Einkommensteuer für Lohneinkünfte nach Insolvenzeröffnung keine (vorrangig zu befriedigende) Masseverbindlichkeit
Leitsatz
Gelangt pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so dass die auf die Lohneinkünfte zu zahlende Einkommensteuer keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit ist.
Gesetze: InsO § 55InsO § 35InsO § 36InsO § 80InsO § 89 Abs. 2ZPO § 850eZPO § 850f
Instanzenzug: (EFG 2010, 883) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
1Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerschuld für Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus nichtselbständiger Arbeit in einem Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der Insolvenzordnung (InsO) ist.
2Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist am und über das Vermögen des Ehegatten am das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet worden. Treuhänder in beiden Verfahren ist der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger).
3Die Insolvenzschuldnerin wurde in den Jahren 2005 und 2006 mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer erklärungsgemäß veranlagt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erteilte dem Kläger als Treuhänder für die Zeiträume bis zur Insolvenzeröffnung eine Steuerberechnung für das Jahr 2005. Für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung des Jahres 2005 sowie für das Jahr 2006 erließ das FA jeweils Einkommensteuerbescheide an den Kläger. Auf die Insolvenzschuldnerin entfiel dabei nach beantragter Aufteilung der Steuerschuld ein Nachzahlungsbetrag für 2005 in Höhe von insgesamt 845,74 € und für 2006 in Höhe von 582,88 €. Beide Einkommensteuerbescheide enthielten den Hinweis, dass die Steuerfestsetzung die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit betreffe. Die vom Kläger eingelegten Einsprüche richteten sich gegen die Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit.
4Die vom Kläger nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 883 veröffentlichten Gründen statt.
5Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 35, 55 InsO.
6Es beantragt sinngemäß,
das angefochtene aufzuheben.
7Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
8Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldnerin keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 InsO ist.
9Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend ist die Einkommensteuerverbindlichkeit der Insolvenzschuldnerin nicht in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, als einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative, begründet worden.
10Die Entstehung der Schuld muss auf eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (, BFHE 226, 97, BStBl II 2010, 13). Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt als „verwalten” nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde (, BFH/NV 2010, 2114). Vorliegend führte die Verwaltung der Masse durch den Kläger nicht zu der streitigen Einkommensteuernachzahlung.
11a) Keine Verwaltungsmaßnahme des Klägers ist die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin als solche. Ein Bezug zur Masse ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht —ZInsO— 2009, 299). Der Kläger hatte auch keine Pflicht zum Tätigwerden, da er als Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit zu unterbinden oder zu beeinflussen (BFH-Urteil in BFHE 226, 97, BStBl II 2010, 13).
12b) Entgegen der Auffassung des FA liegt eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters nicht allein deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt ist und diese damit vermehrt wurde. Zwar ist eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn tatsächlich keine Erträge zur Masse gezogen worden sind (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2114). Der Umkehrschluss ist jedoch nicht ohne weiteres möglich (BFH-Urteil in BFHE 226, 97, BStBl II 2010, 13).
13aa) Im Streitfall ist nach den Feststellungen des FG ein Teil des Arbeitseinkommens der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb tatsächlich in die Insolvenzmasse gelangt. Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Anders als unter Geltung der Konkursordnung gehört damit der sogenannte Neuerwerb ebenfalls zur Masse, soweit er der Zwangsvollstreckung unterliegt (§ 36 Abs. 1 InsO). Damit sind sämtliche Forderungen des Insolvenzschuldners Teil der Masse, ohne dass ein Abzug der berufsbedingten Aufwendungen erfolgt (BGH-Versäumnisurteil vom IX ZR 178/05, ZInsO 2007, 545).
14Anders ist dies jedoch bei den Ansprüchen des Insolvenzschuldners auf Arbeitslohn. Bei diesen wird der Fiskus als Gläubiger der Lohnsteuer in zweifacher Weise gegenüber anderen Neugläubigern privilegiert. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO verweist auf die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i der Zivilprozessordnung (ZPO). Die entsprechende Anwendung dieser Normen hat zur Folge, dass nur der allgemein pfändbare Teil des Arbeitslohnes zur Masse gelangt. Die Lohnsteuer, die vom Arbeitgeber direkt an das Finanzamt zu entrichten ist, wird vom Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners abgezogen, um den allgemein pfändbaren Betrag zu ermitteln. Damit wird dem Steuergläubiger nicht nur ein direktes Zugriffsrecht auf die Erwerbsquelle eingeräumt, sondern der Lohnsteuerabzug erfolgt zudem unabhängig vom Pfändungsschutz. Zu den steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen i.S. des § 850e ZPO gehört jedoch nur die laufende Lohnsteuer, nicht aber eine auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung (, Der Betrieb 1980, 835; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850e Rz 5) oder Lohnsteuerhaftungsbeträge (BFH-Urteil in BFHE 226, 97, BStBl II 2010, 13). Für diese Steuerschulden gelten die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze über Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners im Zusammenhang mit einer neuen Erwerbstätigkeit.
15bb) Aus der Zugehörigkeit einer Forderung zur Masse folgt danach nicht, dass die mit dieser Forderung zusammenhängenden Verbindlichkeiten stets Masseverbindlichkeiten sind. Einer derart weiten Auslegung des § 55 InsO, der allein regelt, was Masseverbindlichkeiten sind, steht neben dem Wortlaut der Norm auch entgegen, dass nach § 35 InsO der Neuerwerb zur Masse gezogen werden sollte, aber den Neugläubigern nur das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners verbleiben sollte (vgl. Henckel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 35 Rz 122; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., S. 78; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 35 Rz 38). Die Benachteiligung der Neugläubiger wird damit gerechtfertigt, dass nach der Konkursordnung das Arbeitseinkommen in der Regel auch vom Altgläubiger gepfändet gewesen sei, so dass den Neugläubigern tatsächlich auch kein Vermögen aus dem Neuerwerb zur Verfügung stand (BRDrucks 1/92, S. 122 zu § 42 InsO-Entwurf; vgl. BTDrucks 16/3227, S. 17 zum geänderten § 35 Abs. 2 InsO). Auch der Zusammenhang des § 55 InsO mit den §§ 80, 81 InsO spricht gegen eine Aufnahme der Neuverbindlichkeiten als Masseschulden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nur noch der Insolvenzverwalter die Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Wenn die mit einem Neuerwerb zusammenhängenden Verbindlichkeiten ohne Zutun des Insolvenzverwalters zu Masseverbindlichkeiten werden könnten, hätte es der Schuldner in der Hand, die Masse durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu schmälern. Dies soll jedoch nicht gegen den Willen des Insolvenzverwalters möglich sein.
16cc) Für die Einkommensteuer, die auf einen Neuerwerb anfällt, ist keine abweichende Betrachtung geboten. Diese Einkommensteuer führt ebenso wie die Aufwendung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben zu einer mit einem Neuerwerb in Verbindung stehenden Verbindlichkeit und ist somit grundsätzlich aus dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zu begleichen (Maus, ZInsO 2001, 493; Frotscher, a.a.O.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., § 60 Rz 5).
17Etwas anderes gilt auch nicht, wenn —wie vorliegend— die vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer nicht ausreicht, um die endgültige Jahreseinkommensteuer abzudecken. Dabei ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer durch die Wahl der Steuerklasse die Höhe der Lohnsteuer beeinflussen kann. Maßgeblich für die Berechnung der vom Arbeitgeber einzubehaltenden Lohnsteuer i.S. des § 850e ZPO ist die vom Insolvenzschuldner vorgelegte Lohnsteuerkarte mit den eingetragenen Merkmalen zur Steuerklasse oder Freibeträgen. Die Folge, dass der Insolvenzschuldner mit der Wahl der Steuerklasse entweder der Masse oder sich selbst —im Bereich des unpfändbaren Arbeitseinkommens— auf Kosten des Steuergläubigers mehr Vermögen zuwenden kann, ist im System angelegt.
18Auch der Aspekt, dass der Steuergläubiger —anders als Vertragspartner des Insolvenzschuldners— nicht freiwillig zum Gläubiger geworden ist, rechtfertigt nicht eine weitere Besserstellung gegenüber anderen Neugläubigern. Zu diesen gehören auch Gläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse mit Ansprüchen aus fahrlässig begangener unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung, ungerechtfertigter Bereicherung sowie Geschäftsführung ohne Auftrag. Viele dieser Gläubiger haben sich ebenso wie der Steuergläubiger nicht willentlich in die Position des Anspruchsinhabers gebracht. Auch ihnen verbleibt nur der Zugriff auf das in der Praxis meist nicht vorhandene insolvenzfreie Vermögen. Lediglich Gläubiger von vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen sind nach § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 850f Abs. 2 ZPO privilegiert. Sie dürfen ebenso wie Unterhaltsgläubiger trotz Insolvenzverfahren in einen Teil des unpfändbaren (zukünftigen) Arbeitseinkommens des Insolvenzschuldners, das wegen § 36 InsO nicht zum Neuerwerb gehört, hineinpfänden. Gerade daran wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus Neugläubiger mit Privilegien ausgestattet hat. Die allgemeine Wertung des Gesetzgebers, dass der Steuergläubiger —ebenso wie andere unfreiwillige Neugläubiger— nicht bevorzugt werden soll, ist zu akzeptieren und nicht durch eine weite Auslegung des § 55 InsO zu umgehen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 520
BB 2011 S. 1110 Nr. 18
BFH/NV 2011 S. 1083 Nr. 6
BFH/PR 2011 S. 292 Nr. 7
BStBl II 2011 S. 520 Nr. 10
DB 2011 S. 6 Nr. 17
DB 2011 S. 967 Nr. 17
DStR 2011 S. 804 Nr. 17
DStRE 2011 S. 656 Nr. 10
EStB 2011 S. 182 Nr. 5
FR 2011 S. 720 Nr. 15
HFR 2011 S. 662 Nr. 6
KÖSDI 2011 S. 17466 Nr. 6
NJW 2011 S. 3120 Nr. 42
NWB-Eilnachricht Nr. 19/2011 S. 1595
StB 2011 S. 178 Nr. 6
StBW 2011 S. 441 Nr. 10
ZIP 2011 S. 873 Nr. 18
FAAAD-81735