Leitsatz
Der Geschäftsführer einer Treuhandkommanditistin haftet dem Treugeber nicht ohne weiteres wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, wenn er ihn nicht über ein aufsichtsrechtliches Vorgehen der Bundesanstalt für Finanzleistungen (BaFin) informiert () .
Gesetze: § 826 BGB
Instanzenzug: Az: 7 U 168/08 Urteilvorgehend Az: 37 O 1029/07
Tatbestand
1Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage.
2Der Kläger beteiligte sich im März 2005 über die als Treuhandkommanditistin fungierende G. Beteiligungs Treuhand GmbH (nachfolgend: G.) an der im Jahr 2003 gegründeten MSF AG & Co. KG (nachfolgend: MSF). Allein vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafterin der MSF war die DPM AG (DPM), die zugleich die G. bei Abschluss der Treuhandverträge vertrat. Geschäftsführer der G. - und alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ihrer Alleingesellschafterin - war der Beklagte.
3Wegen der Befürchtung der MSF, dass ihr Anlagekonzept ein erlaubnispflichtiges Finanzkommissionsgeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG sein könne, waren schon am auf einer Gesellschafterversammlung, an der auch der Beklagte als Geschäftsführer der G. teilgenommen hatte, Änderungen des Gesellschaftsvertrags der MSF beschlossen und ein neuer Emissionsprospekt aufgelegt worden. Mit am zugegangenem Schreiben hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) der MSF u.a. mitgeteilt, dass sie die Geschäftstätigkeit als das Betreiben eines Finanzkommissionsgeschäfts nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG einstufe und die Untersagung des erlaubnispflichtigen Geschäfts gemäß § 37 KWG beabsichtige. Am selben Tag hatte die BaFin auch G. schriftlich informiert und unter Hinweis auf § 37 Abs. 1, § 44c Abs. 1, Abs. 6 KWG Auskünfte und Vorlage von Unterlagen verlangt. Diesem Auskunftsersuchen war der Beklagte für G. am nachgekommen. Am hatte die BaFin der MSF unter Androhung der Untersagung der Geschäftstätigkeit nach § 37 KWG eine Frist bis zum gesetzt, eine Umgestaltung der bisherigen Tätigkeit in eine erlaubnisfreie Tätigkeit vorzunehmen. Die in den folgenden Monaten zwischen MSF und BaFin geführten Verhandlungen über mögliche Änderungen in der Anlage- und Gesellschaftsstruktur blieben erfolglos. Am erließ die BaFin Untersagungsverfügungen gegen MSF und G., die beide inzwischen Insolvenz angemeldet haben.
4Der Kläger begehrt die Erstattung der von ihm geleisteten Einlage und die Befreiung von sämtlichen Verpflichtungen aus dem Treuhandvertrag. Er macht geltend, der Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil er es versäumt habe, die beitrittswilligen Anleger vom Inhalt des der G. am zugegangenen Schreibens der BaFin zu informieren und weil er einen Vertragsabschluss nicht verhindert und die Einlage an die MSF weitergeleitet habe, obwohl er habe erkennen können, dass diese für den Kläger verloren sei. Der Beklagte trägt vor, er habe auf die Weiterführung des Fonds vertraut; im Übrigen hätte eine Warnung der Neuanleger den Interessen der bereits Beigetretenen geschadet.
5Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren aus der Berufung weiter.
Gründe
I.
6Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Beklagten eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Diese könne nur darin gelegen haben, dass er die beitrittswilligen Anleger nicht über die von der BaFin im Oktober 2004 angemeldeten Bedenken gegen eine erlaubnisfreie Geschäftstätigkeit der MSF unterrichtet habe. Denn der Beklagte habe jedenfalls nicht die Merkmale des § 826 BGB als allein in Betracht zu ziehender Anspruchsnorm verwirklicht.
7Auch wenn der Beklagte vom Inhalt des an die MSF adressierten Schreibens der BaFin Kenntnis gehabt hätte, erhelle daraus nicht ohne weiteres, dass er allein aufgrund dessen mindestens billigend in Kauf genommen habe, den Neuanlegern werde ein Schaden in Form des vorhersehbaren Verlustes ihrer Einlagegelder entstehen. Denn bis zu der sich erst mit Schreiben der BaFin vom an die G. abzeichnenden Zuspitzung der Situation habe es über Monate hinweg Schriftwechsel und Verhandlungen gegeben, in denen über die rechtliche Bewertung des Geschäftsmodells gestritten worden sei und während deren in wechselseitiger Abstimmung Lösungswege erörtert worden seien, mit deren Hilfe die seitens der BaFin gesehenen Zweifel an einer erlaubnisfreien Tätigkeit hätten überwunden werden sollen. Gesicherte Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte aufgrund von ihm durch die MSF zufließenden Informationen damit rechnete oder zumindest damit hätte rechnen müssen, das Geschäftskonzept der MSF sei in seiner bisher praktizierten Form endgültig zum Scheitern verurteilt und künftig noch geleistete Einlagen würden zwangsläufig verloren sein, ließen sich nicht feststellen. Die Untersagung der Fortführung des Betriebes zweier anderer Fondsgesellschaften im September/Oktober 2004 liefere kein aussagekräftiges Indiz für eine gegenteilige Annahme.
8Das Verhalten des Beklagten sei zudem nicht sittenwidrig gewesen. Zu seinen Gunsten dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass er sich in einem unausweichlichen, nicht selbst herbeigeführten Interessenkonflikt befunden und nicht zum eigenen Nutzen gehandelt habe. Die Treuhandkommanditistin habe nicht nur die Interessen der noch nicht beigetretenen Anlageinteressenten berücksichtigen, sondern für alle Kommanditisten treuhänderisch handeln müssen. Sie habe deshalb auch darauf bedacht sein müssen, die Realisierung des Anlageprojektes nicht leichtfertig dadurch zu gefährden, dass sie vorschnell und ohne eine ausreichend gefestigte Tatsachengrundlage Bedenken gegen eine erfolgreiche Umsetzbarkeit publizierte, was zum Verlust der Gelder der schon beigetretenen Kommanditisten hätte führen können. Hätte der Beklagte dem Schutz der Interessen der noch Außenstehenden den Vorrang eingeräumt, wäre es später aber zu keinem endgültigen Einschreiten der BaFin gekommen, die Realisierung des Anlagemodells dann aus ex-post-Sicht "umsonst" verhindert worden, hätte er Schadensersatzforderungen der Altanleger oder der in die Insolvenz geratenen Gesellschaften mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen gehabt wie sie dafür bestand, dass die Neuanleger wegen ihrer fehlgeschlagenen Kapitalanlage an ihn herantreten würden.
II.
9Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
101. Zutreffend ist der nicht näher erörterte Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass der Kläger keine vertraglichen oder vertragsähnlichen Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen kann. Denn Vertragspartner des Klägers war nicht der Beklagte, sondern die Treuhandkommanditistin G., die auch allein für ein etwaiges Verschulden der DPM bei Abschluss des Treuhandvertrags einzustehen hätte (§ 278 BGB; vgl. , BGHZ 84, 141, 143). Der Beklagte selbst hat nicht am Vertragsschluss mitgewirkt, weder besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, noch wirtschaftliches Eigeninteresse am Zustandekommen des Rechtsverhältnisses gehabt (vgl. , WM 1984, 766, 767; vom - II ZR 180/90, VersR 1991, 1247, 1248 m.w.N.; vom - II ZR 108/93, ZIP 1995, 211, 212; vom - II ZR 8/93, ZIP 1995, 124, 125 und vom - II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 170). Dass er zu dem Personenkreis gehörte, der für falsche oder unvollständige Prospektangaben verantwortlich sein könnte, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich (vgl. , BGHZ 115, 213, 217 f.; vom - II ZR 27/83, VersR 1984, 159, 160; vom - III ZR 93/93, NJW 1995, 1025 und vom - III ZR 109/08, ZIP 2009, 2449 f.).
112. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, es stelle keinen Sittenverstoß gemäß § 826 BGB dar, dass der Beklagte den Kläger vor Abschluss des Treuhandvertrages nicht über die im Schreiben vom geäußerten Bedenken der BaFin informiert hat.
12a) Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (, BGHZ 154, 269, 274 f. m.w.N.; vom - VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425). Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (, BGHZ 141, 357, 361 m.w.N.; vom - II ZR 402/02, 160, 149, 157; vom - II ZR 299/90, WM 1992, 1184, 1186 m.w.N. und vom - II ZR 217/03, NJW 2004, 2668, 2670). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (Senat, Urteil vom - VI ZR 160/00, VersR 2001, 1431, 1432 m.w.N.).
13b) Ob G. eine Pflicht traf, die künftigen Treugeber über die Bedenken der BaFin aufzuklären und der Beklagte die Beachtung einer solchen Pflicht sicherzustellen hatte (vgl. dazu , BGHZ 124, 151, 162; vom - II ZR 120/82, WM 1982, 1374; vom - II ZR 180/90, VersR 1991, 1247, 1249; vom - XI ZR 144/93, VersR 1994, 1354; vom - XI ZR 25/01, WM 2001, 2313, 2314; vom - XI ZR 150/01, VersR 2003, 511, 512; vom - XI ZR 453/02, NJW-RR 2004, 203, 206), hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler dahinstehen lassen. Denn jedenfalls war die Verletzung einer solchen Pflicht durch den Beklagten nach den Umständen des zu entscheidenden Falls nicht sittenwidrig.
14Das Unterlassen der Aufklärung über wesentliche regelwidrige Auffälligkeiten einer Kapitalanlage stellt nicht schon dann einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB dar, wenn eine vertragliche Pflicht zur Aufklärung besteht. Der schwerwiegende Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist erst dann zu erheben, wenn das Schweigen des Aufklärungspflichtigen zugleich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Allein die Kenntnis von der noch entfernt liegenden Möglichkeit, dass die Geschäftstätigkeit gemäß § 37 KWG untersagt werden könnte und die Anleger hierdurch Schäden erleiden würden, genügt dafür entgegen der Auffassung der Revision nicht. Sittenwidriges Verhalten wäre dem Beklagten erst dann vorzuwerfen, wenn er trotz positiver Kenntnis von der Chancenlosigkeit der Anlage geschwiegen hätte (vgl. , VersR 2003, 511), also in Kenntnis des Umstands, dass eine Untersagung der Geschäftstätigkeit unmittelbar bevorstand (vgl. , BGHZ 10, 228, 234; vom - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 114; vom - II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 399; vom - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 235 f.; vom - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144; vom - II ZR 178/90, WM 1992, 1812, 1823).
15Dies ist hier nicht der Fall. Dafür, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Beitritts des Klägers im März 2005 oder in den folgenden Wochen während der andauernden Verhandlungen zwischen BaFin und MSF zu irgendeinem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt hätte, dass ein Scheitern der Finanzanlage unmittelbar bevorstand, ist nichts ersichtlich. Dies trägt auch der Kläger nicht vor, der dem Beklagten zum Vorwurf macht, über ein sich möglicherweise in der Zukunft realisierendes Risiko und die erforderliche Umstrukturierung nicht aufgeklärt zu haben. Hatte der Beklagte aber keine Kenntnis von einem unmittelbar bevorstehenden Scheitern des Projekts und vertraute er auf die von der Gesellschafterversammlung am beschlossenen Prospektänderungen, die auch einen Passus betreffend die Gefahr eines Einschreitens der BaFin beinhalteten, und darauf, dass die BaFin sich über längere Zeit auf Verhandlungen einließ, die die Einstellung des Geschäftsbetriebs als abwendbar erscheinen lassen konnten, so mag darin eine fahrlässige Pflichtverletzung gesehen werden. Den Vorwurf eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens rechtfertigt dies jedoch nicht.
163. Auch die Weiterleitung der vom Kläger an die Treuhandkommanditistin überwiesenen Gelder löst keine Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aus. Unstreitig lagen die Voraussetzungen vor, unter denen G. nach dem Treuhandvertrag verpflichtet war, sämtliche Einlagegelder an die MSF weiterzuleiten. Die Auffassung des Beklagten, bei dieser Sachlage sei er als Geschäftsführer der Treuhandkommanditistin G. weder berechtigt, noch den Anlegern gegenüber verpflichtet, die als Einlagen eingezahlten und von der Gesellschaft benötigten Beträge zugunsten der Anleger zurückzuhalten, mag rechtlich angreifbar sein (vgl. dazu auch , WM 1982, 760; Singhof/Seiler, Mittelbare Gesellschaftsbeteiligungen, Rn. 595 m.w.N.), begründet aber nicht den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2010 S. 3033 Nr. 50
DB 2010 S. 2665 Nr. 48
DStR 2011 S. 85 Nr. 2
WM 2010 S. 2256 Nr. 48
ZIP 2010 S. 2458 Nr. 50
NAAAD-62602