BAG Urteil v. - 10 AZR 346/09

Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Zuwendung nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 4 Buchst c ZuwAngTVtr - Stellung eines Rentenantrags nicht erforderlich

Gesetze: § 1 Abs 2 S 1 Nr 4 Buchst c ZuwAngTVtr, § 237a SGB 6

Instanzenzug: Az: 58 Ca 9821/08 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 15 Sa 51/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung einer anteiligen Zuwendung für das Jahr 2007.

2Die am geborene Klägerin war bei dem beklagten Land als Lehrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden der BundesAngestelltentarifvertrag(BAT) und der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV-Zuwendung) Anwendung.

3Die Klägerin erfüllte zum die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente für Frauen gem. § 237a SGB VI. Nachdem ihr dies von der Deutschen Rentenversicherung Bund mitgeteilt worden war, „beantragte“ sie mit Schreiben vom die „Auflösung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen zum “.Am erklärte das beklagte Land sein Einverständnis und übersandte einen Auflösungsvertrag zum , den die Klägerin unterzeichnete. In dem Anschreiben heißt es, dass der Klägerin für 2007 gem. § 1 Abs. 2 des Tarifvertrags über eine Zuwendung eine anteilige Zuwendung in Höhe von 10/12 zustehe.

4Einen Rentenantrag stellte die Klägerin im Folgenden nicht.

§ 1 TV-Zuwendung hat folgenden Wortlaut:

6Die Klägerin forderte das beklagte Land erfolglos auf, ihr eine anteilige Zuwendung zu zahlen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie erfülle die Voraussetzungen gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung. Jedenfalls hafte das beklagte Land aus der Zusicherung im Schreiben vom .

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

8Das beklagte Land hat Abweisung der Klage beantragt und die Ansicht vertreten, die Klägerin hätte noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Rentenantrag stellen müssen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt das beklagte Land weiterhin Klageabweisung.

Gründe

10Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

11I. Der Klägerin steht gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung ein Anspruch auf eine anteilige Zuwendung für das Jahr 2007 zu.

121. Bei der Zuwendung gemäß § 1 TV-Zuwendung handelt es sich um eine Sonderzuwendung mit Mischcharakter. Durch sie soll nicht nur die erbrachte Arbeitsleistung vergütet, sondern darüber hinaus auch die Betriebstreue honoriert werden( - zu II 2 c bb der Gründe, BAGE 92, 218). Im Regelfall besteht der Anspruch nur unter den Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 TV-Zuwendung. Hierfür ist insbesondere erforderlich, dass am 1. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres (noch) ein Arbeitsverhältnis besteht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 TV-Zuwendung). Wenn das Arbeitsverhältnis bereits zuvor beendet wird, besteht der Anspruch auf eine (anteilige) Zuwendung nur unter den Voraussetzungen eines der Tatbestände gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 TV-Zuwendung. Insofern handelt es sich um eine eigenständige, von Abs. 1 unabhängige Regelung, was durch § 1 Abs. 2 Unterabs. 3 TV-Zuwendung nochmals klargestellt wird. Die enumerativ aufgezählten Ausnahmetatbestände sind abschließend (vgl. Müll in Ramdohr Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst Stand Januar 2007 § 1 TV-Zuwendung Rn. 19; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2006 § 1 TV-Zuwendung Erl. 9; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand März 2010 § 1 TV-Zuwendung Erl. 3; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand August 2006 § 1 TV-Zuwendung Rn. 41; vgl. zur ähnlich gelagerten Regelung zum Übergangsgeld in § 62 Abs. 3 BAT:  - AP BAT § 62 Nr. 1).

132. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung haben weibliche Angestellte einen Anspruch auf die anteilige Zuwendung, wenn ihr Arbeitsverhältnis spätestens mit Ablauf des 30. November endet, sie seit Beginn des Kalenderjahres in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis standen und wenn sie „wegen Erfüllung der Voraussetzungen zum Bezuge der Altersrente nach § 237a SGB VI“ gekündigt oder einen Auflösungsvertrag geschlossen haben.

14Dies ist der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Auflösungsvertrags oder des Ausspruchs der Kündigung die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zum Bezug der Altersrente nach § 237a SGB VI bezogen auf den Beendigungszeitpunkt vorlagen. Im Hinblick darauf muss die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt sein. Es bedarf hingegen weder der Stellung eines Rentenantrags während des laufenden Arbeitsverhältnisses noch des tatsächlichen Rentenbezugs.

15a) Die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente für Frauen ergeben sich aus § 237a SGB VI. Danach haben versicherte Frauen einen Anspruch auf Altersrente, wenn sie vor dem geboren sind, das 60. Lebensjahr vollendet haben, nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Hierbei handelt es sich um die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Rente.

16Der Rentenantrag stellt dagegen lediglich eine formelle Anspruchsvoraussetzung für den tatsächlichen Bezug einer Altersrente dar(vgl. Hauck/Haines SGB VI Stand Februar 2010 K § 99 Rn. 4). Leistungen der Rentenversicherung werden gemäß § 19 Satz 1 SGB IV, § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI grundsätzlich nur auf Antrag erbracht. Gem. § 99 Abs. 1 SGB VI bestimmt der Zeitpunkt der Antragstellung darüber hinaus den Rentenbeginn. Danach wird die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn diese bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wurde, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Bei späterer Antragstellung wird die Rente erst von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI), ohne dass sich deswegen die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente verändern.

17§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung stellt nach seinem Wortlaut ausschließlich auf die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente für Frauen(§ 237a SGB VI) ab. Die Rentenantragstellung oder der Rentenbezug werden nicht als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung erwähnt. Dieses Erfordernis ergibt sich auch nicht aus der Systematik der Norm oder aus dem Zusammenhang mit den rentenrechtlichen Regelungen.

18§ 1 Abs. 2 TV-Zuwendung erwähnt an keiner Stelle ausdrücklich die Notwendigkeit einer Rentenantragstellung oder des Rentenbezugs. Indirekt ergibt sich das Erfordernis eines Rentenantrags allerdings bei zwei Fallgestaltungen: Der in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b TV-Zuwendung in Bezug genommene Beendigungstatbestand gem. § 59 Abs. 1 BAT setzt den Bescheid eines Rentenversicherungsträgers und damit eine vorhergehende Antragstellung voraus. Dementsprechend trifft § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT Regelungen für den Fall einer schuldhaften Verzögerung der Antragstellung. Ebenso setzt § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c 2. Alt. TV-Zuwendung die Stellung eines Rentenantrags voraus, da § 9 Abs. 2 Buchst. b TV ATZ nur im Fall des tatsächlichen Bezugs einer Rentenleistung einschlägig ist. In allen anderen Fällen ergeben sich hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien auf Antragstellung oder Rentenbezug abstellen.

19Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung auf die Voraussetzungen „zum Bezuge“ einer Altersrente abstellt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird durch eine solche Formulierung lediglich das Bestehen der Möglichkeit und somit das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Rente gefordert. Hätten die Tarifvertragsparteien auf den Rentenantrag oder den Rentenbezug abstellen wollen, so hätte dies - wie in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b und Nr. 1c 2. Alt. TV-Zuwendung - im Tarifvertrag direkt oder über in Bezug genommene Normen seinen Ausdruck finden müssen.

20b) § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 TV-Zuwendung verlangt des Weiteren einen ursächlichen Zusammenhang(„wegen“) zwischen dem Ausscheiden und einem der dort genannten Gründe.

21aa) In zeitlicher Hinsicht liegt im Fall des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung ein solcher Zusammenhang vor, wenn zum gewählten Beendigungstermin die materiell-rechtlichen Rentenbezugsvoraussetzungen gem. § 237a SGB VI vorliegen.

22bb) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss zudem im Hinblick auf einen von den Tarifvertragsparteien privilegierten Grund erfolgen.

23(1) § 1 Abs. 2 Satz 1 TV-Zuwendung normiert bestimmte Beendigungsgründe, bei deren Vorliegen die Angestellten einen Anspruch auf eine (anteilige) Zuwendung haben, obwohl sie die Anforderungen an die Betriebstreue gem. § 1 Abs. 1 TV-Zuwendung nicht erfüllen. Die Tarifvertragsparteien privilegieren damit das Ausscheiden in bestimmten Fällen und lassen die Anforderungen an die Betriebstreue dahinter zurücktreten. Die Fallgestaltungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 TV-Zuwendung sind dabei ebenso vielfältig wie die sich darin ausdrückenden Motive der Tarifvertragsparteien. Die Fälle betreffen das Ausscheiden kraft tariflicher Bestimmungen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 TV-Zuwendung), wegen eines Wechsels innerhalb des öffentlichen Dienstes (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TV-Zuwendung) oder aus Gründen in der Sphäre des Arbeitgebers (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a TV-Zuwendung). Ebenso ist das vorzeitige Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Behinderung geregelt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b - d 2. Alt. TV-Zuwendung). Hinzu kommen die Fälle des Ausscheidens wegen Schwangerschaft oder Niederkunft (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4a und b TV-Zuwendung) und wegen Erfüllung der Voraussetzungen für vorzeitigen Rentenbezug für Frauen, langjährig Versicherte und schwer-behinderte Menschen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3d, 4c TV-Zuwendung).

24Der Zweck der Regelungen in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 TV-Zuwendung ist dabei hinsichtlich der Buchstaben a und b sowohl in dem Ausgleich der durch Schwangerschaft und Niederkunft entstehenden besonderen Belastungen als auch in einem Anreiz zur Aufgabe des Berufs gesehen worden( - zu A III 2 der Gründe, BAGE 40, 237). Jedenfalls soll angesichts der besonderen Belastungen nicht auch noch die Zuwendung verloren gehen, wenn die Arbeitnehmerin sich zu einem Ausscheiden entschließt. Durch § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4c TV-Zuwendung soll hingegen der Übergang in die Lebensverhältnisse eines Rentners, der typischerweise zu einer Einkommensminderung führt, erleichtert werden (vgl. zum Übergangsgeld:  - BAGE 42, 212, 215; - 3 AZR 748/79 - zu II 1 der Gründe; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand März 2010 Vorbem. Abschnitt XIII BAT).

25(2) Kündigt eine Beschäftigte bei Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 TV-Zuwendung das Arbeitsverhältnis oder schließt sie einen Auflösungsvertrag, kann typischerweise davon ausgegangen werden, dass das Ausscheiden im Hinblick auf das Vorliegen des privilegierten Tatbestands erfolgt. Dessen Bestehen wird der Beschäftigten regelmäßig bekannt sein und ihre Willensbildung im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beeinflussen. Darauf, ob es sich um das alleinige Motiv handelt, kommt es nicht an. Das Erfordernis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Vorliegen der materiell-rechtlichen Rentenbezugsvoraussetzungen und dem Ausscheiden verlangt entgegen der Auffassung der Revision nicht die Stellung eines Rentenantrags oder den tatsächlichen Rentenbezug. Aus deren Fehlen lässt sich auch kein Indiz dafür ableiten, dass das Ausscheiden allein aus anderen Motiven erfolgt sei.

263. Danach steht der Klägerin ein Anspruch auf eine anteilige Zuwendung von 10/12 für das Jahr 2007 in Höhe von 1.380,37 Euro brutto zu.

27Die Klägerin erfüllte zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens am die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Altersrente für Frauen gem. § 237a SGB VI. Im Hinblick hierauf ist der Auflösungsvertrag nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts geschlossen worden. Die Klägerin hat den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach entsprechender Information durch die Deutsche Rentenversicherung Bund gestellt.

28Die Höhe des anteiligen Anspruchs ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

294. Die Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klägerin wegen der Teilklagerücknahme die Kosten erster Instanz anteilig zu tragen hat(entsprechend § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

II. Das beklagte Land hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Fundstelle(n):
FAAAD-48444