Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, AO § 35, AO § 69, AO § 191
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit Arbeitnehmer der Firma X (Firma), deren Sitz sich in England befand und deren Direktor der Vater des Klägers (Vater) war. Dem Vater war gemäß § 35 der Gewerbeordnung u.a. der „Handel mit sowie Im- und Export von EU-Neukraftwagen” untersagt worden. In A befand sich eine inländische Betriebstätte in Form einer unselbständigen Niederlassung der Firma (Betriebstätte), die den Betrieb eines Autohandels über das Internet zum Gegenstand hatte. Der Arbeitsvertrag des Klägers sah vor, dass er mit der Leitung dieser Betriebstätte betraut war. Der Kläger unterzeichnete den —an den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gerichteten— Fragebogen zur steuerlichen Anmeldung und bezeichnete sich darin selbst als Leiter der Betriebstätte. Ferner eröffnete der Kläger bei der U-Bank ein Geschäftskonto, meldete die Betriebstätte beim Gewerbeamt an und unterzeichnete die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für den Zeitraum Juni 2000 bis Juni 2001.
2 Das FA nahm den Kläger für rückständige Umsatzsteuern der Betriebstätte nach § 191 Abs. 1, §§ 69, 34 und 35 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in Anspruch. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe, da er durch seine Kontovollmacht als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO anzusehen sei. Für diese Verfügungsbefugnis sei der Einwand des Klägers unerheblich, dass er hinsichtlich der Überweisungen weisungsgebunden gewesen sei, weil diese Einschränkung im Innenverhältnis auf die Verfügungsbefugnis keinen Einfluss gehabt habe. Der Kläger sei aufgrund der Verfügungsberechtigung steuerrechtlich verpflichtet, alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus den zur Verfügung stehenden Mitteln gleichmäßig zu tilgen. Diese steuerliche Pflicht habe er rechtlich und tatsächlich aufgrund seiner —sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden— Funktion als Niederlassungsleiter und Kontobevollmächtigter auch erfüllen können. Auf die —nach Ansicht des FG wenig glaubhaften— Einwände des Klägers, dass er tatsächlich nur für den An- und Verkauf der Fahrzeuge zuständig gewesen sei und die geschäftliche Leitung der Niederlassung nur von der Muttergesellschaft wahrgenommen werden durfte, komme es nicht an. Ausreichend sei, dass sich der Kläger nach außen durch die steuerliche Anmeldung, die Gewerbeanmeldung, die Kontoeröffnung sowie die Abgabe der Voranmeldungen als Leiter der Niederlassung dargestellt habe.
3 Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, welche sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob es für das Vorliegen der Verfügungsbefugnis nach § 35 AO darauf ankomme, „wer im Innenverhältnis das Sagen habe und auf wessen Rechnung und Gefahr das Unternehmen betrieben werde”. Ferner weiche das Urteil des FG vom Senatsbeschluss vom VII B 156/08 (BFH/NV 2009, 1591) ab.
4 Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
5 II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 FGO) hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
6 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung.
7 a) Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 115 Rz 102 ff., und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. statt aller , BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).
8 b) Als grundsätzlich bedeutsam sieht die Beschwerde die Rechtsfrage an, ob es für das Vorliegen der Verfügungsbefugnis nach § 35 AO darauf ankomme, „wer im Innenverhältnis das Sagen habe und auf wessen Rechnung und Gefahr das Unternehmen betrieben werde”. Diese Frage ist indes zweifelsfrei zu verneinen und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren:
9 aa) Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als Verfügungsberechtigter auftritt (Senatsurteil vom VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491). Der Verfügungsberechtigte muss die Fähigkeit haben, auf Grund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln (Klein/ Rüsken, AO, 10. Aufl., § 35 Rz 2, m.w.N.). Einschränkungen, denen der Verfügungsberechtigte im Innenverhältnis unterliegt, sind dabei unbeachtlich (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 35 AO Rz 15). So können Pflichten öffentlich-rechtlicher Natur, die dem als verfügungsberechtigt Auftretenden auferlegt sind, nicht durch private Abmachungen abbedungen werden (Boeker in HHSp, a.a.O.).
10 bb) Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war der —mit Kontovollmacht ausgestattete— Kläger u.a. berechtigt, über die Mittel der Niederlassung zu verfügen und hat infolgedessen auch Überweisungen vom Firmenkonto vorgenommen. Die vom Kläger vorgetragenen Einschränkungen der Verfügungsberechtigung im Innenverhältnis sind, wie das FG zutreffend festgestellt hat, —entsprechend den obigen Ausführungen— unbeachtlich.
11 cc) In der von der Beschwerde für ihre abweichende Ansicht angeführten Entscheidung in BFH/NV 2009, 1591 hat der Senat entschieden, dass ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO angesehen werden kann, da er sich ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts nicht die rechtliche Befugnis verschaffen kann, über das Vermögen des Schuldners zu verfügen. Im Gegensatz hierzu hatte der Kläger im Streitfall eine im Außenverhältnis unbeschränkte —und auch im Innenverhältnis insoweit unbeschränkbare— Verfügungsmacht.
12 dd) Die von der Beschwerde weiter angeführte Entscheidung des (BFHE 207, 321, BStBl II 2005, 168) betrifft die einkommensteuerrechtliche Unternehmereigenschaft bei Strohmannverhältnissen. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ist dem beschließenden Senat nicht ersichtlich, dass und inwieweit dieses Urteil Klärungsbedarf hinsichtlich der Auslegung des von § 35 AO vorausgesetzten Kriteriums der Verfügungsmacht auslösen kann. Denn die von § 35 AO vorausgesetzte Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen (Klein/Rüsken, a.a.O.). Die Frage, ob Verfügungsmacht vorliegt, ist jedenfalls gesondert von der Frage zu beurteilen, ob die Tätigkeit des Verfügenden ertragsteuerlich als unternehmerisch einzuordnen ist.
13 2. Auch der Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) liegt nicht vor.
14 a) Die Darlegung der Divergenz als Grund für die Zulassung der Revision erfordert, dass die Entscheidung des BFH, von der nach der Behauptung des Klägers das Urteil des FG abweicht, genau bezeichnet und dass kenntlich gemacht wird, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Dem ist nur genügt, wenn abstrakte Rechtssätze der Divergenzentscheidung(en) des BFH so genau bezeichnet und gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482; vom X B 103/02, BFH/NV 2004, 180). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde —durch den bloßen Verweis auf den Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 1591— nicht.
15 b) Jedenfalls liegt eine Divergenz des angegriffenen FG-Urteils zur Entscheidung des Senats in BFH/NV 2009, 1591 schon deshalb nicht vor, da jener Entscheidung der Sonderfall des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Grunde lag und der Kläger im Streitfall, wie ausgeführt —im Gegensatz zu einem vorläufigen Insolvenzverwalter— eine unbeschränkte Verfügungsmacht hatte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 740 Nr. 5
StBW 2011 S. 259 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2011 S. 393
MAAAD-62796