Auslegung einer arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 611 Abs 1 BGB
Instanzenzug: Az: 8 Ca 1587/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 7 Sa 244/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf ihr Arbeitsverhältnis und sich daraus ergebende Ansprüche der Klägerin auf Sonntagszuschläge, Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung.
2Die nicht tarifgebundene Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund eines mit der K Messe- und Veranstaltungsschutz GmbH & Co. KG geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom als „Sicherungskraft“ tätig. Sie wird nunmehr von der Beklagten auf dem Flughafen B beschäftigt und übt dort nur Tätigkeiten nach §§ 8 und 9 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) aus.
Im Arbeitsvertrag vom heißt es ua.:
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages war die damalige Arbeitgeberin kraft Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BV DWS) an den - außerdem für allgemeinverbindlich erklärten - Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom (MTV Wachgewerbe NRW 2000) gebunden. Dieser war vom BV DWS, Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, deren Mitglied auch die Beklagte ist, und der Gewerkschaft ÖTV, Bezirke Nordrhein-Westfalen I und II, geschlossen worden und enthielt folgende Geltungsbereichsbestimmung:
Am schlossen die Gewerkschaft ver.di und der BV DWS den Manteltarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen (MTV Flughäfen Bund). Dieser MTV Flughäfen Bund galt nach seiner Geltungsbereichsbestimmung in § 1 räumlich für alle Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland und persönlich-fachlich für alle Beschäftigten von Wach- und Sicherheitsunternehmen, die an Verkehrsflughäfen Sicherheitsmaßnahmen nach §§ 5, 8 und 9 LuftSiG durchführen. Am gleichen Tag wurde von denselben Tarifvertragsparteien für denselben Geltungsbereich der Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen (ERTV Flughäfen Bund) und - insoweit nur für die gewerblichen Arbeitnehmer - der Überleitungstarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen (TVÜ Flughäfen Bund) geschlossen. In letzterem lauten § 2 und § 3:
6Dieses bundesweite Tarifwerk trat am in Kraft. Der fachlich allgemeinere, regional aber beschränkte allgemeinverbindliche MTV Wachgewerbe NRW 2000 trat am außer Kraft. Bereits am hatten der BV DWS, Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, und die Gewerkschaft ver.di, vertreten durch die Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen, einen räumlich auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkten, für sämtliche Arbeitnehmer in den Betrieben des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes entsprechend der betrieblich-fachlichen Geltungsbereichsbestimmung des MTV Wachgewerbe NRW 2000 einen Folgetarifvertrag geschlossen (MTV Wachgewerbe NRW 2006). Dieser trat am in Kraft und wurde später mit Wirkung ab diesem Datum für allgemeinverbindlich erklärt.
7Zwischen dem MTV/ERTV Flughäfen Bund und dem MTV Wachgewerbe NRW 2006 bestehen ua. folgende Unterschiede in einzelnen materiellrechtlichen Regelungen: Die Sonntagszuschläge im MTV Wachgewerbe NRW 2006 sind höher als im MTV/ERTV Flughäfen Bund, die Nachtzuschläge dagegen niedriger. Der Referenzzeitraum für die Berechnung des Urlaubsentgelts und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beträgt nach dem MTV Wachgewerbe NRW 2006 drei Monate, nach dem MTV/ERTV Flughäfen Bund zwölf Monate.
8Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wird von der Beklagten seit dem auf der Basis des MTV/ERTV Flughäfen Bund abgerechnet.
9Die Klägerin hat für den Zeitraum vom bis zum verschiedene Ansprüche auf Zahlung von Sonntagszuschlägen, Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung erfolglos geltend gemacht, die sämtlich auf Regelungen des MTV Wachgewerbe NRW 2006 gestützt sind. Zur Begründung ihrer sodann erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, aus der vertraglichen Verweisungsklausel ergebe sich die Anwendung dieses Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien. Die Klausel sei allein auf die Tarifverträge des Bewachungsgewerbes gerichtet und erfasse nicht unmittelbar die spezielleren Tarifverträge für die Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. Die Klägerin sei auch nicht als eine solche spezielle Sicherheitskraft eingestellt, sondern könne im Wege des Direktionsrechtes von der Beklagten jederzeit in einen anderen Sicherheitsbereich außerhalb des Geltungsbereichs des MTV Flughäfen Bund eingesetzt werden. Jedenfalls ergebe sich diese Auslegung zugunsten der Klägerin auch bei der Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB. Im Übrigen könne die Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung in deren Geltungsbereich nicht durch den Abschluss eines weiteren nicht allgemeinverbindlichen Tarifvertrages aufgehoben werden.
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
11Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel im Ergebnis auf den MTV Flughäfen Bund und die begleitenden Tarifverträge verweise. Es gehe dabei nicht um einen Branchenwechsel, sondern um ein ablösendes tarifliches Regelungswerk innerhalb derselben Branche. Die Tarifvertragsparteien hätten diese Ablösung im TVÜ Flughäfen Bund abschließend geregelt. Der Beklagten sei es erkennbar darum gegangen, auf individualvertraglicher Ebene die kollektivrechtliche Entwicklung der flächentarifvertraglichen Ausdifferenzierung durch Abschluss neuer Spezialtarifverträge zu gewährleisten. Die Allgemeinverbindlicherklärung des MTV Wachgewerbe NRW 2006 führe zu keinem anderen Ergebnis, da das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht von diesem, sondern von dem spezielleren MTV Flughäfen Bund erfasst sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
13Die Revision ist begründet.
14I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht der von der Klägerin in Anspruch genommene MTV Wachgewerbe NRW 2006, sondern der MTV/ERTV Flughäfen Bund anzuwenden sei. Die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel sei zwar keine große dynamische Klausel im Sinne einer sog. Tarifwechselklausel. Sie erfasse aber alle Tarifverträge innerhalb der dort genannten Branche und erstrecke sich in ihrer Dynamik daher auch auf einen später dort geschlossenen, spezielleren Tarifvertrag. Dies entspreche auch dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien des TVÜ Flughäfen Bund. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung des MTV Wachgewerbe NRW 2006 werde lediglich die fehlende Bindung an diesen Tarifvertrag ersetzt. Das führe nicht dazu, dass dieser Tarifvertrag auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer Anwendung finden würde, der bei Tarifgebundenheit gerade nicht anwendbar wäre.
15II. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel unzutreffend ausgelegt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der MTV Wachgewerbe NRW 2006 und nicht der MTV/ERTV Flughäfen Bund anzuwenden. Das ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel.
161. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom ist ein Formularvertrag. Seine Auslegung durch das Landesarbeitsgericht kann vom Revisionsgericht ohne Einschränkung überprüft werden (st. Rspr., vgl. nur - BAGE 112, 214, 222; - 4 AZR 581/99 - mwN, BAGE 95, 296, 299). Dessen Nr. 2 ist als Allgemeine Geschäftsbedingung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zulegen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis können ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten sein ( - Rn. 12 mwN, EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Dies gilt auch für dynamische Verweisungsklauseln ( - Rn. 15, NZA 2010, 1183).
172. Die Auslegung des Arbeitsvertrages ergibt, dass die Parteien für den Streitzeitraum die Anwendung des MTV Wachgewerbe NRW 2006 vereinbart haben. Dies folgt aus dem Wortlaut der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel.
18a) Eine arbeitsvertragliche Klausel, die ihrem Wortlaut nach ohne Einschränkung auf bestimmte Tarifverträge eines konkret bezeichneten Gewerbes in ihrer jeweiligen Fassung verweist, ist im Regelfall dahingehend auszulegen, dass die Tarifverträge gerade dieses Gewerbes in der jeweiligen Fassung zur Anwendung kommen sollen und dass diese Anwendung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt oder sonst für beide Parteien in vergleichbarer Weise ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden sind. Etwaige Motive der Erklärenden haben außer Betracht zu bleiben, soweit sie nicht im Wortlaut oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbarer Weise ihren Niederschlag gefunden haben. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich. Es besteht nur dann Anlass, die Wortauslegung in Frage zu stellen, wenn von den Parteien weitere Tatsachen vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, die Zweifel an der wortgetreuen Auslegung der Vertragsklausel begründen können. Diese müssen nahelegen, dass der Wortlaut in einer für beide Seiten erkennbaren Weise den Inhalt der jeweils abgegebenen Willenserklärungen nicht hinreichend wiedergibt (vgl. - Rn. 29 ff., BAGE 122, 74).
19b) Danach findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien im Streitzeitraum der MTV Wachgewerbe NRW 2006 Anwendung.
20aa) Die Verweisungsklausel bezieht sich auf den „jeweils gültigen Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe“. Damit soll nicht ausschließlich ein bestimmter konkreter Tarifvertrag den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestalten, sondern die jeweils in den genannten Tarifverträgen vereinbarten Regelungen für das Bewachungsgewerbe.
21Grundsätzlich nicht in Bezug genommen sind dagegen alle Tarifverträge, die nicht das Bewachungsgewerbe erfassen. Jedenfalls dann, wenn das Bewachungsgewerbe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als solches durch einen gültigen Mantel- und Lohntarifvertrag geregelt wurde und nach wie vor geregelt wird, gilt der arbeitsvertragliche „Ausschluss“ anderer Tarifverträge sowohl für einen tariflichen Geltungsbereich, der mehr als das Bewachungsgewerbe erfasst, als auch für einen Geltungsbereich, der nur Regelungen für Arbeitsverhältnisse eines Teilbereichs des Bewachungsgewerbes regelt. Die Arbeitsvertragsparteien haben die materiellen Arbeitsbedingungen gerade an diejenigen Arbeitsverhältnisse binden wollen, die dem Bewachungsgewerbe als solchem zuzuordnen und für dieses tariflich geregelt sind.
22bb) Der Mantel- und Lohntarifvertrag (MTV Wachgewerbe NRW 2000) galt nach seiner Geltungsbereichsbestimmung für alle Betriebe des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes in Nordrhein-Westfalen und endete am , also zu einem Zeitpunkt, als der MTV/ERTV Flughäfen Bund bereits vier Monate in Kraft war. Auch die Parteien gehen davon aus, dass in diesen vier Monaten für das Arbeitsverhältnis aufgrund der Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag der Parteien weiterhin der MTV Wachgewerbe NRW 2000 Anwendung fand. Am wurde der schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für allgemeinverbindlich erklärte MTV Wachgewerbe NRW 2000 durch einen von denselben Tarifvertragsparteien für den identisch formulierten Geltungsbereich vereinbarten und sodann ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten MTV Wachgewerbe 2006 abgelöst. Damit erfüllt dieser Folge-Tarifvertrag die in der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel aufgestellte Anforderung, der „jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe“ zu sein.
23c) Die vom Landesarbeitsgericht gewählte Auslegung wäre nur bei einem Wortlaut möglich, der auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien schließen lassen könnte, diese hätten sich seinerzeit denjenigen Regelungen der Tarifvertragsparteien unterworfen, die gerade für Unternehmen des Geschäftsbereichs der jetzigen Arbeitgeberin der Klägerin getroffen worden sind, auch wenn sie über den Wortlaut der Vertragsklausel hinaus eine spezifizierende Änderung des Geltungsbereichs vornehmen. Ein solcher Wille hätte etwa in einer Bezugnahmeklausel zum Ausdruck kommen können, die auf die jeweiligen, für den Arbeitgeber geltenden und die konkrete Tätigkeit der Arbeitnehmerin erfassenden Tarifverträge verweist. Möglich wäre auch eine Abweichung vom Wortlaut dahingehend, dass die Tarifverträge des Bewachungsgewerbes Anwendung finden sollten, und soweit hier mehrere Tarifverträge in Betracht kämen, der jeweils speziellere. An eine dahingehende vom Wortlaut abweichende Auslegung kann bei der von den Arbeitsvertragsparteien gewählten Klausel jedoch nur dann gedacht werden, wenn man nicht nur dem Arbeitgeber, der die Klausel selbst gestellt hat, die entsprechende Interessenlage unterstellt, sondern auch der Klägerin. Bereits dies ist angesichts des mit der K Messe- und Veranstaltungsschutz GmbH & Co. KG geschlossenen Arbeitsvertrages nicht selbstverständlich, weil deren Geschäftsbereich bereits nach der Firma deutlich über den Flughafenbereich hinausgegangen ist. Darüber hinaus hätte auch die Klägerin trotz des klaren Wortlauts diese weitergehende Interessenlage erkennen und zum Inhalt ihrer eigenen Willenserklärung machen müssen. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
24aa) Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts soll die - lange nach Abschluss des Arbeitsvertrages hergestellte - Bindung des Arbeitgebers an einen Tarifvertrag mit einem anderen als dem im Arbeitsvertrag ausdrücklich genannten Geltungsbereich zu dessen Ablösung als Gegenstand der Bezugnahmeklausel führen. Dies bedeutete eine qualitative Abweichung von einer dem Wortlaut nach zentralen Eigenschaft des in Bezug genommenen Tarifvertrages. Das gilt um so mehr, als vorliegend sowohl beim Abschluss des Arbeitsvertrages als auch im Streitzeitraum ein Tarifvertrag galt, der gerade diese im Arbeitsvertrag ausdrücklich genannte Bedingung des Geltungsbereichs erfüllt und darüber hinaus allgemeinverbindlich ist.
25bb) Auch die Tatsache, dass der MTV Flughäfen Bund einen fachlichen Geltungsbereich hat, der von demjenigen des MTV Wachgewerbe NRW 2006 umfasst ist, spricht nicht gegen die Auslegung des Arbeitsvertrages nach dem Wortlaut. Der Wille zum Tarifwechsel kann ohne Anhaltspunkte im Wortlaut nicht schlicht unterstellt werden. Es kann der Klägerin überdies, gerade im Hinblick auf die - insoweit - übergreifende Beschreibung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als „Sicherungskraft“ auch darum gegangen sein, diejenigen Tarifbedingungen gewährleistet zu erhalten, die in Unternehmen des gesamten Bewachungsgewerbes tariflich geregelt sind (zu einem solchen Motiv des Arbeitnehmers vgl. - Rn. 22, BAGE 128, 165).
26cc) Ferner weicht nicht nur der fachliche Geltungsbereich des MTV Flughäfen Bund von demjenigen des MTV Wachgewerbe NRW 2006 ab. Ist dieser enger gefasst, so ist der räumliche Geltungsbereich deutlich weiter gefasst. Die Tarifvertragsparteien des MTV Flughäfen Bund haben bei der Vereinbarung der Mindestarbeitsbedingungen die Flughäfen der gesamten Bundesrepublik Deutschland im Blickfeld gehabt und für diesen Bereich ihnen angemessen erscheinende Arbeitsbedingungen vereinbart. Der Tarifvertrag für das Bewachungsgewerbe dagegen gilt nur im Bundesland Nordrhein-Westfalen und ist insofern deutlich enger gefasst. Die Arbeitsvertragsparteien haben die Beschränkung des in Bezug genommenen Tarifwerks der Branche auf das Land Nordrhein-Westfalen zwar nicht ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Vereinbarung gemacht. Für die Frage, welcher Tarifvertrag als „jeweils gültiger“ arbeitsvertraglich erfasster Tarifvertrag anzusehen ist, kann die räumliche Begrenzung des seinerzeit in Kraft befindlichen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrages jedoch ergänzend herangezogen werden. Der MTV Wachgewerbe NRW 2000 erfüllte ersichtlich nach den Vorstellungen der Arbeitsvertragsparteien die von ihnen im Arbeitsvertrag gemeinten Bedingungen des in Bezug genommenen Tarifwerkes. Auch das spricht für eine Erfassung des hinsichtlich des Geltungsbereichs wortidentischen Nachfolgetarifvertrages MTV Wachgewerbe NRW 2006 von der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel. Die hier von den Tarifvertragsparteien für angemessen erachteten Arbeitsbedingungen sind regional deutlich näher an dem Arbeitsverhältnis der Parteien, so dass auch insofern eine Erstreckung des Willenserklärungsinhalts der Arbeitsvertragsparteien auf einen nicht nur fachlich enger, sondern auch räumlich deutlich weiter gefassten Tarifvertrag besonderer Anhaltspunkte bedürfte, die hier nicht vorliegen.
27dd) Zuletzt müsste der in der Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2002 zum Ausdruck kommende Wille der Arbeitsvertragsparteien sich nicht nur auf den Wechsel unter ein anderes Tarifregime bezogen haben, sondern darüber hinaus den Inhalt gehabt haben, diesen Wechsel nicht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des anderen Tarifvertrages, sondern erst dann zu vollziehen, wenn der zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses geltende Tarifvertrag des Bewachungsgewerbes seinerseits beendet worden ist, ohne dass es - ungeachtet der Inbezugnahme der „jeweils gültigen“ Tarifverträge des Bewachungsgewerbes - auf einen Folgetarifvertrag ankäme; erst zu diesem Zeitpunkt solle der Wechsel zu den - teils spezielleren, teils allgemeineren - Tarifverträgen erfolgen und nicht die Ablösung durch den Folgetarifvertrag. Ein solcher Wille der Arbeitsvertragsparteien bei dem Vertragsschluss im Jahre 2002 ist weder dem Wortlaut des Arbeitsvertrages noch sonstigen Umständen zu entnehmen. Das Landesarbeitsgericht hat eine solche Auslegung auch nicht vorgenommen.
28d) Das Landesarbeitsgericht bezieht sich auch zu Unrecht auf den im Abschluss des TVÜ Flughäfen Bund zum Ausdruck kommenden Willen der Tarifvertragsparteien zum Vorrang der bundesweiten spezielleren Regelungen. Es ist zwar zutreffend, dass sich ein solcher Wille aus § 2 Nr. 3 TVÜ Flughäfen Bund entnehmen lässt. Dies ist jedoch für die Auslegung der zwischen den Parteien geschlossenen arbeitsvertraglichen Vereinbarung unerheblich. Bereits aus systematischen Gründen können Tarifvertragsparteien die Auslegung eines Arbeitsvertrages insbesondere dann nicht beeinflussen, wenn es sich um die Willenserklärung eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers handelt (vgl. dazu - Rn. 20 mwN, NZA 2010, 1183).
29e) Da sich die Anwendbarkeit des allgemeinverbindlichen MTV Wachgewerbe NRW 2006 somit bereits aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung der Parteien ergibt, kann dahinstehen, ob ansonsten die normative Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung des MTV Wachgewerbe NRW 2006 nach § 5 Abs. 4 TVG auch das Arbeitsverhältnis der Parteien erfasst oder ob diese durch die gleichzeitige Geltung des nicht allgemeinverbindlichen MTV/ERTV Flughäfen Bund - auch für Nichtmitglieder der tarifvertragsschließenden Parteien - verdrängt worden wäre, wie es das Landesarbeitsgericht weiterhin angenommen hat.
303. Der Anspruch der Klägerin besteht auch der Höhe nach.
31a) Die Klägerin hat ihren Anspruch durch zahlreiche Klageerweiterungen geltend gemacht, die jeweils - wie die Klage selbst - mit der Anwendung der Regelungen aus dem MTV Wachgewerbe NRW 2006 begründet worden sind. Dem hat die Beklagte auch nach Zuerkennung des geltend gemachten Betrages in erster Instanz nicht widersprochen. Die jeweils errechneten Vergütungsdifferenzen sind daher unstreitig.
32b) Ob die Beklagte im Hinblick auf die ungünstigeren Regelungen des MTV Wachgewerbe 2006 etwa bei den Nachtzuschlägen der Klägerin nach dem MTV/ERTV Flughäfen Bund mehr geleistet hat, als diese hätte beanspruchen können, kann dahinstehen. Die Beklagte hat etwaige Rückforderungsansprüche aus diesem oder einem anderen Grund weder konkret beziffert noch in Form einer zumindest hilfsweise erklärten Aufrechnung geltend gemacht. Deshalb haben etwaige Gegenansprüche bei der Beurteilung der Höhe des klägerischen Anspruchs außer Betracht zu bleiben.
334. Die Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 288, 286 BGB.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als unterlegene Partei zu zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Da die Klägerin in den Vorinstanzen jedoch über den in der Revision noch geltend gemachten Betrag hinaus die Gewährung zweier weiterer Urlaubstage verlangt hat, ist dies bei der Kostenentscheidung für die Vorinstanzen zu berücksichtigen. Die insoweit nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO festzusetzende Kostenquote ergibt sich aus dem Wertverhältnis der beiden Teile zueinander. Dabei ist nach der von der Klägerin vorgebrachten Urlaubsentgeltberechnung von einem Wert von 85,04 Euro pro Urlaubstag auszugehen.
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1344 Nr. 21
BB 2011 S. 564 Nr. 9
DB 2011 S. 768 Nr. 13
VAAAD-62566