BFH Beschluss v. - VII B 66/10

§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO dient der Wahrung der Behördeninteressen; keine sinngemäße Anwendung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auf Steuererstattungsanträge

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, AO § 47, AO § 110, AO § 155 Abs. 4, AO § 169 Abs. 1 Satz 3, AO § 169 Abs. 2, AO § 170 Abs. 1, AO § 170 Abs. 2, AO § 170 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) stellte mit Schreiben vom einen Antrag auf Steuerentlastung nach § 54 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) für das Kalenderjahr 2007. Ausweislich des Eingangsstempels ging der Antrag am beim Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt —HZA—) ein. Das HZA lehnte mit Bescheid vom den Antrag auf Steuerentlastung ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

2 Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es urteilte, dass die Klägerin mangels fristgerechten Antrags keinen Anspruch auf die Steuerentlastung nach § 54 EnergieStG habe. Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes hätte der Antrag auf Steuerentlastung spätestens am beim HZA eingegangen sein müssen. Der Eingang am sei daher verfristet gewesen. Darüber hinaus sei der materielle Anspruch infolge Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 155 Abs. 4, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der AbgabenordnungAO—) mit Ablauf des gemäß § 47 AO erloschen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO wegen Versäumung der Antragsfrist komme nicht in Betracht, wenn —wie im Streitfall— der Ablauf der Frist für die Beantragung der Steuerentlastung und der Ablauf der Festsetzungsfrist zusammenfielen und ein entsprechender Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist und damit nach dem Erlöschen des Vergütungsanspruchs gestellt werde. Trotz der Verweisung des § 155 Abs. 4 AO finde § 169 Abs. 1 Satz 3 AO keine Anwendung auf Steuervergütungsanträge, da diese Vorschrift aus Sicht der Verwaltung konzipiert sei und ausdrücklich nur für Bescheide der Finanzbehörden gelte.

3 Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 1. Alternative der FinanzgerichtsordnungFGO—) stützt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass das FG § 169 Abs. 1 Satz 3 AO „contra legem” nicht auf Vergütungsanträge angewandt und eine unzulässige teleologische Reduktion vorgenommen habe.

4 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe schon nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, jedenfalls aber nicht vorliegen.

5 1. Der der Beschwerde sinngemäß zu entnehmenden Rechtsfrage, ob § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO über die Verweisung des § 155 Abs. 4 AO auch auf an die Finanzbehörde gerichtete Steuererstattungsanträge sinngemäß anzuwenden sei, kommt —entgegen der von der Beschwerde vertretenen Ansicht— keine grundsätzliche Bedeutung zu.

6 Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).

7 Im Streitfall bedarf die von der Klägerin aufgeworfene Frage keiner Klärung, denn sie ist so zu beantworten, wie es das FG getan hat.

8 § 169 Abs. 1 Satz 3 AO —wonach die Festsetzungsfrist gewahrt ist, wenn der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat— dient der Wahrung der Behördeninteressen (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1685; Banniza in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 169 AO Rz 75; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 169 AO Rz 33). Denn durch die Vorschrift sollen Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Zeitpunkts des Zugangs vermieden werden (BTDrucks VI/1982, S. 150). Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Steuerbescheide in der Regel nicht zugestellt, sondern durch Zusendung als einfacher Brief bekanntgegeben werden (Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 169 Rz 37). Eine vergleichbare Problematik stellt sich bei Anträgen des Steuerpflichtigen nicht. Daher genügt es auf Seiten des Steuerpflichtigen nicht, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Festsetzung einer Steuer zum Zweck der Erstattung oder Steuervergütung abgesandt wird. Daran ändert —nicht zuletzt im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut und den Sinn und Zweck des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO— auch die Verweisungsvorschrift des § 155 Abs. 4 AO nichts.

9 Mithin ist im Streitfall der Steuerentlastungsantrag entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erst nach Ablauf der einjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, die mit Ablauf des begann (§ 170 Abs. 1 AO) und am endete, dem HZA zugegangen, so dass Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Der Steuerentlastungsanspruch ist daher nach § 47 AO erloschen.

10 Eine Wiedereinsetzung nach § 110 Abs. 1 AO mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung des § 170 Abs. 3 AO kann (selbst bei unverschuldeter Säumnis des Steuerpflichtigen) nicht gewährt werden (Senatsurteil vom VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462).

11 2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) setzt voraus, dass über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere dann, wenn der Einzelfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (, BFH/NV 2002, 217; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 41, m.w.N.). Da die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist, kommt auch eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO nicht in Betracht, denn dieser Zulassungsgrund stellt lediglich eine Konkretisierung von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 403 Nr. 3
RAAAD-60301