BGH Beschluss v. - VII ZR 40/10

Verletzung des rechtlichen Gehörs: Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts zu erstinstanzlich zugesprochenen, pauschal bestrittenen Nachtragsforderungen

Gesetze: § 139 ZPO, § 544 Abs 7 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 103/09 Urteilvorgehend LG Bückeburg Az: 2 O 176/05

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt vom Beklagten Restwerklohn.

2Sie wurde am vom Beklagten mit den Roharbeiten im Rahmen der Errichtung einer Seniorenwohnanlage zu einem Pauschalpreis von 1.106.480,40 € brutto beauftragt. Vertragsbestandteil waren die VOB/B sowie ein von der Streithelferin des Beklagten erstelltes Leistungsverzeichnis vom , eine Aufstellung der Klägerin vom und ein weiteres Leistungsverzeichnis vom , in das verschiedene Änderungen eingearbeitet worden waren.

3Die Klägerin hat zuletzt den ihr noch zustehenden Werklohn mit 74.636,16 € errechnet und diesen Betrag eingeklagt. Sie hat dabei Leistungen als zusätzlich in Rechnung gestellt, von denen der Beklagte der Meinung ist, sie seien vom Pauschalpreis umfasst. Das Landgericht hat der Klägerin 58.552,10 € nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht diesen nur noch zur Zahlung von 8.241,48 € nebst Zinsen verurteilt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie will mit der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

II.

4Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.

51. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht den Zuschlag von 1.344,60 € netto für die Position 18100090 - S.-Isokorb - aus dem 6. Nachtrag nicht zugesprochen hat.

6a) Das Berufungsgericht führt insoweit aus, die Klägerin könne diesen Betrag nicht verlangen, weil von ihr nicht ausreichend dargetan sei, dass es sich tatsächlich um eine zusätzliche Leistung handele. Damit hat es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen. Es hätte die Klägerin auf seine Beurteilung hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen.

7b) Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen § 139 ZPO eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Vorschrift geht über das verfassungsrechtlich gebotene Minimum hinaus (BVerfG, NJW-RR 2005, 936, 937). Es bedarf vielmehr im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (BVerfGE 60, 305).

8Das ist hier jedoch der Fall. Die Klägerin hatte zu dieser Position in erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe den S.-Isokorb zunächst in einer einfachen, dann aber in einer teureren Ausführung gewünscht. Der Beklagte und seine Streithelferin haben sich dazu nicht im Einzelnen geäußert, sondern nur allgemein behauptet, es seien keine Zusatzaufträge erteilt worden. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz wurde die Position vom Beklagten und seiner Streithelferin wiederum nicht ausdrücklich angesprochen, sondern generell die Erteilung von Zusatzaufträgen bestritten.

9Bei dieser Sachlage stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis im Gegensatz zu der Beurteilung des Landgerichts den Vortrag der Klägerin als nicht ausreichend ansieht (vgl. auch , BauR 2002, 1432 = ZfBR 2002, 678).

10c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis hin ergänzend dargelegt, dass die Isokörbe im Obergeschoss eingebaut worden seien, an der Decke über dem Erdgeschoss, und dass ihr erst nach Auftragsvergabe insoweit Ausführungspläne übergeben worden seien, die andere Isokörbe vorgesehen hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass dann das Berufungsgericht diese Position als eine vergütungspflichtige zusätzliche Leistung angesehen hätte.

112. Das Berufungsurteil beruht des Weiteren auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht der Klägerin einen Betrag von 10.069 € netto für den im Dachgeschoss verwendeten Stahl nicht zuerkannt hat.

12a) Das Berufungsgericht führt hierzu aus: Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen spreche einiges dafür, dass die von der Klägerin in Ansatz gebrachte größere Stahlmenge bereits im Leistungsverzeichnis vom berücksichtigt worden sei. Es sei nun Sache der Klägerin zu beweisen, dass ungeachtet dessen tatsächlich mehr Stahl verwendet worden sei, als im Leistungsverzeichnis vom vorgesehen. Diesen Beweis könne die Klägerin nicht erbringen.

13Damit hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erheblichen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und abermals gegen seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen.

14b) Die Klägerin ist in erster Instanz den Ausführungen des Sachverständigen entgegengetreten. Sie hat vorgetragen: Die im Leistungsverzeichnis vom enthaltene größere Stahlmenge habe mit dem im Dachgeschoss verwendeten Stahl nichts zu tun. Dort sei ursprünglich eine Holzkonstruktion vorgesehen gewesen, was dann geändert worden sei. In ihrer Aufstellung vom , die Vertragsbestandteil geworden sei, sei festgehalten, dass die Stahlkonstruktion der Dachkonstruktion nicht enthalten sei. Bisher sei diese Position auch nicht strittig gewesen.

15Der Beklagte hat sich hierzu nicht geäußert. Seine Streithelferin hat lediglich ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen könnten die Mengen nicht nachvollzogen werden und seien bereits im Leistungsverzeichnis vom enthalten; dem sei nichts hinzuzufügen. Sie legt aber nicht dar, warum sie diese Position in ihrer Prüfung der Schlussrechnung vom lediglich geringfügig reduziert und in ihrer weiteren Prüfung vom völlig unbeanstandet gelassen hat. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass das Sachverständigengutachten hinsichtlich der Position Stahl im Dachgeschoss angreifbar sei. Es ist daher nichts dafür ersichtlich, dass sie ihren erstinstanzlichen Vortrag nicht mehr aufrechterhalten wollte. Der Beklagte und die Streithelferin haben sich mit der Position in der Berufungsinstanz nicht mehr befasst.

16Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht den zentralen Vortrag der Klägerin zu dieser Position nicht zur Kenntnis genommen hat. Es hat zudem dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es trotz der gegenteiligen Beurteilung durch das Landgericht und eines fehlenden konkreten Angriffs des Beklagten ohne vorherigen Hinweis die Klage in diesem Punkt abgewiesen hat.

17c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin nach dem gebotenen Hinweis auf ihren oben wiedergegebenen Vortrag hingewiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, wenn es den Vortrag berücksichtigt hätte.

III.

18Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).

Kniffka                            Kuffer                                    Bauner

                     Eick                                Leupertz

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
NJW-RR 2011 S. 742 Nr. 11
WAAAD-80296