Wertfortschreibung: Ermittlung der üblichen Miete bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eines im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks
Leitsatz
Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisses eines
Mietwohngrundstücks im Beitrittsgebiet, so ist bei einer
Wertfortschreibung auf einen Stichtag nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt
für die Bewertung im Ertragswertverfahren die (Jahresroh-)Miete
anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt
unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des
Grundstücks im Fortschreibungszeitpunkt zu erzielen gewesen
wäre.
Bei der Schätzung der üblichen Miete kann
nicht auf die für das Grundstück nach dem Stand zu
entrichtende Jahresrohmiete zurückgegriffen werden, weil diese Miete
angesichts der veränderten tatsächlichen Verhältnisse keinen
zutreffenden Maßstab (mehr) für die Bewertung im
Wertfortschreibungszeitpunkt darstellt.
Für die Ermittlung
der üblichen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie
die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung
heranzuziehen sind. Dazu kann als Hilfsmittel notfalls auf die von den
Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich
erarbeiteten Mietspiegel oder ähnliche Schätzungsgrundlagen
zurückgegriffen werden, soweit diese in ihren Aufgliederungen nach
Mietpreisregelungen und den anderen gemäß
§ 79 Abs. 2 Satz 2
BewG maßgebenden Kriterien den vom Gesetz gestellten
Anforderungen für die Schätzung der üblichen Miete
entsprechen.
Diesen Anforderungen genügt ein auf
Durchschnittswerten für das gesamte Gemeindegebiet beruhender Mietspiegel
nicht, wenn dieses Gemeindegebiet in verschiedene Bezirke eingeteilt ist und
für diese Bezirke unterschiedlich hohe Vervielfältigter anzuwenden
sind.
Gesetze: BewG § 129 Abs. 2 Nr. 2, BewG § 32 Abs. 1 Nr. 1, BewG § 33, BewG § 34, BewG § 35 Abs. 1, BewG § 36
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Mietwohngrundstücks in L, das seit seiner Eingemeindung im Jahr 1930 zu X gehört. Das Grundstück ist mit einem Wohngebäude (Baujahr 1920) bebaut, das der Kläger selbst bewohnt und zum Teil vermietet. Das Grundstück des Klägers ist nach einem Schreiben der örtlichen Denkmalschutzbehörde vom Teil einer als Kulturdenkmal geschützten .anlage.
2Nachdem der Kläger das Gebäude modernisiert hatte, stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit Bescheid vom durch Wertfortschreibung auf den einen Einheitswert von 17.200 DM fest. Dabei ordnete das FA das Grundstück auf der Grundlage seines alle Lagen der Stadt X (einschließlich L) betreffenden Mietspiegels in die Lageklasse I (gut) mit einer Spannbreite der monatlichen Rohmiete von 0,90 DM bis 1,30 DM je qm ein und setzte eine Miete von 0,90 DM je qm an. Diese Rohmiete multiplizierte es mit einem Vervielfältiger von 8,0 gemäß § 129 Abs. 2 Nr. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Verbindung mit einer Verordnung über die Bewertung bebauter Grundstücke im Gebiet der Finanzämter X und Y (VO X/Y), die X in Bezirke unterteilt und u.a. für L (Bezirk III) einen höheren Vervielfältiger vorsieht als für Grundstücke in der Stadt X (Bezirk I, Vervielfältiger 6,0).
3Einspruch und Klage gegen den Einheitswertbescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1296 veröffentlichten Urteil aus, das FA habe als Schätzungsgrundlage für die Jahresrohmiete zutreffend den für das Gesamtgebiet der Stadt X erarbeiteten Mietspiegel herangezogen. Darin liege keine Ungleichbehandlung des Klägers, da das FA auf der Grundlage des Mietspiegels von der niedrigsten möglichen Miete im Stadtgebiet ausgegangen sei. Der Denkmalschutz könne erst ab dem zu einer niedrigeren Bewertung führen.
4Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der vom FA der Bewertung zugrunde gelegte Mietspiegel lasse die Lageunterschiede innerhalb des Gebiets der Stadt X unberücksichtigt. Daraus ergebe sich aufgrund des für Grundstücke in L anzuwendenden höheren Vervielfältigers eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Grundstücken, die in dem dem Bezirk I zugeordneten Stadtgebiet der Stadt X liegen.
5Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Einheitswertbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
6Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
7II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Jahresrohmiete auf der Grundlage des vom FA angewendeten Mietspiegels —und damit nach den Durchschnittswerten für das Gesamtgebiet der Stadt X— ermittelt werden durfte. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ermöglichen keine Entscheidung über die zutreffende Höhe des Einheitswerts.
81. Für Grundstücke im Beitrittsgebiet gelten gemäß § 129 Abs. 1 BewG die Einheitswerte, die nach den Wertverhältnissen am festgestellt sind oder noch festgestellt werden. Die Einheitswerte 1935 unterliegen gemäß § 132 Abs. 1 BewG —vorbehaltlich der sich aus den Absätzen 2 bis 4 dieser Vorschrift ergebenden Einschränkungen— unter den Voraussetzungen des § 22 BewG der Fortschreibung, und zwar u.a. dann, wenn sich —wie im Streitfall— die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben. Der Fortschreibung der Einheitswerte für Grundbesitz sind nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG i.V.m. § 3a der Durchführungsverordnung zum Reichsbewertungsgesetz (RBewDV) —die Regelung entspricht § 22 Abs. 4 Satz 2, § 27, § 79 Abs. 5 BewG— der tatsächliche Zustand des Grundbesitzes (Bestand, bauliche Verhältnisse usw.) vom Fortschreibungszeitpunkt und die Wertverhältnisse vom zugrunde zu legen (, BFH/NV 2001, 150). Diese die Einheitsbewertung im Beitrittsgebiet betreffenden Vorschriften sind nach der BFH-Rechtsprechung (Urteile vom II R 60/08, BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897 und II R 12/09, BFHE 230, 93, BStBl II 2011, 48) jedenfalls für Stichtage bis zum —und damit auch im Streitfall— als noch verfassungsgemäß zu beurteilen.
92. Nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG i.V.m. § 33 RBewDV sind Grundstücke im Beitrittsgebiet, die zu mehr als 80 v.H. Wohnzwecken dienen (Mietwohngrundstücke, § 32 Abs. 1 Nr. 1 RBewDV), mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete, d.h. im Ertragswertverfahren, zu bewerten. Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse eines solchen Grundstücks, so ist bei einer Wertfortschreibung auf einen Stichtag nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt für die Bewertung im Ertragswertverfahren die (Jahresroh-)Miete anzusetzen, die nach den Wertverhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zustands des Grundstücks im Fortschreibungszeitpunkt zu erzielen gewesen wäre. Bei der Schätzung der üblichen Miete kann nicht auf die für das Grundstück nach dem Stand zu entrichtende Jahresrohmiete zurückgegriffen werden, weil diese Miete angesichts der veränderten tatsächlichen Verhältnisse keinen zutreffenden Maßstab (mehr) für die Bewertung im Wertfortschreibungszeitpunkt darstellt (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 150).
10a) Für die Ermittlung der üblichen Miete bedarf es einer Schätzung, bei der in erster Linie die Mieten von Objekten gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung (übliche Miete i.S. von § 34 Abs. 4 Satz 2 RBewDV —entspricht § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG—) heranzuziehen sind (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 150, m.w.N.). Dazu kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH als Hilfsmittel für die Schätzung der üblichen Miete notfalls auf die von den Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erarbeiteten Mietspiegel oder ähnliche Schätzungsgrundlagen zurückgegriffen werden, soweit diese in ihren Aufgliederungen nach Mietpreisregelungen und den anderen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG (entspricht § 34 Abs. 4 Satz 2 RBewDV) maßgebenden Kriterien den vom Gesetz gestellten Anforderungen für die Schätzung der üblichen Miete entsprechen (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 150; vom II R 79/96, BFHE 187, 104, BStBl II 1999, 10; vom II R 2/86, BFH/NV 1989, 626, und vom III R 41/75, BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36).
11b) Diesen Anforderungen genügt ein auf Durchschnittswerten für das gesamte Gemeindegebiet beruhender Mietspiegel nicht, wenn dieses Gemeindegebiet in verschiedene Bezirke eingeteilt ist (§ 32 Abs. 1 RBewDV; § 1 VO X/Y) und für diese Bezirke unterschiedlich hohe Vervielfältigter (§ 36 RBewDV; §§ 1 und 3 VO X/Y) anzuwenden sind. Die Einteilung eines Gebiets in verschiedene Bezirke sowie die unterschiedliche Höhe des Vervielfältigers beruhten auf den örtlichen Verschiedenheiten der Grundstücke (Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz 1934, 1. bis 4. Aufl., § 52 BewG Rz 13; Haider/Engel/Dürschke, Bewertungsgesetz, Bodenschätzungsgesetz, 3. Aufl. 1954, S. 236 f.). Wie sich aus § 35 Abs. 1 Satz 2 und § 36 RBewDV ergibt, ist der Ansatz eines einheitlichen Vervielfältigers nur möglich, soweit die Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt etwa gleichmäßig liegen. Werden daher in einem Mietspiegel die Mieten für Mietwohngrundstücke aus verschiedenen Bezirken mit unterschiedlichen Vervielfältigern abgeleitet, sind die im Mietspiegel berücksichtigten Mietobjekte nicht —wie von § 34 Abs. 4 Satz 2 RBewDV gefordert— von gleicher oder ähnlicher Art und Lage. Der aufgrund eines solchen Mietspiegels ermittelte „übergreifende” Durchschnittswert ist daher zur Schätzung der üblichen Miete für jede der verschiedenen Lagen in mehreren Bezirken ungeeignet.
12Dem steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36) die Ableitung der üblichen Miete über einen Vergleich mit den andere Grundstücksarten oder andere Gemeinden bzw. Gemeindeteile betreffenden Mietspiegeln zulässig ist und dass sich die durch die Anwendung von Mietspiegeln zwangsläufig ergebenden Ungenauigkeiten die Gleichmäßigkeit der Wertfeststellungen lediglich in einem Maße beeinträchtigen, das wegen der technischen Schwierigkeiten einer Massenbewertung auch bei Anwendung einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise grundsätzlich noch hingenommen werden kann. Auch diese Beurteilung der Mietspiegel setzt jedoch voraus, dass ein Mietspiegel u.a. unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse nach der Lage der Grundstücke gegliedert ist.
13c) Eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten scheidet nicht etwa deshalb aus, weil das FA im Streitfall auf der Grundlage seines Mietspiegels die niedrigstmögliche Miete für die Lageklasse I in X zugrunde gelegt hat. Denn auf der Grundlage eines auf die örtlichen Verhältnisse in L abstellenden Mietspiegels kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass sich für das Objekt des Klägers eine niedrigere übliche Miete ergibt.
14d) Da das FG diese Grundsätze nicht beachtet hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.
153. Die Sache ist nicht spruchreif.
16a) Das FG wird zu prüfen haben, ob im Streitfall —ggf. auf der Grundlage eines vom FA insoweit zu erarbeitenden Mietspiegels oder ähnlicher Schätzungsgrundlagen— die übliche Miete aus der Jahresrohmiete von in L gelegenen Vergleichsobjekten nach dem Stand vom abgeleitet werden kann. Soweit eine Ableitung der üblichen Miete durch unmittelbaren Vergleich mit tatsächlich gezahlten Mieten für vergleichbare vermietete Objekte oder aus Mietspiegelmieten nicht möglich ist, kann ausnahmsweise eine Ermittlung der Miete durch Sachverständigengutachten in Betracht kommen (BFH-Urteil in BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36).
17b) Das FG wird ferner zu prüfen haben, ob das Mietwohngrundstück des Klägers nach den Grundsätzen zu behandeln ist, die die Finanzverwaltung für die Einheitsbewertung des unter Denkmalschutz stehenden Grundbesitzes anwendet (vgl. Gleichlautende Erlasse vom betreffend die Bewertung von Mietwohngrundstücken und gemischt genutzten Grundstücken im Beitrittsgebiet ab , BStBl I 1993, 173 Tz. 4.5.3; Erlass des Finanzministeriums Sachsen „Einheitsbewertung des Grundbesitzes - Grundbesitz, der unter Denkmalschutz steht” vom - 34 -S 3219a- 6/6 – 45293).
18Dabei wird zunächst zu prüfen sein, in welcher Hinsicht das Mietwohngrundstück des Klägers Gegenstand des Denkmalschutzes ist. Das Sächsische Denkmalschutzgesetz vom —SächsDSchG— (Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1993, 229) bietet keine Grundlage für die Annahme des FG, das Grundstück des Klägers sei als „Baudenkmal” geschützt. Gemäß § 2 SächsDSchG sind Kulturdenkmale Gegenstand des Denkmalschutzes; gemäß § 2 Abs. 5 Buchst. a SächsDSchG können u.a. „Bauwerke” Kulturdenkmale sein. Aus dem vom Kläger vorgelegten Schreiben der örtlichen Denkmalschutzbehörde vom ergibt sich indes nur, dass das Grundstück des Klägers als Teil einer .anlage als Kulturdenkmal ausgewiesen ist; die Eigenschaft des Gebäudes des Klägers als Kulturdenkmal ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen.
19Das FG wird ferner zu prüfen haben, ob eine Denkmaleigenschaft bereits am Feststellungszeitpunkt des gegeben war. Dem Schreiben der örtlichen Denkmalschutzbehörde vom kann für eine rechtliche Wirkung der Denkmaleigenschaft erst ab —wie vom FG angenommen— nichts entnommen werden. Vielmehr wird in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Denkmalschutz für die .anlage bereits seit dem Jahr 1935 bestand. Überdies ist der Denkmalschutz gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 SächsDSchG nicht von der Aufnahme eines Kulturdenkmals in ein Verzeichnis abhängig.
20Der Senat weist schließlich darauf hin, dass es für das Bewertungsrecht entscheidend darauf ankommt, ob für das Grundstück des Klägers am Bewertungsstichtag denkmalschutzrechtliche Verpflichtungen und Nutzungsbeschränkungen vorlagen, die nach ihrer Bedeutung für den Wert des Grundstücks einen Abschlag bei der Feststellung des Einheitswerts rechtfertigen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 968 Nr. 6
QAAAD-81043