Strafzumessung: Strafmildernde Bedeutung einer überlangen Verfahrensdauer und Kompensation im Wege der Vollstreckungslösung
Gesetze: Art 6 Abs 1 MRK, § 46 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Zwickau Az: 5 KLs 540 Js 12504/07 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten C. R. und S. wegen Betruges in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung letzterer wurde zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten M. R. hat es wegen „Beihilfe zum Betrug in elf Fällen“ zu der Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.
2Die Angeklagten wenden sich gegen die Verurteilung und machen die Verletzung sachlichen Rechts geltend. Die Angeklagten R. rügen daneben auch die Verletzung formellen Rechts, wobei sie insbesondere eine rechtsstaatswidrige Verfahrenverzögerung bemängeln. Die Revisionen erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
31. Die Angriffe auf den Schuldspruch sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Zutreffend hat die Strafkammer die fortlaufende Förderung der Taten durch den Angeklagten M. R. als nur eine Beihilfehandlung angesehen; dies veranlasst eine Klarstellung des Tenors. Dagegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch aus sachlichrechtlichen Gründen nicht bestehen bleiben.
42. Die Strafzumessungsgründe gehen nur unzureichend darauf ein, dass zwischen der letzten Provisionsauszahlung und der Aburteilung der Taten beträchtliche Zeit verstrichen ist. Zwar hat die Jugendkammer im Rahmen der Strafzumessung bei allen Angeklagten „das lange Zurückliegen der Taten“ berücksichtigt; daneben hätte das Tatgericht hier jedoch weitergehend strafmildernd zu bedenken gehabt, dass bereits einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142). Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu legt nahe, dass das Tatgericht den hier bestimmenden Milderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat.
5Parallel dazu hat es das Tatgericht auch unterlassen zu prüfen, ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantierte Recht der Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit verletzt ist. Vor dem Hintergrund der im Urteil mitgeteilten Eckdaten zum Verfahrensablauf und der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen ist dieser Mangel hier bereits auf Sachrüge beachtlich (, BGHSt 49, 342). Die markanten Anzeichen für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und damit einhergehend für eine beträchtliche Belastung der Angeklagten infolge der überlangen Verfahrensdauer ergeben sich hier – unter anderem – namentlich vor dem Hintergrund des mit der Anklage zu prüfenden keineswegs ungewöhnlich großen Gesamtschadens und der nahezu fehlenden Vorbelastungen der Angeklagten aus dem hiernach offensichtlich verfehlten, an Willkür grenzenden Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Plauen nach § 270 StPO, durch den sich jedenfalls die beiden erwachsenen Angeklagten einer sachlichrechtlich ersichtlich unberechtigten hohen Straferwartung und drohendem lange währenden Strafvollzug ausgesetzt sahen.
6Bei dem Angeklagten M. R. hat es das Landgericht zudem durch rechtsfehlerhafte Verwertung nach BZRG tilgungsreifer Vorverurteilungen versäumt, diesem Angeklagten den gewichtigen Strafmilderungsgrund gänzlicher Unbestraftheit zugute zu bringen.
73. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Das neue Tatgericht wird zu Ausmaß und Folgen der Verfahrensverzögerung für jeden der Angeklagten ergänzende Feststellungen zu treffen und eine neue Strafzumessung, darüber hinaus nahe liegend einen bezifferten Abschlag auf die neu verhängte Strafe wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK vorzunehmen haben (vgl. , BGHSt 52, 124).
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Schneider Bellay
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VAAAD-79956