BGH Beschluss v. - 4 StR 635/10

Sicherungsverfahren: Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Erheblichkeit der drohenden Taten

Gesetze: § 63 StGB

Instanzenzug: LG Frankenthal Az: 5470 Js 41361/09 - 2 KLs Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.

21. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften, an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:

3(1) eine am während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen,

4(2) eine am zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,

5(3) eine am zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und

6(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am , wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.

7Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).

82. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.

9a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 6/08; vom - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 291/08, vom - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).

10b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.

11aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (, Urteil vom   - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (, Beschlüsse vom   - 1 StR 153/08, vom - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (, Urteil vom - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch ). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.

12bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.

13Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht ( mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. , NStZ-RR 2009, 198).

14Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbal-aggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. ).

15Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall , NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.

163. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähigkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.

Ernemann                                     Solin-Stojanović                                   Cierniak

                           Franke                                                Mutzbauer

Fundstelle(n):
NAAAD-81579