BFH Urteil v. - X R 13/10

Steuerbegünstigung nach § 10f EStG bei unentgeltlicher Überlassung einer Wohnung zur alleinigen Nutzung an das Kind; Auslegung des Begriffs der "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" i.S. des § 10f Abs. 1 EStG

Leitsatz

Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 10f Abs. 1 EStG kann auch dann angenommen werden, wenn der Eigentümer die Wohnung einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind, also einem Kind im Sinne des § 32 EStG, unentgeltlich zur alleinigen Nutzung überlässt.
Aus § 4 Satz 2 EigZulG kann nicht gefolgert werden, dass der Begriff der "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" im Sinne des § 10f Abs. 1 EStG entsprechend § 4 Sätze 1 und 2 EigZulG auszulegen ist.
Der Begriff der "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" im Sinne des § 10f EStG kann nicht im Wege der Rechtsfortbildung ausgedehnt werden, da es an der dafür erforderlichen Lücke im Gesetz, also einer planwidrigen Unvollständigkeit fehlt.

Gesetze: EStG § 10f Abs. 1, EigZulG § 4 Satz 2, EStG § 10e Abs. 1, EStG § 32

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)

Gründe

1I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die im Streitjahr 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2004 erging gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

2Mit notariell beurkundetem Vertrag vom erwarb die Klägerin eine noch zu erstellende Eigentumswohnung in dem Objekt X. Ab Fertigstellung überließ sie die gesamte Wohnung unentgeltlich ihrer Tochter. Die Tochter war im Streitjahr nicht als Kind i.S. des § 32 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer zu berücksichtigen. Die Wohnung wurde auch nicht zur Erfüllung einer gegenüber der Tochter bestehenden Unterhaltsverpflichtung überlassen.

3Bei dem Objekt handelt es sich um ein Baudenkmal i.S. des § 2 des Hamburgischen Denkmalschutzgesetzes. Ausweislich einer Bescheinigung der Kulturbehörde der Stadt Hamburg haben die im Rahmen der Erstellung der Eigentumswohnungen an dem Objekt durchgeführten Arbeiten zu Aufwendungen in Höhe von . € geführt, von denen . € auf Maßnahmen i.S. von § 10f EStG entfielen.

4Mit Schreiben vom beantragten die Kläger, den Einkommensteuerbescheid 2004 zu ändern und für das Streitjahr sowie die neun Folgejahre jeweils . € gemäß § 10f EStG wie Sonderausgaben bei der Einkommensteuerfestsetzung abzuziehen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom ab, da die unentgeltliche Überlassung der gesamten Wohnung zu Wohnzwecken steuerschädlich sei.

5Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1495 veröffentlichtem Urteil abgewiesen.

6Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 10f EStG. Die unentgeltliche Überlassung der Wohnung an ihre Tochter als Angehörige i.S. des § 15 AO stelle eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nach § 10f EStG dar. Der Gesetzgeber habe seit 1996 in allen neuen Gesetzen zur Förderung von selbstgenutztem Wohneigentum, wie dem Eigenheimzulagengesetz (EigZulG) und dem Investitionszulagengesetz 1999, die gleichlautende Definition aufgenommen, dass Eigennutzung auch bei unentgeltlicher Überlassung an Angehörige gemäß § 15 AO vorliege. Diese Definition könne bei einer Auslegung des § 10f EStG nicht unberücksichtigt bleiben. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine Rechtsauslegung aus dem Jahr 1994 zu § 10e EStG (, BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544) weiterhin Auswirkungen auf § 10f EStG im Jahr 2004 haben solle, eine ausdrückliche Normierung des Begriffs „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” im EigZulG aber bei der Rechtsauslegung für das Jahr 2004 nicht zu berücksichtigen sei. Im Übrigen seien die Grundsätze zur Rechtsfortbildung vom FG nicht hinreichend berücksichtigt worden.

7Die Kläger beantragen sinngemäß,

das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass ein Abzugsbetrag nach § 10f EStG in Höhe von . € wie Sonderausgaben berücksichtigt wird.

8Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Zu Recht hat das FG den Abzug eines Betrages von . € gemäß § 10f EStG wie Sonderausgaben versagt, da die Klägerin die Wohnung im Streitjahr nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat.

101. Nach § 10f Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige Aufwendungen an einem eigenen Gebäude im Kalenderjahr des Abschlusses der Baumaßnahme und in den neun folgenden Kalenderjahren jeweils bis zu 9 % wie Sonderausgaben abziehen, wenn die Voraussetzungen des § 7h EStG oder des § 7i EStG vorliegen. Dies gilt nach § 10f Abs. 1 Satz 2 EStG jedoch nur, soweit der Steuerpflichtige das Gebäude in dem jeweiligen Kalenderjahr zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt gemäß § 10f Abs. 1 Satz 4 EStG auch dann vor, wenn Teile einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen werden. Gemäß § 10f Abs. 5 EStG ist § 10f EStG entsprechend auf Eigentumswohnungen anzuwenden.

112. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Klägerin die Wohnung im Streitjahr nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Insbesondere kann die alleinige Nutzung der Wohnung durch ihre Tochter der Klägerin nicht als eigene Nutzung zugerechnet werden.

12a) Was unter „eigenen” Wohnzwecken i.S. des § 10f Abs. 1 Sätze 2 und 4 EStG zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher erläutert.

13Der Begriff der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” findet sich wortgleich in der Vorschrift des § 10e EStG. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 10e Abs. 1 EStG wird eine Wohnung im Regelfall dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn der Eigentümer allein oder zusammen mit Familienangehörigen bzw. anderen in den Haushalt aufgenommenen Personen darin wohnt (, BFH/NV 1998, 160; vom X R 21/95, BFHE 186, 271, BStBl II 1998, 563, und vom X R 29/00, BFHE 196, 527, BStBl II 2002, 380).

14Nach § 10e Abs. 1 Satz 3 EStG, der der Vorschrift des § 10f Abs. 1 Satz 4 EStG entspricht, liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, wenn Teile einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen werden. Aus dieser Vorschrift hat der erkennende Senat gefolgert, dass die unentgeltliche Überlassung der gesamten Wohnung grundsätzlich nicht als Eigennutzung des Eigentümers beurteilt werden kann (z.B. Beschluss vom X B 47/97, BFH/NV 1998, 576). Eine Eigennutzung des Eigentümers kann nach der Rechtsprechung des Senats zu § 10e EStG ausnahmsweise dann angenommen werden, wenn er die Wohnung einem —einkommensteuerlich zu berücksichtigenden— Kind, also einem Kind i.S. des § 32 EStG, unentgeltlich zur alleinigen Nutzung überlässt (Entscheidungen in BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544; vom X R 17/91, BFHE 173, 352, BStBl II 1994, 542, und vom X B 214/94, BFH/NV 1995, 500). Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (Senatsurteil in BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544).

15b) Die oben dargestellte Rechtsprechung zu § 10e EStG ist auch bei der Auslegung des Begriffs der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” i.S. des § 10f EStG anzuwenden.

16Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, unter B.I.1.; , BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572, unter B.I.1.a, m.w.N.). Im Rahmen des möglichen Wortsinns hat die Auslegung den Bedeutungszusammenhang des Gesetzes zu beachten (BFH-Urteil in BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572). Vor diesem Hintergrund sind Begriffe, die in verschiedenen Vorschriften desselben Gesetzes verwendet werden, grundsätzlich einheitlich auszulegen (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548, unter C.2.). Insoweit spricht der übereinstimmende Wortlaut in § 10f Abs. 1 Satz 4 EStG und § 10e Abs. 1 Satz 3 EStG für eine Auslegung des Begriffs der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” i.S. des § 10f EStG unter Beachtung der oben aufgeführten, zu § 10e EStG ergangenen Rechtsprechung (so auch Kleeberg, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10f Rz B 11; B. Meyer/Clausen in Herrmann/Heuer/ Raupach (HHR), § 10f EStG Rz 14; Boeker in Lademann, EStG, § 10f EStG Rz 18). Eine nach diesen Grundsätzen der Klägerin zuzurechnende Eigennutzung scheidet im Streitfall jedoch aus, da nach den bindenden Feststellungen des FG die Tochter im Streitjahr nicht als Kind i.S. des § 32 EStG bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer zu berücksichtigen war und die Wohnung auch nicht zur Erfüllung einer gegenüber der Tochter bestehenden Unterhaltsverpflichtung überlassen wurde.

17c) Ein anderes Ergebnis ergibt sich —entgegen der Auffassung der Kläger— auch nicht aus § 4 Satz 2 EigZulG. Aus dieser Vorschrift kann nicht gefolgert werden, dass der Begriff der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” i.S. des § 10f Abs. 1 EStG entsprechend § 4 Sätze 1 und 2 EigZulG auszulegen ist.

18aa) Nach § 4 Satz 2 EigZulG liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken i.S. des § 4 EigZulG auch vor, soweit eine Wohnung unentgeltlich an einen Angehörigen i.S. des § 15 AO zu Wohnzwecken überlassen wird. Von der Vorschrift erfasst wäre damit auch die unentgeltliche Überlassung der gesamten Wohnung an die Tochter als Angehörige i.S. des § 15 Nr. 3 AO (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zu Wohnzwecken (Wacker, EigZulG, 3. Aufl., § 4 Rz 22; so auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung, BTDrucks 13/2235, S. 15; vgl. , BFHE 196, 481, BStBl II 2002, 77).

19Dass die Wohnungsüberlassung an Angehörige nach § 4 Satz 2 EigZulG nicht mehr vom Wortsinn des Begriffs der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” gedeckt ist (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 173, 352, BStBl II 1994, 542, und in BFH/NV 1995, 500) spiegelt sich letztlich in der vom Gesetzgeber erkannten Regelungsbedürftigkeit dieser sachlichen Erweiterung der Eigennutzung in § 4 Satz 2 EigZulG wieder (vgl. insoweit auch schon die Regelung des § 10h EStG).

20bb) Gegen eine Auslegung des Begriffs der Eigennutzung nach § 10f EStG unter Einbeziehung des Regelungsgehalts des § 4 Satz 2 EigZulG spricht auch, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 10f EStG nicht im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum EigZulG angepasst hat. Dies wäre vor allem deshalb naheliegend gewesen, weil sich die Regelungsbereiche des § 10f Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 4 Satz 2 EigZulG inhaltlich überschneiden und damit eine Anpassung zumindest zur Klarstellung der Rechtslage angezeigt gewesen wäre. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Regelungsgehalt des § 10f EStG nach dem Willen des Gesetzgebers unverändert gelassen werden sollte.

21Auch ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung (BTDrucks 13/2235, S. 14 ff.) sollte durch das EigZulG die bisherige steuerrechtliche Förderung der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung nach § 10e EStG umgestaltet werden, um auch Haushalten mit geringerem Einkommen den Zugang zum Kauf oder Erwerb eigenen Wohneigentums zu erleichtern. Dies sollte durch die Abkehr von der bisherigen Progressionsabhängigkeit der Eigenheimförderung mittels einer für alle Bürger gleich hohen Zulage bewirkt werden. Konsequenterweise wird in der Begründung zu § 4 Satz 2 EigZulG (BTDrucks 13/2235, S. 15) ausgeführt, dass „im Unterschied zu § 10e des Einkommensteuergesetzes” das EigZulG damit auch die an Angehörige i.S. des § 15 AO ganz überlassene Wohnung begünstige. § 10f EStG findet in der Gesetzesbegründung dementsprechend keinerlei Erwähnung.

22cc) Damit hat das FG auch zu Recht ausgeschlossen, § 4 EigZulG als allgemeingültige Legaldefinition des Begriffs der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” anzusehen. Ein entsprechender Wille des Gesetzgebers müsste in der Vorschrift selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben (vgl. , BVerfGE 47, 109, 127, unter C.IV.3.a, m.w.N.). Dies ist nicht der Fall.

23d) Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger kann der Begriff der „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken” i.S. des § 10f EStG auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung ausgedehnt werden, da es an der dafür erforderlichen Lücke im Gesetz, also einer planwidrigen Unvollständigkeit fehlt (z.B. , 221/79, BVerfGE 71, 354, BStBl II 1986, 376, unter B.I.1.; Senatsurteil vom X R 43/03, BFHE 213, 494, BStBl II 2006, 868; HHR/Ruppe, EStG, Einf. EStG Rz 660 ff., unter II.2.b dd; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 191 ff.).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 974 Nr. 6
EStB 2011 S. 183 Nr. 5
BAAAD-81035