Betreuung behinderter Kinder und Jugendlicher durch Fachfamilien (§ 34 SGB VIII)
Fachfamilie (§ 34 SGB VIII)
Werden Kinder im Rahmen der Betreuungsform nach § 34 SGB VIII in eine so genannte Fachfamilie oder in eine Familiengruppe mit Betreuer gegeben, so ist dies mit einem ausgelagerten Heimplatz vergleichbar. Die Erziehungsstelle ist eine Alternative zur Gruppenbetreuung für solche Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung, die nicht gruppenfähig sind.
Die potenziell qualifizierten Fachfamilien wenden sich an einen Verein, der als Träger gegenüber den Jugendämtern auftritt und beim Landesjugendamt eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII für die ‚Einrichtung Fachfamilie‘ beantragt. Voraussetzung für die Erteilung der Betriebserlaubnis ist u. a., dass zumindest eine der betreuenden Personen eine pädagogische Vorbildung aufweisen kann.
Wird der Fachfamilie ein Kind zur Betreuung zugewiesen, so schließt der Trägerverein mit dieser einen Vertrag über die zu erbringenden Leistungen ab. In diesem Vertrag wird vereinbart, dass die Fachfamilie ein erhöhtes Erziehungsgeld, Aufwendungsersatz, einen Beitrag zur Altersvorsorge und zur Unfallversicherung erhält. Die dadurch entstehenden Kosten werden dem Verein durch das zuständige Jugendamt erstattet. Bei der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ersetzen die gezahlten Pflegegelder die materiellen Aufwendungen und den Erziehungsaufwand der Pflegeeltern. Sie stellen somit steuerfreie Einnahmen i. S. d. § 3 Nr. 11 EStG dar.
Bei Maßnahmen nach § 34 SGB VIII werden im Vergleich zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII stark erhöhte Pflegesätze gezahlt. Daneben vereinbaren die Trägervereine mit den Pflegefamilien auch Vergütungen im Urlaubs- und Krankheitsfall sowie Zahlungen zur Alterssicherung. Die auf Grundlage des § 34 SGB VIII gezahlten Gelder haben somit einen eindeutigen Vergütungscharakter. Die Familien erzielen somit steuerpflichtige Einkünfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Die gezahlten Entgelte sind keine steuerfreien Beihilfen nach § 3 Nr. 11 EStG und fallen somit nicht unter den Anwendungsbereich des BStBl 2007 I S. 824.
Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 10 EStG
Mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom wurde mit § 3 Nr. 10 EStG eine neue Steuerbefreiungsvorschrift für das im Rahmen des betreuten Wohnens behinderter Menschen in Gastfamilien gezahlte Betreuungsentgelt geschaffen. Wesentliches Motiv für die Schaffung der Befreiungsvorschrift war es, die sich im Aufbau befindliche Betreuungsform ‚Betreutes Wohnen‘ weiter zu stärken.
Im Rahmen des ‚Betreuten Wohnens in Gastfamilien‘ werden ein oder sogar mehrere behinderte Menschen quasi als Familienmitglieder aufgenommen und rund um die Uhr persönlich betreut. Eine Berufsausbildung in einem pflegerischen oder sozialen Beruf ist nicht erforderlich. Vermittelt werden in der Regel Menschen, die nicht (mehr) auf die Unterbringung in einer stationären Einrichtung angewiesen sind, im Alltag aber Unterstützung und soziale Anbindung benötigen. Durch diese Form der Betreuung wird eine Heimunterbringung von behinderten Menschen vermieden und sie können in der Geborgenheit einer Familie ein selbstbestimmtes Leben führen. Als alternative Lebensform wird den behinderten Menschen so neue Entwicklungsmöglichkeiten und Lebensqualität geboten. Die so genannten Gastfamilien erhalten in der Regel ein Betreuungsgeld, mit dem vor allem Aufwendungen wie Verpflegung, Mietanteil und sonstige Kosten ausgeglichen werden sollen.
Die Gastfamilien erzielen Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach § 3 Nr. 10 EStG sind die Einnahmen einer Gastfamilie für die Aufnahme eines behinderten oder von einer Behinderung bedrohten Menschen bis zur Höhe der Leistungen nach SGB XII steuerfrei. Das gilt unabhängig davon, ob die Geldleistungen vom Sozialleistungsträger oder vom behinderten Menschen selbst an die Gastfamilie gezahlt werden (vgl. auch ESt-Kartei § 18 Abs. 1 Nr. 1 Karte 13.3).
Betreuung behinderter Kinder und Jugendlicher in Fachfamilien
Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob Einnahmen von Fachfamilien für die Pflege, Betreuung, Unterkunft und Verpflegung eines behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes oder Jugendlichen ebenfalls unter die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 10 EStG fallen.
Hierzu ist nach schriftlicher Abstimmung zwischen Bund und Ländern folgende Auffassung zu vertreten:
§ 3 Nr. 10 EStG gewährt – im bestimmten Umfang – eine Steuerfreiheit für Einnahmen von Gastfamilien für die Aufnahme eines behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen nach § 2 Abs. 1 SGB IX zur Pflege, Betreuung, Unterkunft und Verpflegung. Mit der Einführung des § 3 Nr. 10 EStG sollte lediglich die Regelungslücke für die steuerliche Behandlung des Betreuungsentgeltes für das betreute Wohnen behinderter (erwachsener) Menschen in Gastfamilien geschlossen werden. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Einnahmen der Fachfamilie gemäß § 34 SGB VIII für die Pflege, Betreuung, Unterkunft und Verpflegung eines behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes oder Jugendlichen nach § 2 Abs. 1 SGB IX steuerfrei stellen wollte. Während bei der Zahlung von Erziehungshilfen nach § 34 SGB VIII von einer Entgeltlichkeit auszugehen ist, spricht bei einem Betreuungsgeld für Gastfamilien i. S. d. § 3 Nr. 10 EStG die Höhe der gewährten Pauschbeträge dagegen. Für die Aufnahme eines behinderten Menschen in Gastfamilien wird ein Betreuungsgeld gezahlt, das je nach Umfang und Ausprägung der behinderungsspezifischen Betroffenheit zwischen 300 € und 600 € liegen soll.
Eine Übereinstimmung der Begriffe ‚Gastfamilie‘ (nach § 3 Nr. 10 EStG) und ‚Fachfamilie‘ (nach § 34 SGB VIII) liegt nicht vor.
Gastfamilien i. S. d. § 3 Nr. 10 EStG sind neben Angehörigen des behinderten Menschen Familien mit und ohne Kinder, Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende oder allein stehende Personen. An das Merkmal ‚Gastfamilie‘ sind keine besonderen Voraussetzungen geknüpft. Bei der Betreuung von behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen nach § 2 Abs. 1 SGB IX durch Aufnahme dieser Menschen in den Haushalt der Familie lebt der Betroffene wie ein Familienmitglied in der Gastfamilie.
Bei einer Fachfamilie i. S. d. § 34 SGB VIII erfolgt die Betreuung, die zudem betriebserlaubnispflichtig (§ 45 SGB VIII) ist, durch qualifizierte Fachkräfte. Die Erziehung i. S. d. § 34 SGB VIII ist darauf gerichtet, dass der Erziehungsbedürftige auf kürzere oder längere Zeit seinen Lebensmittelpunkt außerhalb der eigenen Familie hat.
Da die Maßnahmen nach § 34 SGB VIII – im Gegensatz zur Betreuungsleistung durch Gastfamilien – im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit ausgeübt werden und eine entsprechende entgeltliche Vergütung erfolgt, fallen gemäß § 34 SGB VIII gezahlte Gelder nicht unter die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 10 EStG.
Bayerisches Landesamt für Steuern v. - S 2121.1.1-5/3 St32
Fundstelle(n):
RAAAD-52386