Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit - kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage - fehlende Klagebefugnis - Streitgegenstand - Verwaltungsakt - Regelung - überprüfbare Verwaltungsentscheidung - Verletztenrente statt Verletztengeld
Gesetze: § 54 Abs 1 SGG, § 54 Abs 4 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 31 S 1 SGB 10
Instanzenzug: Az: S 13 U 80/05 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 4 U 65/08 Urteil
Tatbestand
1Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit vom bis zum streitig.
2Die Klägerin ist die Witwe des am verstorbenen J. N. (im Folgenden: Versicherter), mit dem sie zum Zeitpunkt des Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Der Versicherte bezog ab Juni 1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung und nahm im August 2001 eine geringfügige Beschäftigung auf. Mit dem Arbeitgeber vereinbarte er unter dem , die Beschäftigung "zu unterbrechen". Ab diesem Tag war der Versicherte wegen einer Asbeststaublungenerkrankung arbeitsunfähig. Am begab er sich in stationäre Behandlung.
3Die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft (BG), Rechtsvorgängerin der Beklagten, stellte bei dem Versicherten eine Asbeststaublungenerkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nummer 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung fest (Bescheid vom ). Mit Schreiben vom teilte sie ihm mit, dass wegen der BK ein Anspruch auf Verletztengeld und für die Dauer von sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ein Lohnfortzahlungsanspruch bestehe. Der hiergegen auf Zahlung von Verletztenrente gerichtete Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom ). Ab bestehe für 78 Wochen ein Anspruch auf Verletztengeld. Erst danach beginne ein Anspruch auf Rente.
4Das Sozialgericht Münster (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Während des Berufungsverfahrens stellte die BG wegen der Folgen der BK eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH ab dem fest (Bescheid vom ). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die auf Zahlung von Verletztenrente "anstelle von Verletztengeld" ab gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Die geringfügige Beschäftigung eines Beziehers einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei eine vom Schutzzweck des § 45 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) umfasste Tätigkeit und schließe den Anspruch auf Verletztengeld nicht aus. Der Anspruch auf Verletztenrente beginne erst an dem Tag, der auf den Tag folge, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende.
5Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 45 Abs 1 und § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII. Das Verletztengeld sei nur für Versicherte vorgesehen, die zum Kreis der Erwerbstätigen gehörten und ihren Lebensunterhalt vor Eintritt der durch den Versicherungsfall bedingten Arbeitsunfähigkeit aus einer Erwerbstätigkeit oder einer daran anknüpfenden Sozialleistung bestritten hätten. Mit den Einkünften aus der geringfügigen Beschäftigung habe der Versicherte seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen können. Da bereits bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe gerechnet werden können, habe der Anspruch auf Verletztengeld bereits mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit geendet.
6Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte Verletztengeld für die Zeit vom bis zum und Verletztenrente ab bewilligt (Bescheid vom ).
8Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
9Sie trägt vor, mit dem Verletztengeld seien die Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung ausgeglichen worden. § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII sei nicht anwendbar.
Gründe
10Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
11Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), mit der unter Aufhebung des den Anspruch auf Verletztengeld feststellenden Verwaltungsaktes vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Verletztenrente für die Zeit vom bis zum geltend gemacht wird. Diese Klagen sind unzulässig.
12Nach § 54 Abs 1 SGG kann mit der Anfechtungsklage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes oder seine Abänderung begehrt werden (Satz 1). Sie ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (Satz 2). Insoweit reicht es zwar schon aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und der Kläger die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig ( B 9/9a SB 2/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 5 RdNr 18). An der Klagebefugnis fehlt es aber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt ( - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt ( - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (vgl § 88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Das ist hier der Fall.
13Durch den Verwaltungsakt vom ist allein ein Anspruch auf Verletztengeld festgestellt worden. Er enthält keine Regelung iS des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), mit dem die BG einen Anspruch auf Verletztenrente abgelehnt hätte. Bei dem Verletztengeld (§§ 45 ff SGB VII) und der Verletztenrente (§§ 56 ff SGB VII) handelt es sich um unterschiedliche Sozialleistungen, die im SGB VII systematisch voneinander getrennt normiert sind. Sie bilden jeweils einen eigenständigen Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens (vgl § 8 SGB X), über den der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden hat.
14Über den Anspruch auf Verletztenrente ist auch nicht im Widerspruchsbescheid vom entschieden worden. Abgesehen davon, dass die Widerspruchsstelle funktional und sachlich nicht zuständig ist, an Stelle der Ausgangsbehörde des Trägers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu befinden (), setzt sich auch der Widerspruchsbescheid allein mit dem Anspruch auf Verletztengeld auseinander. Den Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat ( B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung im Widerspruchsbescheid "erst wenn der Anspruch auf Verletztengeld endet, beginnt ein Anspruch auf Rente (§§ 46 Abs. 3 SGB VII, 72 Abs. 1 SGB VII)" nur ein Hinweis auf die bestehende Gesetzeslage. Mit ihr hat die BG keine Regelung über ein Recht des Versicherten auf Verletztenrente getroffen.
15Der Unzulässigkeit der Anfechtungsklage stehen die Bescheide vom und nicht entgegen. Der Verwaltungsakt im Bescheid vom , mit dem ein Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit ab - und nicht ein früherer Zeitpunkt - festgestellt wurde, ist vom Versicherten nicht angefochten worden und damit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Er ist nicht nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn er hat den allein das Verletztengeld betreffenden Verwaltungsakt vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom weder abgeändert noch ersetzt. Seine Einbeziehung kann auch nicht auf eine weite oder analoge Anwendung des § 96 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen (vgl - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, jeweils RdNr 5).
16Auch der Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom über die Zahlung der Verletztenrente schon ab hat daher den hier angefochtenen Verwaltungsakt nicht abgeändert oder ersetzt. Unabhängig davon gilt ein Verwaltungsakt, der während des Revisionsverfahrens den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, als mit der Klage beim SG angefochten (§ 171 Abs 2 SGG).
17Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten (unechten) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) nach sich. Auch diese Leistungsklage setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung abgelehnt hat und kommt daher vor dem Erlass einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:210910UB2U2509R0
Fundstelle(n):
UAAAD-57443