BFH Beschluss v. - III B 178/09

Beginn der Beschwerdefrist bei Zustellung um 16 Uhr am Freitag nach Ende des Kanzleibetriebs

Gesetze: FGO § 56, FGO § 116 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3, ZPO § 178, ZPO § 180

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte im Juni 2006 für seine beiden Kinder Kindergeld. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) vom wurde von der Post zurückgesandt, weil der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht ermittelt werden konnte. Im März 2008 zeigten die Prozessbevollmächtigten an, den Kläger zu vertreten, und legten einen Untätigkeitseinspruch ein (§ 347 Abs. 1 Satz 2 der AbgabenordnungAO—).

2 Die Familienkasse erläuterte daraufhin den Sachverhalt und übersandte den Prozessbevollmächtigten am den Ablehnungsbescheid vom . Am legte der Kläger persönlich Einspruch ein, den die Familienkasse wegen Verfristung als unzulässig verwarf.

3 Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid vom sei drei Tage nach der erneuten Aufgabe zur Post bekanntgegeben worden (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die einmonatige Rechtsbehelfsfrist habe daher am begonnen und am geendet. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten am , einem Freitag, um 18:00 Uhr durch Einlegen in den Briefkasten der Kanzlei zugestellt.

4 Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde ging am , einem Donnerstag, beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Nachdem die seinerzeitige Senatsvorsitzende durch ein am zugestelltes Schreiben auf die Verspätung hingewiesen hatte, antworteten die Prozessbevollmächtigten, die Beschwerde sei nicht verspätet. Ihr Kanzleibetrieb ende freitags um 16:00 Uhr, daher sei der Umschlag mit dem Urteil dem Briefkasten am darauf folgenden Montag entnommen und mit dem Eingangsstempel des versehen worden. Eine Willenserklärung gehe dann zu, wenn der Empfänger unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Beim Einwurf in den Briefkasten einer Anwaltskanzlei sei nach der Verkehrsanschauung erst mit einer Leerung am nächsten Montag zu rechnen. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

5 Die Begründung der Beschwerde ging am Samstag, den beim BFH ein. Der Kläger trägt vor, ihm sei in verfahrensfehlerhafter Weise keine Akteneinsicht gewährt worden. Durch die Versagung von Prozesskostenhilfe sowie durch die Art und Weise des Umganges mit den materiell sozialrechtlichen Kindergeldanträgen sei gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen worden.

6 II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

7 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde verspätet eingelegt. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO). Wird der Post ein Zustellungsauftrag erteilt, erfolgt nach § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 176 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Ausführung der Zustellung nach den §§ 177 bis 181 ZPO. Wird die Person, der zugestellt werden soll, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht ausführbar, kann das Schriftstück nach § 180 ZPO in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO), unabhängig davon, ob und wann der Adressat tatsächlich Kenntnis nimmt (, BFH/NV 1991, 714). Das Datum der Zustellung wird vom Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks vermerkt (§ 180 Satz 3 ZPO).

8 Die Zustellung des FG-Urteils wurde somit am bewirkt, obwohl die Kanzlei zum Zeitpunkt des Einwurfs des Umschlags nicht mehr besetzt war. Die Monatsfrist begann daher am und endete drei Tage vor Eingang der Beschwerde am , einem Montag.

9 2. Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Der Bevollmächtigte war nicht gehindert, innerhalb der seit dem anlaufenden einmonatigen Frist die Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.

10 Der Prozessbevollmächtigte hat nicht glaubhaft gemacht (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO), dass das FG-Urteil mit dem Eingangsstempel des versehen wurde. Falls dies zutrifft, wurde die Frist nicht aufgrund des der Kanzlei vorliegenden Zustellungsvermerkes und damit offensichtlich falsch berechnet.

11 3. Da auch die Begründung der Beschwerde verspätet eingegangen ist, wäre die Beschwerde im Übrigen selbst dann unzulässig, wenn hinsichtlich ihrer Einlegung Wiedereinsetzung gewährt würde.

12 Die zweimonatige Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) lief am Mittwoch, dem ab, die Begründung erreichte den BFH jedoch erst am . Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt insoweit auch deshalb nicht in Betracht, weil den Prozessbevollmächtigten jedenfalls infolge des am zugestellten Schreibens der Senatsvorsitzenden bewusst sein musste, dass die die Fristen in Gang setzende Zustellung des FG-Urteils bereits am erfolgt war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 810 Nr. 5
JAAAD-79652