worden. Für einen solchen Fall sieht § 163 Abs. 1 Satz 2 ZPO vor, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Richtigkeit der Übertragung zu prüfen und zu bestätigen hat. Dies gilt auch dann, wenn er zur Sitzung nicht zugezogen war.
15Nach den auf der durchgeführten Beweisaufnahme beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Revision nicht angegriffen worden sind, hat die Kanzleiangestellte B. zu den Verkündungsterminen allerdings vorbereitete Verkündungsprotokolle - als Formular - in die Akte gelegt. Eine vorläufige Aufzeichnung des Protokolls durch den Richter ist somit nicht erfolgt. Das Protokoll, das über die Verkündung des Urteils ohne Hinzuziehung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erstellt wurde, bedurfte deshalb allein der Unterschrift des Richters.
16b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das Urteil zwar unter Verstoß gegen § 310 Abs. 2 ZPO verkündet wurde, weil es nicht in vollständiger Form abgefasst war, obwohl die Verkündung nicht in dem Termin erfolgte, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden war. Hierin hat das Berufungsgericht aber im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen der Wirksamkeit der Verkündung entgegenstehenden Umstand gesehen (vgl. BGH Beschlüsse vom - IVa ZB 2/88 - BGHR ZPO § 10 Abs. 2 Urteil 1 und vom - VI ZB 27/88 - NJW 1989, 1156, 1157).
17c) aa) Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll - sei es direkt oder, wie hier, als Anlage zum Protokoll (§ 160 Abs. 5 ZPO) - Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, das heißt auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel verkündet worden ist. Denn jede Form der Verlautbarung - durch Verlesen der Urteilsformel oder durch Bezugnahme hierauf - setzt voraus, dass der Urteilstenor im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt war.
18Der Beweis der insoweit ordnungsgemäßen Verkündung gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann als erbracht, wenn die der Reinschrift des Protokolls beigefügte Anlage, die die Urteilsformel enthält, nicht mit der bei der Verkündung vorliegenden Niederschrift identisch, sondern erst nachträglich hergestellt worden ist. Zur Begründung wird darauf abgestellt, der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift des § 160 a ZPO klargestellt, dass das Protokoll insgesamt anhand vorläufiger Aufzeichnungen erst nach dem Termin hergestellt werden könne; damit erlaube das Gesetz nunmehr die spätere Übertragung einer vorläufig aufgezeichneten Urteilsformel in Reinschrift und deren Verbindung mit dem Protokoll als Protokollanlage. Auch ein derart nachträglich hergestelltes Protokoll sei mit der erhöhten Beweiskraft des § 165 ZPO ausgestattet. Das müsse auch dann gelten, wenn das Protokoll unter Verletzung der Vorschrift des § 160 a Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht unverzüglich nach der Sitzung hergestellt worden sei und die vorläufigen Aufzeichnungen unter Verstoß gegen § 160 a Abs. 3 ZPO nicht zu den Prozessakten genommen oder bei der Geschäftsstelle aufbewahrt worden seien ( - NJW 1985, 1782, 1783 und - BGHR ZPO § 311 Abs. 2 Urteilsverkündung 1).
19bb) Ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall ist auch nachträglich kein im Sinne des § 165 ZPO beweiskräftiges Protokoll erstellt worden.
20Dass das Protokoll nachträglich hergestellt worden ist, ergibt sich aus der Akte, nämlich aus dem im Anschluss hieran eingehefteten Urteil, das erst am zur Geschäftsstelle gelangt ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Fünfmonatsfrist bereits abgelaufen, wenn am ein Urteil verkündet worden war. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es indessen unverzichtbar, dass innerhalb der Fünfmonatsfrist ein beweiskräftiges Protokoll über die Verkündung eines Urteils auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel erstellt wird (offen gelassen in - BGHZ 172, 298 = NJW 2007, 3210 Rn. 13). Denn allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist. Vom Zeitpunkt der Verkündung hängt wiederum der Beginn der Berufungsfrist ab, falls das Urteil - wie hier - erst nach Ablauf der Fünfmonatsfrist zugestellt worden ist. Hierüber muss vor Ablauf der Fünfmonatsfrist aus den Akten Gewissheit zu gewinnen sein. Ebenso muss feststellbar sein, ob das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil nicht innerhalb der spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung beginnenden Rechtsmittelfrist Berufung eingelegt worden ist.
21Soweit der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass die Verkündung eines Urteils auch dann durch das Protokoll bewiesen wird, wenn der Vorsitzende erst geraume Zeit nach dem Verkündungstermin und nach Erhebung einer das Fehlen seiner Unterschrift bemängelnden Verfahrensrüge in der Rechtsmittelbegründung das Protokoll unterzeichnet hat ( - NJW 1958, 1237), betrifft diese Rechtsprechung die Rechtslage vor der Einführung der Fünfmonatsfrist in § 516 ZPO in der bis zum geltenden Fassung (jetzt: § 517 ZPO). Nachdem die §§ 516 und 552 ZPO (jeweils aF) durch das Gesetz über die Prozesskostenhilfe vom (BGBl I 677) mit Wirkung vom dahin ergänzt worden sind, dass die Rechtsmittelfrist "spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung" beginnt, kann für die seitdem geltende Rechtslage an der vorgenannten Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden. Die Erstellung eines beweiskräftigen Verkündungsprotokolls ist vielmehr nach Ablauf der Fünfmonatsfrist als rechtlich nicht mehr zulässig zu erachten.
22d) Abgesehen davon konnte ein ordnungsgemäßes, beweiskräftiges Protokoll nachträglich nur entstehen, wenn der das Protokoll verantwortende Richter den Zusammenhang zwischen der Sitzungsniederschrift und dem verkündeten Urteil herstellt. Dazu wäre grundsätzlich die Beifügung eines von dem Richter unterzeichneten Urteils erforderlich gewesen, da andernfalls ein als beweiskräftig zu erkennendes Protokoll nicht hätte hergestellt werden können. Am war Richter am Amtsgericht R. aber nicht mehr im Dienst, weil er zum pensioniert worden war. Ein in den Ruhestand getretener Richter ist aus rechtlichen Gründen an einer richterlichen Tätigkeit gehindert (BGHZ 95, 246, 248; BVerwG NJW 1991, 1192). Er ist daher unter anderem nicht mehr befugt, ein von ihm gefälltes Urteil zu unterschreiben und ein Sitzungsprotokoll herzustellen.
233. Nach alledem kommt dem am nachträglich erstellten Protokoll keine Beweiskraft zu. Da der Beweis der ordnungsgemäßen Verkündung aber nur durch das Protokoll erbracht werden kann, ist eine wirksame Verkündung des Urteils am nicht nachgewiesen. Deshalb hatte die Fünfmonatsfrist an diesem Tag nicht begonnen mit der Folge, dass die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils am begann und durch das am eingegangene Rechtsmittel des Beklagten gewahrt wurde.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 1741 Nr. 24
PAAAD-82601