BFH Urteil v. - V R 22/10 BStBl 2011 II S. 996

Masseverbindlichkeit bei Entgeltvereinnahmung durch Insolvenzverwalter

Leitsatz

Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des , BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, zur Istbesteuerung).

Gesetze: UStG 1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1UStG 1999 § 17InsO §§ 38, 55

Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 1 K 533/09 (EFG 2010, 1845) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-GmbH (GmbH).

2Die GmbH schloss am , vertreten durch den Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter, mit einer KG, für die der Kläger bereits zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, einen Vertrag, nach dem die GmbH der KG ihren Fuhrpark gegen monatliche Zahlung von 20.906,18 € zzgl. 3.344,99 € Umsatzsteuer (24.251,17 € brutto) zur Nutzung überlassen sollte und tatsächlich überließ; der Vertrag lief bis . Die Wirksamkeit der Vereinbarung war von der Genehmigung eines durch das Insolvenzgericht einzusetzenden Sonderverwalters abhängig.

3Über das Vermögen der GmbH, die ihre Umsätze zunächst nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des im Streitjahr 2005 geltenden Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) versteuerte, wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom gestattete das zuständige Finanzamt (FA S) den vom Kläger beantragten Wechsel zur Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 20 UStG.

4Am genehmigte der Sonderverwalter der GmbH den Vertrag vom . Daraufhin wurde die vereinbarte Miete für die vor Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen —Nutzungsüberlassung des Fuhrparks für Januar und Februar 2004— in Höhe von 48.502,34 € brutto gezahlt und am vom Kläger vereinnahmt.

5Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging das FA S davon aus, dass es sich bei den nach Insolvenzeröffnung vereinnahmten Entgelten aus den zuvor erbrachten Leistungen um Masseverbindlichkeiten handele, und setzte durch den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juli 2005 vom hierfür Umsatzsteuer gegenüber dem Kläger fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

6Nach der Erhebung der Klage zum Finanzgericht (FG) erließ das FA S am im Schätzungsweg den Umsatzsteuerjahresbescheid 2005, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde.

7Das FG gab der Klage statt, mit der sich der Kläger gegen die Berücksichtigung des vereinnahmten Entgelts als Masseforderung wendet. Das Insolvenzverfahren sei im März 2004 und damit nach Ablauf der Voranmeldungszeiträume, in denen die Leistungen erbracht wurden, eröffnet worden. Der Tatbestand des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStG sei damit bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig erfüllt gewesen, so dass die Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden seien. Hieran ändere der nach Verfahrenseröffnung beantragte und gewährte Wechsel der Besteuerungsart nichts. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung müsse eine Besteuerung der nach dem Übergang zur Istbesteuerung vereinnahmten Entgelte entfallen, wenn —-wie hier— die Umsätze bereits vor dem Übergang zur Istbesteuerung der Sollbesteuerung unterlegen hätten. Der Unternehmer habe deshalb in den Voranmeldungen für die Voranmeldungszeiträume, in denen solche Außenstände eingehen, die bereits versteuerten Beträge von den vereinnahmten Entgelten abzusetzen. Dies gelte unabhängig von den Gründen, aus denen eine Anmeldung und Versteuerung zunächst tatsächlich unterblieben sei. Da die Umsatzsteuer unter der Geltung der Sollbesteuerung entstanden sei, könne nach dem Wechsel zur Istbesteuerung keine Rückabwicklung erfolgen. Durch den Wechsel der Besteuerungsart werde der bereits vollständig verwirklichte und abgeschlossene Umsatzsteuertatbestand rückwirkend wieder „unbegründet”.

8Das Urteil des FG ist in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2010, 1845 veröffentlicht.

9Mit seiner Revision macht das FA S Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Umsätze aus der Vermietung des Fuhrparks seien nicht zur Sollbesteuerung angemeldet worden, so dass keine Sollbesteuerung erfolgt sei. Nach dem FG-Urteil unterbleibe die Besteuerung dieser Umsätze völlig. Zumindest müsse der Wechsel zur Istbesteuerung auch für die Umsätze gelten, die nicht erklärt worden seien.

10Nach Einlegung der Revision wurde das FA S mit dem FA E, dem Beklagten und Revisionskläger (FA) zusammengelegt.

11Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

13Es sei unerheblich, dass die Umsätze aus der Fuhrparkvermietung nicht erklärt worden seien, da dies der Sollbesteuerung nicht entgegenstehe. Das FA könne die ihm nunmehr bekannten Forderungen zur Tabelle anmelden.

II.

14Die Revision des FA ist begründet.

15Der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Organisationsakt der Verwaltung führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. Senatsurteil vom V R 73/07, BFHE 223, 546, BStBl II 2009, 612).

16Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung des FG und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Umsätze aus der Vermietung des Fuhrparks begründen entgegen dem Urteil des FG eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO); unerheblich ist insoweit, ob die Umsätze der Ist- oder der Sollbesteuerung unterlagen.

171. Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner „begründeten” Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen. Diese Einschränkung gilt nicht für Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind. Es handelt sich dabei gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO um die Verbindlichkeiten, die „durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören”.

18Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach Insolvenzrecht. Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Insolvenzforderung, erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor (, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1., m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung)

192. Das FG hat keine hinreichenden Feststellungen getroffen, anhand derer der Senat entscheiden kann, ob die Steuer für die Umsätze aus der Vermietung des Fuhrparks nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG (Sollbesteuerung) oder nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG (Istbesteuerung) entstanden ist.

20Das FA hatte dem Kläger durch Bescheid vom gestattet, die Umsätze der GmbH der Istbesteuerung zu unterwerfen. Nach der Rechtsprechung des BFH kann eine derartige Gestattung ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot auch noch während des Kalenderjahrs mit Rückwirkung auf den Jahresbeginn erteilt werden (, BFHE 223, 528, BStBl II 2009, 1026, unter II.3.b bb (2)).

21Der Senat kann auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob der Kläger das ihm eingeräumte Recht auf Istbesteuerung ausgeübt hat. Da es sich bei der Gestattung der Istbesteuerung um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt und die Sollbesteuerung der gesetzliche Regelfall ist, steht es dem Unternehmer frei, von der Gestattung zur Istbesteuerung keinen Gebrauch zu machen und zur Sollbesteuerung „zurückzukehren”, ohne dass es hierfür eines Antrags des Steuerpflichtigen oder einer Erlaubnis des FA bedarf (BFH-Urteil in BFHE 223, 528, BStBl II 2009, 1026, unter II.2.). Eine Rückkehr zur Sollbesteuerung ist dabei bis zur Unanfechtbarkeit (formellen Bestandkraft) der Jahressteuerfestsetzung möglich (BFH-Urteil in BFHE 223, 528, BStBl II 2009, 1026, unter II.3.c). Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen, obwohl der Kläger im Verfahren vor dem FG vorgetragen hat, dass es für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung bei der Sollbesteuerung geblieben und deshalb die Steuerforderung als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden sei.

223. Der Senat kann gleichwohl in der Sache entscheiden. Erbringt der Unternehmer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eine Leistung, für die erst der Insolvenzverwalter das Entgelt vereinnahmt, begründet die Entgeltvereinnahmung eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wobei unerheblich ist, ob der Umsatz der Ist- oder der Sollbesteuerung unterliegt. Für den Fall der Istbesteuerung ergibt sich dies aus dem Senatsurteil in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, auf das der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt. Im Fall der Sollbesteuerung beruht die Masseverbindlichkeit auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG.

23a) Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen.

24Uneinbringlichkeit setzt nach ständiger BFH-Rechtsprechung voraus, dass der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (z.B. , BFHE 214, 471, BStBl II 2007, 22, Leitsatz 1). Zumindest im Sonderfall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann sich die fehlende Durchsetzbarkeit für den Leistenden aus Umständen ergeben, die in seiner Person oder in der Person des Leistungsempfängers begründet sind. Wird über das Vermögen eines Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, tritt daher hinsichtlich der noch nicht entrichteten Leistungsentgelte Uneinbringlichkeit ein. Unerheblich ist, ob es sich um ein Entgelt für eine vom Unternehmer bezogene oder erbrachte Leistung handelt.

25b) Hat der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung bezogen und das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet, wird die der Umsatzsteuer unterliegende Entgeltforderung gegen ihn als Leistungsempfänger spätestens mit Verfahrenseröffnung unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich; bei einer nachträglichen Zahlung auf das uneinbringlich gewordene Entgelt ist der Umsatzsteuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen (, BFHE 227, 513, BFH/NV 2010, 773, Leitsätze 1 und 2).

26Maßgeblich ist hierfür, dass Entgeltforderungen gegen den Unternehmer mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen von Rechts wegen gegen ihn persönlich als Insolvenzschuldner nicht durchsetzbar sind, sondern nur zur Tabelle nach §§ 174 ff. InsO angemeldet werden können. Ohne Bedeutung ist dabei, ob den Vermögensansprüchen gegen den Leistungsempfänger, den Insolvenzschuldner, bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch ein wirtschaftlicher Wert zukommt, so dass Uneinbringlichkeit selbst dann in vollem Umfang eintritt, wenn mit einer quotalen Befriedigung der Insolvenzforderungen zu rechnen ist (, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, unter II.2.c).

27c) Erbringt der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt zu vereinnahmen, tritt gleichfalls mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Uneinbringlichkeit ein.

28aa) Zwar gilt auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz der Unternehmereinheit, das Unternehmen besteht jedoch nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen (vgl. , BFHE 230, 490; Der Betrieb —DB— 2010, 2596, unter II.2.), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile, bei denen es sich z.B. um die Insolvenzmasse und das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen handeln kann. So sind z.B. weitere Vorsteuerbeträge, die sich für die Insolvenzmasse ergeben, nicht nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG von der Steuer, die sich aus Leistungen für den insolvenzfreien Unternehmensteil ergeben, abzusetzen und können daher trotz einer Steuerschuld für den insolvenzfreien Unternehmensteil zu einem Vorsteuerüberschuss und damit zu einer Umsatzsteuervergütung für die dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegende Insolvenzmasse führen. Zur Wahrung des Grundsatzes der Unternehmenseinheit reicht es aus, dass die Summe der für alle Unternehmensteile insgesamt festgesetzten oder angemeldeten Umsatzsteuer der Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen entspricht (, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, unter II.1. und 5.).

29Neben der Insolvenzmasse und dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen besteht auch ein vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil. Die diesen Unternehmensteil betreffenden Umsatzsteueransprüche können nur zur Tabelle (§§ 174 ff. InsO) angemeldet, nicht aber wie z.B. Masseverbindlichkeiten durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt werden. Dementsprechend kann auch hier z.B. ein Vorsteueranspruch des massezugehörigen Unternehmensteils nicht gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit einem Steueranspruch gegen den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil verrechnet werden (vgl. §§ 95, 96 InsO).

30bb) Ist im Insolvenzfall trotz Fortbestehens eines Gesamtunternehmens von mehreren eigenständigen Unternehmensteilen auszugehen, werden die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vereinnahmten Entgelte aus vor Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil aus Rechtsgründen uneinbringlich, da der Entgeltanspruch ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durch diesen Unternehmensteil vereinnahmt werden kann. Denn mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über (, BGHZ 182, 85, unter II.1., m.w.N.). Der Unternehmer ist somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da diese in die Insolvenzmasse zu leisten sind. Damit korrespondiert auch, dass dieser Unternehmensteil rechtlich nicht mehr befugt ist, „öffentliche Gelder” entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates” zu vereinnahmen (, Balocchi, Slg. 1993, I-5105 Rdnr. 25, und vom C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771 Rdnr. 21).

31cc) Wird demnach die Entgeltforderung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich, begründet die spätere Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter eine erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Diese Berichtigung ist nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen. Die erste Steuerberichtigung aufgrund der Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die zweite Steuerberichtigung aufgrund der Vereinnahmung führen somit zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens.

32Die aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1. zur Istbesteuerung). Für dieses Ergebnis spricht auch das Erfordernis, die Besteuerungsgleichheit zwischen Ist- und Sollbesteuerung zu wahren; dies ist bei der Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berücksichtigen (, BFH/NV 2010, 161, unter II.4.b dd (1), Deutsches Steuerrecht 2010, 2349). Mit diesem Erfordernis wäre es nicht zu vereinbaren, bei einer Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen zwischen Ist- und Sollbesteuerung zu differenzieren.

33dd) Nicht zu entscheiden hat der Senat im Streitfall, ob entsprechend der Steuerberichtigung aufgrund der Uneinbringlichkeit beim leistenden Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, auch der Leistungsempfänger mit Verfahrenseröffnung den Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen hat. Selbst wenn eine derartige Berichtigungspflicht bestünde, würde der Leistungsempfänger hierdurch nicht beschwert, da er im Hinblick auf die von ihm noch zu leistenden Zahlungen ohnehin prüfen muss, ob über das Vermögen seiner Gläubiger das Insolvenzverfahren eröffnet wird, um sicherzustellen, dass er Zahlungen nur an den Insolvenzverwalter leistet, da eine Zahlung an den Insolvenzschuldner selbst keine schuldbefreiende Wirkung hat (s. oben II.3.c bb).

34Im Übrigen ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger nicht erforderlich, wenn er das von ihm geschuldete Entgelt noch in dem für ihn maßgeblichen Voranmeldungszeitraum zahlt, in dem auch das Insolvenzverfahren über das Vermögen seines Gläubigers eröffnet wird. Denn ein Entgelt kann nicht in ein und demselben Voranmeldungszeitraum uneinbringlich und vereinnahmt (entrichtet) werden, da sich zwei Berichtigungen nach § 17 UStG, die im selben Voranmeldungszeitraum erfolgen, gegenseitig aufheben.

354. Der Beurteilung der Steuerschuld aufgrund einer nach Verfahrenseröffnung erfolgten Entgeltvereinnahmung für eine vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistung als Masseverbindlichkeit steht nicht die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH zur Aufrechnung im Insolvenzverfahren entgegen, wie der erkennende Senat für den Fall der Istbesteuerung bereits mit Urteil in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.4. entschieden hat, und worauf der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt.

36Gleiches gilt für die mit Verfahrenseröffnung im Rahmen der Sollbesteuerung eintretende Uneinbringlichkeit der Entgeltforderung des Unternehmers, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Erbringt ein der Sollbesteuerung unterliegender Unternehmer eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, für die auch der Insolvenzverwalter das Entgelt nicht vereinnahmen kann, geht der VII. Senat des BFH davon aus, dass das FA gegen einen der Insolvenzmasse zustehenden Berichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG mit der zuvor im Rahmen der Sollbesteuerung entstandenen Steuerforderung aufrechnen kann, ohne dass dem insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote entgegenstehen (, BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589, unter II.3.). Gleiches gilt, wenn der Berichtigungsanspruch aufgrund der Uneinbringlichkeit —wie im Streitfall— bereits mit Verfahrenseröffnung entsteht. Auch in diesem Fall kommt es zu der vom VII. Senat des BFH für erforderlich gehaltenen Aufrechnung, die darauf gestützt wird, dass es „schwerlich gerechtfertigt sein [würde], anzunehmen, die Finanzbehörde müsse eine (Umsatz-) Steuererstattung an die Insolvenzmasse leisten, könne aber ihre korrespondierende, unbefriedigte Steuerforderung lediglich als Insolvenzforderung geltend machen und müsse hinnehmen, mit ihr möglicherweise ganz oder teilweise auszufallen” (BFH-Urteil in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589, unter II.3.).

37Eine Abweichung zur Rechtsprechung des VII. Senats des BFH besteht auch nicht insoweit, als dieser für Zwecke der Aufrechnung keine „fiktive Veranlagung auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung” vornimmt (, BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745), da der VII. Senat hinsichtlich des Bestehens mehrerer Unternehmensteile im Insolvenzfall im Sinne des Senatsurteils in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 zwischen „Veranlagung” und „Aufrechenbarkeit” differenziert (BFH-Urteil in BFHE 230, 490, DB 2010, 2596, unter II.2., und vom VII R 108/00, BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562, unter II.3.).

385. Danach war das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

39a) Die GmbH hat im Streitfall Vermietungsleistungen bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht. Dass der dieser Vermietung zugrunde liegende Vertrag erst nach Verfahrenseröffnung durch einen Sonderverwalter genehmigt wurde, steht dem nicht entgegen. Denn die Leistung wurde tatsächlich durch eine Nutzungsüberlassung vor Verfahrenseröffnung ausgeführt, wobei es nach §§ 40, 41 AO unerheblich ist, ob die Leistungserbringung ohne Genehmigung durch den Sonderverwalter gegen ein gesetzliches Verbot verstieß oder die Unwirksamkeit des der Leistung zugrunde liegenden Vertrags begründete.

40b) Lag somit eine vor Verfahrenseröffnung ausgeführte Leistung vor, für die erst der Insolvenzverwalter das Entgelt vereinnahmte, war das FA sowohl im Fall der Ist- als auch im Fall der Sollbesteuerung berechtigt, die Umsatzsteuer für die Umsätze aus der Vermietung des Fuhrparks als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Steuerbescheid festzusetzen.

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Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 996
BB 2011 S. 1507 Nr. 24
BB 2011 S. 982 Nr. 16
BFH/NV 2011 S. 952 Nr. 5
BFH/PR 2011 S. 270 Nr. 7
BStBl II 2011 S. 996 Nr. 20
DB 2011 S. 15 Nr. 15
DB 2011 S. 8 Nr. 15
DB 2011 S. 857 Nr. 15
DStR 2011 S. 720 Nr. 15
DStRE 2011 S. 593 Nr. 9
DStZ 2011 S. 10 Nr. 15
HFR 2011 S. 789 Nr. 7
KÖSDI 2011 S. 17424 Nr. 5
NJW 2011 S. 1998 Nr. 27
NWB-Eilnachricht Nr. 16/2011 S. 1305
StB 2011 S. 139 Nr. 5
StBW 2011 S. 390 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2011 S. 390
UR 2011 S. 551 Nr. 14
UStB 2011 S. 176 Nr. 6
WM 2012 S. 784 Nr. 17
ZIP 2011 S. 6 Nr. 15
ZIP 2011 S. 782 Nr. 16
wistra 2011 S. 4 Nr. 6
QAAAD-80473