Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter - Anwendungsbereich - Verkauf von Opernkarten ohne zusätzlich erbrachte Leistungen
Leitsatz
Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er auf den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne Erbringung einer Reiseleistung nicht anwendbar ist.
Instanzenzug:
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Minerva Kulturreisen GmbH (im Folgenden: Minerva) und dem Finanzamt Freital (im Folgenden: Finanzamt) wegen der Anwendung der Sonderregelung für Reisebüros nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie auf den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne zusätzlich erbrachte Leistungen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Art. 26 Abs. 1 und 2 ("Sonderregelung für Reisebüros") der Sechsten Richtlinie, der in zeitlicher Hinsicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist, bestimmt:
"(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
(2) Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat. Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen."
Nationales Recht
§ 25 des deutschen Umsatzsteuergesetzes (UStG) von 1993 (BGBl. 1993 I S. 565) sieht vor:
"(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. ... Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen.
(2) ...
(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage. ...
..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Minerva betreibt ein Reisebüro. Unter anderem erwarb sie in den Jahren 1993 bis 1998 von der Sächsischen Staatsoper Dresden (Semperoper) Eintrittskarten und veräußerte diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Endabnehmer und Reisebüros entweder im Zusammenhang mit anderen von ihr erbrachten Leistungen - wie Unterbringung, Stadtführung, Shuttleservice, Bewirtung - oder ohne solche Leistungen.
Minerva war der Auffassung, dass die Einkünfte aus dem isolierten Verkauf dieser Eintrittskarten ebenfalls der Margenbesteuerung nach § 25 UStG unterlägen. Diese Tätigkeit wurde jedoch ohne Berücksichtigung der genannten Regelung besteuert.
Das Finanzamt wies den Einspruch von Minerva gegen die Steuerbescheide vom für die Jahre 1993 bis 1997 und gegen den Steuerbescheid vom für 1998 mit der Begründung zurück, dass Minerva mit dem An- und Verkauf von Eintrittskarten nicht die Dienstleistung "Durchführung einer Reise" erbringe und ihre Tätigkeit sich daher nicht von der Tätigkeit anderer gewerblicher Eintrittskartenverkäufer unterscheide.
Das Sächsische Finanzgericht schloss sich mit Urteil vom der Auffassung des Finanzamts an und wies deshalb die Klage von Minerva gegen den Einspruchsbescheid ab.
Minerva legte gegen dieses Urteil Revision zum vorlegenden Gericht ein. Streitig in diesem Verfahren ist nur noch, ob der Verkauf von Eintrittskarten an Endabnehmer ohne zusätzlich erbrachte Leistungen der Margenbesteuerung nach § 25 UStG unterliegt.
Zur Begründung ihrer Revision führte Minerva aus, der Verkauf von Eintrittskarten durch ein Reisebüro sei als eine "Reiseleistung" im Sinne von § 25 UStG anzusehen, da der Verkauf dieser Karten ein Angebot aus ihrem Portfolio von verschiedenen Reisemöglichkeiten und Reisedienstleistungen sei.
Angesichts des Urteils des Gerichtshofs vom , Van Ginkel (C-163/91, Slg. 1992, I-5723), stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob ein Reisebüro, wenn es im eigenen Namen auftritt, für die Erlöse aus dem Verkauf von Eintrittskarten der Margenbesteuerung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie unterliegt oder ob diese steuerliche Regelung nur Anwendung finden kann, wenn die isolierte Leistung in einer der Kernleistungen der von dieser Bestimmung erfassten Wirtschaftsteilnehmer besteht.
Der Bundesfinanzhof hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Gilt die "Sonderregelung für Reisebüros" in Art. 26 der Sechsten Richtlinie auch für den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne zusätzlich erbrachte Leistungen?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob jede von einem Reisebüro erbrachte Leistung unter die Sonderregelung des Art. 26 der Sechsten Richtlinie fällt oder ob eine von einem Reisebüro erbrachte Leistung nur dann unter diese Regelung fällt, wenn sie eine Reiseleistung umfasst.
Erstens stellt Art. 26 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie klar, dass die dort vorgesehene Sonderregelung auf die Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern anwendbar ist, soweit sie gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen.
Folglich ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass eine Leistung eines Reisebüros nur dann unter diese Sonderregelung fällt, wenn sie die Durchführung einer Reise betrifft.
Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 26 der Sechsten Richtlinie für bestimmte Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung über die Besteuerungsgrundlage vorsieht und als Ausnahme von der normalen Regelung der Sechsten Richtlinie nur angewandt werden darf, soweit dies zur Erreichung des Ziels der Richtlinie erforderlich ist (Urteile vom 22. Oktober 1998, Madgett und Baldwin, C-308/96 und C-94/97, Slg. 1998, I-6229, Randnrn. 5 und 34, und vom , First Choice Holidays, C-149/01, Slg. 2003, I-6289, Randnrn. 21 und 22).
Drittens besteht das Ziel der Sonderregelung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie darin, die anwendbaren Bestimmungen den Besonderheiten der Tätigkeit von Reisebüros und Reiseveranstaltern anzupassen (Urteile Madgett und Baldwin, Randnr. 18, und First Choice Holidays, Randnr. 23).
Dazu ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass diese Tätigkeit dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich regelmäßig aus der Erbringung mehrerer Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen, zusammensetzt, die teils im Ausland, teils in dem Land erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat. Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug würde für diese Unternehmen aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen zu praktischen Schwierigkeiten führen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern würden (vgl. Urteile Madgett und Baldwin, Randnr. 18, und First Choice Holidays, Randnr. 24).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich entgegen den Ausführungen der griechischen Regierung aus dem Urteil Van Ginkel nicht ableiten lässt, dass jede isolierte Leistung, die ein Reisebüro oder ein Reiseveranstalter erbringt, unter die Sonderregelung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie fällt.
Der Gerichtshof hat nämlich in Randnr. 23 des Urteils Van Ginkel entschieden, dass der Ausschluss von Leistungen eines Reisebüros vom Anwendungsbereich des Art. 26 der Sechsten Richtlinie mit der Begründung, diese Leistungen umfassten nur die Unterkunft und nicht die Beförderung des Reisenden, zu einer komplexen steuerlichen Regelung führte, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten, und dass eine solche Steuerregelung den Zielen der Richtlinie widerspräche.
Aus diesem Urteil ergibt sich somit, dass der Gerichtshof nicht entschieden hat, dass jede von einem Reisebüro erbrachte Leistung ohne einen Zusammenhang mit einer Reise unter die Sonderregelung des Art. 26 der Sechsten Richtlinie fällt, sondern, dass die Unterbringungsleistung eines Reisebüros in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, auch wenn diese Leistung nur die Unterbringung und nicht die Beförderung umfasst.
Aus Randnr. 24 des Urteils Van Ginkel ergibt sich auch, dass eine Leistung, wenn sie nicht mit Reiseleistungen, insbesondere der Beförderung und der Unterbringung, verbunden ist, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 26 der Sechsten Richtlinie fällt.
Nach alledem fällt der Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne Erbringung einer Reiseleistung nicht unter die Sonderregelung nach Art. 26 der Sechsten Richtlinie.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung dieser Sonderregelung auf eine Tätigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, bei der sich das Reisebüro auf den Verkauf von Eintrittskarten beschränkt, ohne Reiseleistungen zu erbringen, zu einer Wettbewerbsverzerrung führte, da ein und dieselbe Tätigkeit unterschiedlich besteuert würde, je nachdem, ob der Wirtschaftsteilnehmer, der diese Karten verkauft, ein Reisebüro ist oder nicht.
Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 26 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne Erbringung einer Reiseleistung nicht anwendbar ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er auf den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein Reisebüro ohne Erbringung einer Reiseleistung nicht anwendbar ist.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
OAAAD-61702