Rechtsanwaltskosten: Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr für Antrag auf Zurückweisung der Berufung nach Begründung des Rechtsmittels
Leitsatz
Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft .
Gesetze: § 91 Abs 1 ZPO, § 522 Abs 2 ZPO, Nr 3200 RVG-VV
Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 3 W 114/08 Beschlussvorgehend LG Bamberg Az: 1 O 394/02 Beschlussvorgehend OLG Bamberg Az: 3 U 75/08 Beschluss
Gründe
I.
1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger für das Berufungsverfahren trotz Zurückweisungsbeschlusses des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO die Erstattung der vollen anwaltlichen Verfahrensgebühr verlangen kann.
2Das Landgericht hat der Klage durch Endurteil teilweise stattgegeben. Der Beklagte hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt und diese begründet. Die Berufungsbegründung wurde dem Kläger am mit dem Hinweis zugestellt, dass eine Frist zur Berufungserwiderung derzeit nicht gesetzt werde und das Berufungsgericht vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüfe. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom (erneut) die Zurückweisung der Berufung beantragt. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und hat - nachdem eine Stellungnahme des Beklagten nicht erfolgt war - mit Beschluss vom entsprechend entschieden.
3Die nach diesem Beschluss vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten des Berufungsverfahrens hat das Landgericht nicht, wie vom Kläger beantragt, auf 861,60 € (wegen Vorsteuerabzugsberechtigung berichtigt ohne Umsatzsteuer), sondern nur auf 598,60 € festgesetzt, weil es die Gebühren des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren nicht in Höhe einer 1,6 Verfahrensgebühr (Nr. 3200 RVG-VV), sondern nur in Höhe einer 1,1 Verfahrensgebühr (Nr. 3201 RVG-VV) für erstattungsfähig erachtet hat. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger weiterhin die Festsetzung der Kosten in der von ihm geltend gemachten Höhe.
II.
4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
51. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die durch den gestellten Antrag auf Zurückweisung der Berufung angefallene 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV sei nur in Höhe einer 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV erstattungsfähig, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Antrag sei unmittelbar nach Zustellung der Berufungsbegründung noch nicht erforderlich gewesen, denn das Berufungsgericht habe mit Zustellung der Berufungsbegründung darauf hingewiesen, dass es zunächst keine Frist zur Berufungserwiderung setzen werde, da vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO geprüft werde. Deshalb seien Kosten auslösende Sachanträge vor Abschluss dieser Prüfung nicht sachdienlich gewesen.
62. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft.
7a) Durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV eine nach dem Gegenstandswert von 10.951,95 € zu berechnende 1,6-fache Verfahrensgebühr in Höhe von 841,60 € entstanden. Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entsteht nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 RVG-VV für das Betreiben des Geschäfts. Zum Betreiben des Geschäfts zählt das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht. Der Regelung der Nr. 3201 Satz 1 Nr. 1 RVG ist zudem zu entnehmen, dass allein die Stellung der Sachanträge die volle Verfahrensgebühr auslöst, auch wenn der Schriftsatz keinen Sachvortrag zur Begründung der Anträge enthält.
8b) Der Senat hat bereits entschieden, dass der nach Eingang der Berufungsbegründung gestellte Antrag auf Zurückweisung der Berufung nicht deshalb als eine nicht zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden kann, weil eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO noch nicht ergangen ist (, NJW 2004, 73). Er hat dabei darauf hingewiesen, dass der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran hat, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht möglicherweise beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Eine Förderung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Abweisungsantrag nicht begründet wird und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Berufungsbegründung nicht erfolgt (, NJW-RR 2009, 859). Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts spielt es keine Rolle, ob das Berufungsgericht dem Berufungsgegner eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt oder eine solche im Hinblick auf die bevorstehende Prüfung eines Vorgehens des Gerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgestellt hat. Die dieser Verfügung zugrunde liegende Vorstellung des Gerichts, es könne auch ohne eine Stellungnahme des Berufungsbeklagten über eine Zurückweisung der Berufung entscheiden, führt nicht dazu, dass das Interesse des Berufungsbeklagten an einer Mitwirkung im Verfahren entfällt. Im kontradiktorischen Verfahren gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, dem Berufungsbeklagten die Gelegenheit zu geben, auf eine etwaige Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch die Stellung eines Sachantrags und gegebenenfalls eine diesen Antrag unterstützende Begründung Einfluss zu nehmen.
9c) Aus der vom Beschwerdegericht zitierten Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz vom (BT-Drucks. 14/4722 S. 98) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die dort zur Begründung des neuen § 522 Abs. 2 ZPO allgemein angesprochene Möglichkeit der kostengünstigen Berufungsrücknahme auf den Hinweis des Gerichts zielt ersichtlich auf die Ersparnis noch nicht entstandener Gebühren durch die mündliche Verhandlung und die Urteilsgebühren ab, ohne dies näher auszuführen. Die Möglichkeit der Rücknahme des Rechtsmittels und damit die Einsparung weiterer Kosten stehen dem Berufungsführer tatsächlich uneingeschränkt offen. Berechtigte Interessen des Berufungsgegners und sein Verfahrensgrundrecht auf Gewährung des Anspruchs auf rechtliches Gehör werden dadurch jedoch nicht eingeschränkt.
III.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Kniffka Bauner Eick
Halfmeier Leupertz
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 3170 Nr. 43
DAAAD-49178