BFH Beschluss v. - VIII B 228/09

Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung

Gesetze: FGO § 55 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, AO § 122 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage zu Unrecht wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung enthält einen irreführenden Zusatz. Die Klagefrist begann deshalb nicht mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zu laufen und war bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen. Dies hat das FG verkannt. Der darin liegende Verfahrensfehler (Verstoß gegen § 55 Abs. 2 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).

2 1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) und ausreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

3 a) Mit der Behauptung, die Rechtsbehelfsbelehrung sei irreführend und die Klagefrist sei deshalb bei Erhebung der Klage noch nicht abgelaufen gewesen, haben die Kläger einen Verfahrensmangel geltend gemacht.

4 Weist das FG die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig ab, anstatt zur Sache zu entscheiden, liegt nach der Rechtsprechung ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Ein Verfahrensmangel liegt insbesondere vor, wenn das Gericht deshalb nicht zur Sache entscheidet, weil es zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt ist (, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; BFH-Beschlüsse vom VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661; vom VII B 181/03, BFH/NV 2004, 1284; vom II B 99/05, BFH/NV 2006, 1860; vgl. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler —HHSp—, § 115 FGO Rz 234; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 80, m.w.N.; evtl. a.A.: , BFH/NV 2010, 448).

5 Im Streitfall hat das FG die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Mit der Behauptung, die Klagefrist sei bei Klageerhebung nicht abgelaufen gewesen und das FG habe § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO unrichtig angewandt, wird mithin ein Verfahrensfehler geltend gemacht.

6 b) Die Kläger haben den Verfahrensmangel auch ausreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 FGO). Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält den Satz: „Der Tag der Aufgabe zur Post ist das Datum der Einspruchsentscheidung”. Nach hinreichend begründeter und in der Beschwerdebegründung mitgeteilter Auffassung der Kläger ist diese Aussage unrichtig und irreführend. Die Kläger meinen deshalb, dass die Klage gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe eingelegt werden konnte.

7 Unerheblich ist insbesondere, ob die unrichtige Belehrung für die Fristversäumnis ursächlich war (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 55 Rz 27, m.w.N.); dazu bedarf es deshalb auch keiner Darlegungen. Soweit Darlegungen auch zu der Frage erforderlich sind, ob die Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann, genügt der Hinweis, dass das FG die Klage bei —nach Ansicht der Kläger— zutreffender Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht als unzulässig abgewiesen hätte.

8 2. Die Beschwerde ist begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO) liegt vor. Auf ihm kann das Urteil des FG auch beruhen.

9 a) Das FG hat insbesondere ausgeführt, die Belehrung genüge den Anforderungen und sei insgesamt nicht zu beanstanden. Die Belehrung müsse nicht alle Angaben enthalten, die zur Berechnung der Klagefrist im Einzelfall erforderlich seien. Angaben, die darüber hinaus gingen, seien unschädlich, solange sie nicht irreführend seien. Die Aussage „Der Tag der Aufgabe zur Post ist das Datum der Einspruchsentscheidung” stelle eine zulässige Erleichterung für die Fristberechnung bei regulärer Bekanntgabe dar. Nach dem Wegfall des Postmonopols könne dem Datum des Poststempels keine eindeutig verbindliche Aussagekraft mehr beigemessen werden, weil es keine für alle Post- und Zustelldienste einheitlich verbindlichen Regelungen für Postsendungen mehr gebe. Vor diesem Hintergrund erleichtere die Aussage die Fristberechnung, da es andere Anhaltspunkte für den Tag der Aufgabe zur Post nicht mehr gebe und der Tag der Aufgabe zur Post ansonsten nur durch Rückfrage beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) geklärt werden könne. Darin liege auch keine unzulässige Konkretisierung in Form einer Fixierung auf das Datum des Bescheids, weil in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Regelung zur Maßgeblichkeit der späteren Bekanntgabe hingewiesen werde.

10 b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

11 aa) Über das Vorliegen eines ordnungsgemäß geltend gemachten Verfahrensmangels entscheidet der BFH —auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde— grundsätzlich ohne sachliche Einschränkungen in der Sache selbst (vgl. Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 228; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 94). Dem entsprechend hat der BFH in der Vergangenheit auch über die Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig oder irreführend ist, selbst entschieden (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 55 Rz 26, m.w.N.). Daran hält der Senat fest.

12 bb) Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Einlegung der Anfechtungsklage —abweichend von § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO— innerhalb eines Jahres (seit Bekanntgabe) zulässig, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist. Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn sie die ihr nach dem Gesetz zugedachte Funktion verfehlt, über die Formerfordernisse des Rechtsmittels hinreichend genau und sachlich zutreffend aufzuklären (ausführlich zu den dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten , BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).

13 Die Unrichtigkeit kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Belehrung zu wenige Informationen enthält. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es insofern allerdings nicht erforderlich, dass die Belehrung alle zur Berechnung der Klagefrist im Einzelfall erforderlichen Informationen enthält. Sie muss insbesondere keinen Hinweis darauf enthalten, wann der Bescheid zur Post gegeben worden ist (, BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155; in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455). Ausreichend ist vielmehr, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichtet (, BFH/NV 1987, 12; vom V R 19/85, BFH/NV 1992, 783; , BFH/NV 1996, 106, jeweils mit weiteren Nachweisen der höchstrichterlichen Rechtsprechung; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 55 Rz 18).

14 Die Unrichtigkeit kann sich aber zum andern auch daraus ergeben, dass die Belehrung Informationen enthält, die über den gesetzlich erforderlichen Mindestinhalt hinausgehen, sofern diese Informationen bei objektiver Betrachtung dazu geeignet sind, die Möglichkeit der Fristwahrung zu gefährden (vgl. , BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; vgl. auch , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 181, Die öffentliche Verwaltung 1981, 635; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 55 Rz 25, m.w.N.).

15 cc) Nach diesen Maßstäben war die Rechtsbehelfsbelehrung i.S. von § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO unrichtig.

16 Die Aussage „Der Tag der Aufgabe zur Post ist das Datum der Einspruchsentscheidung” ist sachlich unzutreffend und bei objektivem Verständnis geeignet, die Fristwahrung zu gefährden. Aufgabe zur Post bedeutet Einwerfen in einen Postbriefkasten oder Einlieferung (Übergabe) bei der Post (vgl. , BFH/NV 1997, 162). Das für die Anwendung von § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) maßgebliche Datum ist der Tag, an dem diese Handlungen vorgenommen worden sind. Demgegenüber erhält die Einspruchsentscheidung das Datum der abschließenden Zeichnung durch den dafür zuständigen Beamten. Das Datum der Einspruchsentscheidung und der Tag der Aufgabe zur Post können deshalb auseinander fallen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155; vom III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365; BFH-Beschlüsse vom XI B 176/01, BFH/NV 2002, 1280; in BFH/NV 2006, 1860). Die kategorische Behauptung, der Tag der Aufgabe zur Post sei mit dem Datum der Einspruchsentscheidung identisch, trifft deshalb nicht zu.

17 Die darin liegende Unrichtigkeit ist bei objektiver Betrachtung auch geeignet, die Fristwahrung zu gefährden. Steuerpflichtige, die mit den internen Abläufen der Finanzverwaltung nicht vertraut sind, müssen aufgrund der Aussage, auf deren Richtigkeit sie sich verlassen dürfen, davon ausgehen, dass entweder Abweichungen zwischen beiden Daten aufgrund organisatorischer Vorkehrungen der Finanzämter tatsächlich nicht vorkommen können oder rechtlich irrelevant sind. Beides ist indes nicht der Fall.

18 Dem steht nicht entgegen, dass eine einheitliche Bedeutung des Poststempels bei allen Unternehmen, die Briefe befördern, nicht mehr besteht. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze, wonach der Poststempel im Regelfall Auskunft darüber gibt, an welchem Tag ein Brief zur Post gegeben worden ist (vgl. , BFH/NV 1986, 226), zumindest für die Beförderung durch die Deutsche Post AG fort gelten. Zumindest bei der Beförderung durch die Deutsche Post AG kann der Steuerpflichtige, wenn der Tag der Aufgabe zur Post nicht dem Datum der Einspruchsentscheidung entspricht, unter Vorlage des Poststempels die zutreffende Berechnung der Frist auch prozessual durchsetzen (vgl. , BFH/NV 2003, 586). Dabei wird nicht verkannt, dass der Steuerpflichtige das vom FA angegebene Datum der Aufgabe zur Post substantiiert bestreiten muss, um die Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 AO zu entkräften und die Beweispflicht der Behörde auszulösen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 586). Eine Glaubhaftmachung durch Vorlage des Poststempels ist dafür jedoch nicht vorgeschrieben; Zweifel kann der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede erdenkliche Art wecken. Aber selbst wenn man mit dem FG davon ausginge, dass es dem Steuerpflichtigen im Regelfall zumindest dann nicht gelingen wird, das vom FA mitgeteilte Datum der Aufgabe zur Post in Zweifel zu ziehen, wenn der Stempel des Postdienstleisters —wie im Streitfall— nicht den Tag der Einlieferung bei der „Post” dokumentiert, sondern einen anderen Tag, rechtfertigt dies nicht, die Anforderungen an die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung zu vermindern. Die dann bestehende bloß faktische Unmöglichkeit, die dem Gesetz entsprechende Fristberechnung in der Praxis auch durchzusetzen, ist kein Grund, bei der Belehrung über die Berechnung der Frist unrichtige Angaben zu machen.

19 c) Auf dem Verfahrensfehler beruht das angefochtene Urteil (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Hätte das FG bei der Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung erkannt, so hätte es die Klage nicht wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abweisen dürfen. Zwar ist im Einzelnen streitig, wann die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden ist. Sie ist jedoch —unstreitig— keinesfalls vor dem bekannt gegeben worden. Mit der Klage vom ist die Frist gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO deshalb gewahrt.

20 3. Der Senat hält es für angemessen, von der Möglichkeit des § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch zu machen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 2080 Nr. 11
DStZ 2010 S. 780 Nr. 21
KAAAD-51321