Kein weiterer steuerpflichtiger Erwerbsvorgang i.S.des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG durch Aufhebung eines Grundstückskaufvertrags
Leitsatz
Ein Kaufvertrag unterliegt nur dann der Grunderwerbsteuer, wenn der Erwerber aus ihm einen obligatorischen Anspruch auf Verschaffung des Grundstückseigentums erwirbt, aus dem er unmittelbar auf die Erklärung der Auflassung klagen kann.
In Fällen, in denen das Eigentum an einem Grundstück noch nicht übergegangen ist (§ 16 Abs. 1 GrEStG), lässt die Aufhebung des Verpflichtungsgeschäfts zwar den durch den ursprünglichen Kaufvertrag entstandenen Steueranspruch unberührt, sie selbst führt aber zu keinem (weiteren) steuerpflichtigen Tatbestand.
Gesetze: GrEStG § 1 Abs. 1, GrEStG § 1 Abs. 2, GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, FGO § 118 Abs. 2
Instanzenzug: GrE (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte als Eigentümerin ein in X gelegenes Geschäftsgrundstück mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom an die Y zu einem Kaufpreis von 8.500.000 € verkauft. Die Auflassung und die Eintragung der Y als Eigentümerin im Grundbuch erfolgten nicht.
2 Mit notariell beurkundetem Vertrag vom „kaufte” die Klägerin das vorgenannte Grundstück zu einem vorläufig veranschlagten Kaufpreis von 6.723.235 € von der Y zurück. In § 1 dieses Grundstückskaufvertrages wird darauf verwiesen, dass die Y als Verkäuferin das Grundstück ursprünglich von der Klägerin erworben hat und diese, nämlich die Klägerin als Käuferin, als Alleineigentümerin des Grundstücks eingetragen ist. Für den Erwerb vom wurde beantragt, die Grunderwerbsteuer nach § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) nicht festzusetzen bzw. die Festsetzung aufzuheben.
3 Mit Bescheid vom setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) für den Erwerb vom nach einer Gegenleistung von 6.723.235 € gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 235.313 € fest.
4 Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin u.a. geltend machte, mit dem Abschluss des (Rück-)Kaufvertrages vom habe sie keinen grunderwerbsteuerbaren Vorgang verwirklicht, blieben ohne Erfolg.
5 Mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 770 veröffentlichtem Urteil wies das Finanzgericht (FG) die Klage der Klägerin als unbegründet ab. Der (Rück-)Erwerb des Grundstücks durch die Klägerin unterliege nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Durch diesen Vertrag sei der Grundstückskaufvertrag zwischen der Klägerin und Y vom nicht i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG rückgängig gemacht worden.
6 Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.
7 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, soweit sie davon betroffen ist, sowie den Grunderwerbsteuerbescheid des FA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
8 Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
9 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie die Klägerin betrifft, und des Grunderwerbsteuerbescheids des FA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Entgegen der Ansicht des FG hat die Klägerin durch den notariell beurkundeten Vertrag vom keinen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 GrEStG verwirklicht; auf die von den Beteiligten vorrangig aufgeworfene Frage, ob ein Erwerbsvorgang nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG rückgängig gemacht worden ist, kommt es insoweit nicht an.
10 1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines inländischen Grundstücks begründet. Dazu ist es erforderlich, dass der Erwerber aus dem Kaufvertrag einen obligatorischen Anspruch auf Verschaffung des Grundstückseigentums erwirbt, aus dem er unmittelbar auf die Erklärung der Auflassung klagen kann (vgl. , BFHE 106, 367, BStBl II 1972, 828). Ein solcher Eigentumsverschaffungsanspruch der Klägerin ist bei verständiger Auslegung durch den notariell beurkundeten Vertrag vom nicht begründet worden. Zwar gehört die Auslegung von Verträgen grundsätzlich zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn —wie im Streitfall— die Auslegung des FG anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt (, BFHE 201, 278, BStBl II 2003, 467, m.w.N.).
11 a) Es ist zwar richtig, dass die Vertragsparteien am einen „Grundstücks-Kaufvertrag” geschlossen haben und sich Y insoweit in § 2 Nr. 1 des Vertrages zum Rückverkauf des streitbefangenen Grundstücks verpflichtet hat. Allein aus dieser Bezeichnung des Vertrages folgt aber noch nicht, dass der Vertrag auch —wie für § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erforderlich— einen Anspruch der Klägerin auf Übertragung des streitbefangenen Grundstücks begründet hat. Vielmehr ergibt sich bereits aus § 1 Nr. 2 i.V.m. der Anlage 1 des vorgenannten Vertrages, dass beide Vertragsbeteiligte davon ausgegangen sind, dass die Klägerin (noch) als Eigentümerin des streitbefangenen Grundstücks im Grundbuch eingetragen war. Nach § 10 des Vertrages haben die Vertragsparteien für das streitbefangene Grundstück auch keinen Auflassungsanspruch zugunsten der Klägerin begründet.
12 b) Nimmt man noch hinzu, dass die Vertragsbeteiligten in § 9 Nr. 3 des Vertrages die Nichtfestsetzung bzw. Aufhebung der Grunderwerbsteuer nach § 16 GrEStG beantragt haben, so wird deutlich, dass sie bezogen auf das streitbefangene Grundstück lediglich ein Rückabwicklungsverhältnis begründen wollten, welches nicht etwa zur Begründung eines „Rückauflassungsanspruchs” der Klägerin, sondern gerade dazu führen sollte, dass zugunsten von Y kein Auflassungsanspruch mehr bestand.
13 c) Für diese Beurteilung ist es auch unerheblich, wie die Vertragsparteien die Rückabwicklung des bereits gezahlten Kaufpreises bzw. der gezogenen Nutzungen und der entstandenen Belastungen ausgestaltet haben. Wird ein noch nicht erfülltes obligatorisches Rechtsgeschäft (hier in Gestalt des Kaufvertrages vom ) wieder aufgehoben, so wird kein steuerbarer Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verwirklicht, weil ein Anspruch auf Übertragung des Eigentums zugunsten des Verkäufers dadurch gerade nicht begründet wird, sondern das Eigentum beim durch den ursprünglichen Vertrag zur Übereignung verpflichteten Eigentümer verbleibt (Fischer in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 16. Aufl., § 1 Rz 311).
14 d) Dem entspricht es, dass nach allgemeiner Auffassung (vgl. Pahlke in Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., § 16 Rz 11; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 16 Rz 10; Sack in Boruttau, a.a.O., § 16 Rz 21) in Fällen, in denen das Eigentum an einem Grundstück noch nicht übergegangen ist (§ 16 Abs. 1 GrEStG), die Aufhebung des Verpflichtungsgeschäfts zwar den durch den ursprünglichen Kaufvertrag (hier gegenüber Y) entstandenen Steueranspruch unberührt lässt, sie selbst aber zu keinem (weiteren) steuerpflichtigen Tatbestand (hier gegenüber der Klägerin) führt. Ob die bezogen auf den Kaufvertrag vom gegenüber Y vorgenommene Grunderwerbsteuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aufzuheben ist, braucht im Verfahren der Klägerin nicht entschieden zu werden. Diese Festsetzung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
15 2. Da der notariell beurkundete Vertrag vom ausschließlich der Rückabwicklung des Kaufvertrages vom diente, wurde der Klägerin insoweit auch kein Verwertungsrecht am streitbefangenen Grundstück i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG eingeräumt.
16 3. Die Sache ist spruchreif. Da durch den notariell beurkundeten Vertrag vom kein der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang verwirklicht wurde, durfte keine Grunderwerbsteuerfestsetzung erfolgen. Die insoweit ergangene Vorentscheidung sowie die angefochtenen Bescheide des FA waren danach aufzuheben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 2300 Nr. 12
HFR 2011 S. 334 Nr. 3
WAAAD-54311