Rentenversicherungspflichtigkeit von tarifvertraglich gewährtem Übergangsgeld - Störung der Geschäftsgrundlage - Verletzung von Aufklärungspflichten
Gesetze: § 1 TVG, § 313 Abs 1 BGB, § 313 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 311 Abs 2 BGB, § 133 BGB, § 157 BGB, § 3 S 1 Nr 4 SGB 6
Instanzenzug: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven Az: 8 Ca 8023/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Bremen Az: 2 Sa 196/07 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger während des künftigen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung die Differenz zwischen der dann tatsächlich gezahlten und der zu erzielenden Altersrente bei Fortentrichtung der Arbeitgeberbeiträge für die Zeit der Übergangsversorgung vom bis zum zu zahlen. Hilfsweise begehrt der Kläger die Auszahlung fiktiver Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung für die Dauer der Übergangsversorgung.
2Die Beklagte ist ein aus der ehemaligen B(im Folgenden: BFS) hervorgegangenes privates Flugsicherungsunternehmen. Sie nimmt die operativen Flugsicherungsaufgaben für den gesamten deutschen Luftraum wahr.
3Der am geborene Kläger war seit dem als beamteter Fluglotse für die BFS und seit dem als angestellter Fluglotse für die Beklagte tätig. Vom bis zum wurde er von der Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt.
In dem am geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es ua. wie folgt:
In dem Tarifvertrag über die Versorgung für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom (im Folgenden: VersTV) heißt es auszugsweise:
Der Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der Beklagten beschäftigen Fluglotsen vom (im Folgenden: Ü-VersTV-Lotsen) enthält ua. folgende Bestimmungen:
7In einem Entwurf des § 4 Ü-VersTV-Lotsen war eine Passage enthalten, wonach die betreffenden Arbeitnehmer vollständig aus dem Erwerbsleben ausscheiden sollten bzw. mussten. Diese Bestimmung war auf Betreiben der Gewerkschaftsseite gestrichen geworden.
Nachdem der Kläger im Mai 2004 den Eintritt in die Übergangsversorgung zum beantragt hatte, übersandte die Beklagte ihm mit Schreiben vom einen „Vertrag zur Übergangsversorgung“, in welchem es auszugsweise heißt:
Als eine Reaktion des Klägers hierauf ausblieb, teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom Folgendes mit:
10Der Kläger entgegnete hierauf mit Schreiben vom , die Vermutung, er werde aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sei unzutreffend. Den Vertrag zur Übergangsversorgung hat der Kläger letztlich nicht unterzeichnet.
11Seit dem bezieht der Kläger Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen. Auf dieses wurden zunächst Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Barmer Ersatzkasse(im Folgenden: BEK) als zuständige Beitragseinzugsstelle abgeführt. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom erneut den Standpunkt vertreten hatte, der Ü-VersTV-Lotsen gehe von einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben aus, bat der Kläger die BEK mit Schreiben vom um eine sozialversicherungsrechtliche Bewertung seiner Übergangsversorgung. Dabei wies er unter Beifügung des Ü-VersTV-Lotsen darauf hin, dass dieser aus seiner Sicht kein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorsehe und lediglich die Auflage bestehe, sich nicht arbeitslos zu melden.
12Mit inzwischen bestandskräftig gewordenem Bescheid vom stellte die BEK fest, dass die dem Kläger gewährte Übergangsversorgung keine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI begründe und die bereits abgeführten Beiträge ggf. zu erstatten seien. Auf - von der Beklagten vorbereiteten - Antrag des Klägers hin wurden die an die BEK abgeführten Beiträge - entgegen der Möglichkeit des § 202 SGB VI - anteilig an die Parteien zurückerstattet. Die „fiktiven Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung“ werden seither von der Beklagten an den Kläger ausgezahlt. An drei ehemalige Fluglotsen, die die Beklagte während deren Übergangsversorgung in der Akademie für Flugsicherung beschäftigte, zahlte diese auch fiktive Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.
13Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte müsse im Wege der Vertragsanpassung bzw. des Schadensersatzes Ausgleich dafür leisten, dass seine Übergangsversorgung nicht rentenversicherungspflichtig sei. Sie sei zu einer „Ersatzlösung“ verpflichtet, da das zur Erreichung einer der Beamtenversorgung gleichwertigen Altersversorgung angestrebte Ziel, einerseits das Übergangsgeld der Rentenversicherungspflicht zu unterstellen, andererseits den ausgeschiedenen Arbeitnehmern einen unbeschränkten Zusatzverdienst zu ermöglichen, rechtlich nicht umsetzbar sei. Eine „Ersatzlösung“ sei der Beklagten auch zumutbar; ihr entstehe hierdurch kein Mehraufwand. Die Beklagte habe aufgrund des - 7 RAr 46/92 - BSGE 71, 265) sowie der Besprechung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger am 16./ gewusst, dass die Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes eine Vereinbarung über das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben erfordere. Demgegenüber habe er davon ausgehen dürfen, dass das Übergangsgeld ohne Weiteres und in jedem Fall rentenversicherungspflichtig sei. Deshalb habe die Beklagte der Streichung der Klausel „Ausscheiden aus dem Erwerbsleben“ aus dem Entwurf des § 4 Ü-VersTV-Lotsen nicht zustimmen dürfen, ohne ihn entsprechend aufzuklären. Nach alledem habe die Beklagte entweder eine vorsätzlich falsche Zusicherung gegeben oder zumindest ihre Sorgfaltspflichten verletzt. Hätte sie ihn darüber aufgeklärt, dass die Ziele einer Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes und einer unbeschränkten Zusatzverdienstmöglichkeit nicht gleichzeitig zu verwirklichen seien, wäre er nicht aus dem Beamten- in ein Arbeitsverhältnis übergetreten.
Der Kläger hat beantragt,
15Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, die Verpflichtung zum endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als Vorbedingung für die Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes sei nicht Tarifrecht geworden und aus dem Entwurf des Ü-VersTV-Lotsen gestrichen worden, da die Gewerkschaftsseite den Eindruck eines umfassenden Tätigkeitsverbots habe vermeiden wollen. Allerdings seien die Tarifvertragsparteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die betreffenden Arbeitnehmer grundsätzlich aus dem Erwerbsleben ausscheiden und dass dies durch die Fassung des Ü-VersTV-Lotsen hinreichend klargestellt sei. Es treffe auch nicht zu, dass das Übergangsgeld generell nicht rentenversicherungspflichtig sei. Im Übrigen habe der Kläger, da er den vorgeschlagenen Vertrag nicht unterzeichnet habe, die zu erwartende Differenz im Altersrentenbezug selbst zu verantworten. Auch habe er den Wegfall der Beitragspflicht durch seine Anfrage bei der BEK selbst herbeigeführt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ein Schaden, wie der Kläger ihn mit dem Hauptantrag geltend mache, überhaupt nicht eintreten könne; zumindest müsse er sich die aus der Sozialversicherungsfreiheit folgenden Vorteile anrechnen lassen; auch treffe ihn eine Schadensminderungspflicht. Soweit er auf die Aufgabe seines Beamtenstatus abstelle, habe er die dadurch aus seiner Sicht entstehenden Nachteile nicht dargelegt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
17Die Revision ist unbegründet.
18A. Die Klage ist mit dem Hauptantrag zwar zulässig, aber unbegründet.
19I. Der Hauptantrag erfüllt die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO.
201. Bei der etwaigen Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger während des künftigen Bezugs einer gesetzlichen Altersrente die Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten und derjenigen Altersrente zu zahlen, die sich ergeben würde, wenn auf das Übergangsgeld Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung abgeführt worden wären, handelt es sich um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.
212. Auch wenn derzeit noch ungewiss ist, ob der Kläger den Beginn seiner Altersrente erleben wird, hat er - zur Schließung etwaiger Versorgungslücken - bereits jetzt ein Interesse an der begehrten Feststellung. Selbst die Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung nach den §§ 257 ff. ZPO beseitigt das Feststellungsinteresse nicht. Insoweit steht dem Kläger ein Wahlrecht zu(vgl. nur - zu A der Gründe mwN, AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 3).
22II. Der Hauptantrag ist jedoch unbegründet. Der Kläger kann die begehrte Feststellung nicht verlangen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihn während des künftigen Bezugs einer gesetzlichen Altersrente durch weitere Zahlungen so zu stellen, als seien auf das Übergangsgeld Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung abgeführt worden.
231. Ein Anspruch folgt nicht aus dem VersTV, der nach § 5 des Arbeitsvertrages auf das Rechtsverhältnis der Parteien zur Anwendung kommt.
24a) Der VersTV sieht die vom Kläger begehrte Leistung nicht ausdrücklich vor.
25b) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht in ergänzender Auslegung des VersTV.
26Es liegt schon keine unbewusste Tariflücke vor, die es erlauben würde, sie aus einem eindeutig feststellbaren Sinn und Zweck des Tarifvertrages heraus zu schließen. Vielmehr regelt der VersTV die Beitragspflicht bewusst nicht. Die Gerichte sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu „schaffen“ oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei dadurch zu belohnen, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie(vgl. - Rn. 19 und 20, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 215).
27Der VersTV regelt die betriebliche Altersversorgung, nach seinem § 3 bestehend aus dem Altersruhegeld, dem vorzeitigen Altersruhegeld, der Dienstunfähigkeitsrente, dem Witwen-/Witwergeld und dem Waisengeld. Die Höhe der Leistungen richtet sich nach dem ruhegeldfähigen Jahreseinkommen(§ 4) und der anrechenbaren Beschäftigungszeit (§ 5). Nach diesen Bestimmungen spielt die Höhe der gesetzlichen Rente für die Höhe der betrieblichen Altersversorgung keine Rolle. Auch die in § 17 getroffene Härtefallregelung bezieht Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht unmittelbar ein, sondern erfordert einen Vergleich zwischen der Altersversorgung aus der VBL bzw. nach dem Beamtenversorgungsgesetz und den Leistungen aus dem VersTV. Nichts anderes gilt nach der im „Anhang 1“ für diejenigen Mitarbeiter getroffenen Regelung, die am das 55. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Hier spielt die Höhe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (zusammen mit den Leistungen nach dem Tarifvertrag) nur als Rechenposten im Rahmen einer Vergleichsrechnung zur Wahrung des Besitzstandes eine Rolle.
28Demgegenüber geht es beim vom Kläger geltend gemachten Anspruch um den Ausgleich der Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der zu erzielenden Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei Fortzahlung der Arbeitgeberbeiträge für die Zeit der Übergangsversorgung. Damit steht das klägerische Begehren in unmittelbarem Zusammenhang mit der Übergangsversorgung und dort allein mit der Frage, ob und inwieweit das Übergangsgeld der Beitragspflicht(auch) zur Rentenversicherung unterliegt. Diese Komplexe haben die Tarifvertragsparteien nicht im VersTV geregelt und auch nicht regeln wollen; hiermit haben sie sich vielmehr im Ü-VersTV-Lotsen befasst.
292. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus dem Ü-VersTV-Lotsen, der aufgrund § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages als den Manteltarifvertrag ergänzender Tarifvertrag Anwendung findet.
30a) Auch der Ü-VersTV-Lotsen sieht die vom Kläger begehrte Leistung nicht ausdrücklich vor.
31b) Eine ergänzende Auslegung des Ü-VersTV-Lotsen scheitert ebenfalls daran, dass die Tarifvertragsparteien des Ü-VersTV-Lotsen die Frage einer etwaigen Beitragspflicht des Übergangsgeldes zur Rentenversicherung nicht verbindlich regeln wollten. § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen enthält nur einen rechtlich unverbindlichen Hinweis auf die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Zahlung des Übergangsgeldes aus Sicht der Tarifvertragsparteien. Dies folgt aus einer Auslegung des Ü-VersTV-Lotsen.
32aa) Zwar heißt es in § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen: „Das Übergangsgeld unterliegt der Beitragspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Besteuerung“. Diese Bestimmung ist allerdings nicht so zu verstehen, dass hiermit die Verpflichtung begründet bzw. die Zusage erteilt werden sollte, das Übergangsgeld der Beitragspflicht zur Rentenversicherung zu unterwerfen. Vielmehr enthält § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen lediglich einen rechtlich unverbindlichen Hinweis auf die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Zahlung des Übergangsgeldes aus Sicht der Tarifvertragsparteien. Auf die Richtigkeit und Beständigkeit der von den Tarifvertragsparteien angenommenen Rechtslage können sich die Tarifunterworfenen nicht verlassen.
33bb) Die Tarifvertragsparteien können über die Sozialversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes nicht disponieren. Die Frage, ob eine Leistung der Beitragspflicht auch zur Rentenversicherung unterliegt, richtet sich allein nach den insoweit einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Dass hiervon auch die Tarifvertragsparteien ausgegangen sind, wird durch die Formulierung der Bestimmung bestätigt. Mit der Verwendung des Begriffs „unterliegt“ haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass sie sich innerhalb des(sozialversicherungs-)gesetzlichen Rahmens bewegen und keine von den sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen unabhängigen Ansprüche der Arbeitnehmer begründen wollten. § 6 Abs. 2 Satz 1 Ü-VersTV-Lotsen ist, anders als § 6 Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen, gerade nicht als Anspruchsgrundlage ausgestaltet. Diesem Verständnis steht auch nicht Satz 2 des § 6 Abs. 2 Ü-VersTV-Lotsen entgegen. Diese Regelung enthält nur eine Bestimmung über das Verfahren für den Fall, dass eine Beitragspflicht besteht. Sie setzt die Beitragspflicht voraus, begründet sie aber nicht.
34cc) Dass die Tarifvertragsparteien den Willen zu einer „übergesetzlichen Regelung“ hatten, lässt sich nicht aus der Streichung der noch im Entwurf des § 4 Ü-VersTV-Lotsen vorgesehenen Regelung ableiten, wonach die Arbeitnehmer ihre Erwerbstätigkeit insgesamt beenden sollten/mussten. Auf eine vom Kläger insoweit vermisste Beweisaufnahme kommt es deshalb nicht an.
35Auf die Entstehungsgeschichte eines Tarifvertrages kann zum einen nur dann zurückgegriffen werden, wenn bei der Auslegung einer Tarifnorm nach Wortlaut, Wortsinn und tariflichem Gesamtzusammenhang Zweifel an deren Inhalt und dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien bestehen( - Rn. 29), was hier nicht der Fall ist. Zum anderen müsste der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer Zusage unabhängig von der Gesetzeslage in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden haben (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 16, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 43). Hierfür genügt die Streichung der Klausel „Ausscheiden aus dem Erwerbsleben“ nicht.
36Im Übrigen lässt sich aus der Streichung der im ursprünglichen Entwurf vorgesehenen Regelung nicht auf einen eindeutigen Willen der Tarifvertragsparteien schließen, den Übergangsversorgten eine höhere gesetzliche Rente zu verschaffen. Die Streichung der in Rede stehenden Passage steht ohne Weiteres mit dem Vortrag in Einklang, dass allein der Anschein eines umfassenden Tätigkeitsverbotes vermieden werden sollte. Ebenso gut lässt sie sich schließlich dahin verstehen, dass nicht der Anschein erweckt werden sollte, die Tarifvertragsparteien hätten das Ausscheiden aus jeder Erwerbstätigkeit zur Voraussetzung für den Anspruch auf die Zahlung des Übergangsgeldes selbst machen wollen.
373. Da die Beklagte dem Kläger durch die Bezugnahme auf den Ü-VersTV-Lotsen keine Versicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes und damit nicht die Abführung von Beiträgen an die Sozialversicherung zugesagt hatte, rechtfertigt sich die vom Kläger begehrte Leistung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit nach § 307 BGB in der Fassung vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bzw. nach § 311a BGB in der seither geltenden Fassung.
384. Die Klage mit dem Hauptantrag ist nicht unter dem Gesichtspunkt der Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage(nunmehr: § 313 BGB) begründet.
39a) Als Vertrag, dessen Anpassung der Kläger überhaupt verlangen könnte, kommt allein der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag in Betracht. Aus einer möglichen Störung der Geschäftsgrundlage des Ü-VersTV-Lotsen wegen einer etwaigen Fehlvorstellung der Tarifvertragsparteien über die sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Übergangsgeldes kann der Kläger bereits deshalb nichts zu seinen Gunsten ableiten, weil es in derartigen Fällen den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleibt, den Tarifvertrag an die veränderten Verhältnisse anzupassen(vgl. - zu I 4 der Gründe mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 28 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 6). Dies gilt nicht nur dann, wenn der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, sondern auch dann, wenn - wie hier - im Arbeitsvertrag auf die jeweils gültigen tariflichen Regelungen verwiesen wird.
40b) Nach § 313 Abs. 1 BGB kann Anpassung des Vertrages nur dann verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Zudem ist erforderlich, dass einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nach § 313 Abs. 2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen der Parteien, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen.
41c) Das - B 12 R 10/07 R - Breith 2009, 631) für den hier in Rede stehenden Ü-VersTV-Lotsen vom entschieden, dass die Übergangsversorgung nur dann der Beitragspflicht zur Rentenversicherung unterliegt, wenn die Parteien zuvor das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als Grundlage für den Abschluss der zu ihrem Bezug führenden Vereinbarung vorausgesetzt haben. Nur das vereinbarte endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben nach Beendigung der Beschäftigung ergebe das besondere, die Versicherungspflicht begründende Schutzbedürfnis, dem durch die Fiktion des Fortbestehens der Beschäftigung bzw. nunmehr durch einen besonderen Versicherungspflichttatbestand Rechnung getragen werde. Mit dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht in Auslegung des § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI allerdings nur die Rechtslage bindend festgestellt, die bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages galt. Eine Veränderung der Umstände ist nicht eingetreten. Danach kommt die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
42d) Ein Anspruch auf Anpassung der arbeitsvertraglichen Regelungen iSd. klägerischen Begehrens kann sich deshalb allenfalls dann ergeben, wenn die Geschäftsgrundlage von Anfang an gefehlt hat, weil sich beide Parteien hinsichtlich einer wesentlichen Voraussetzung des Geschäfts geirrt haben. Auf diese Störungsfälle finden die Grundsätze über das Fehlen der Geschäftsgrundlage(nunmehr: § 313 Abs. 2 BGB) Anwendung.
43aa) Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren, von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut(vgl. - zu II 1 a der Gründe mwN, WM 2006, 828).
44bb) Auch wenn beide Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages von einer uneingeschränkten Beitragspflicht des Übergangsgeldes ausgegangen sind, lässt sich nicht feststellen, dass diese Vorstellungen Geschäftsgrundlage geworden sind. Zugunsten des Klägers kann angenommen werden, dass er den Arbeitsvertrag so nicht geschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Übergangsgeld nur dann der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegt, wenn sich die Parteien vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf ein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben einigen; allerdings gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Frage der Beitragspflicht des Übergangsgeldes ein für die Willensbildung der Beklagten beim Abschluss des Arbeitsvertrages wesentlicher Umstand war.
45(1) Die Beklagte hatte den Ü-VersTV-Lotsen im Arbeitsvertrag in Bezug genommen. Dieser enthält in § 6 Abs. 2 Satz 1 lediglich den rechtlich unverbindlichen Hinweis, dass das Übergangsgeld der Beitragspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Besteuerung unterliegt. Dieser Hinweis war auch für all die Fälle korrekt, in denen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Vereinbarung über das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben getroffen wurde. Im Übrigen ging der erkennbare Wille der Beklagten bei Vertragsschluss dahin, durch die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel den Ü-VersTV-Lotsen selbst zum Vertragsinhalt zu machen. Was Vertragsinhalt ist, kann jedoch nicht Geschäftsgrundlage sein(vgl. - zu 1 der Gründe, ZIP 1991, 1599).
46(2) Damit verblieb es bei der einseitigen Erwartung des Klägers, der im Tarifvertrag enthaltene Hinweis auf die sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Übergangsgeldes werde in jedem Fall - auch im Falle des Fehlens einer Vereinbarung über ein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - zutreffend sein und umgesetzt werden. Diese einseitige Erwartung, sofern sie für seine Willensbildung überhaupt maßgeblich war, würde allerdings nur dann zur Geschäftsgrundlage gehören, wenn sie in den dem Vertrag zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen worden wäre(vgl. - zu I 2 der Gründe, NJW-RR 1989, 752). Dazu genügt es nicht, dass die Partei ihre Erwartungen der anderen Partei bei den Vertragsverhandlungen mitgeteilt hat (vgl. - zu 3 b der Gründe, NJW-RR 1993, 773). Hinzukommen muss, dass das Verhalten des anderen Teils nicht nur als bloße Kenntnisnahme, sondern nach Treu und Glauben als Einverständnis und Aufnahme der Erwartung in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens zu werten ist. Hier fehlt es schon an jeglichem Vorbringen des Klägers dazu, dass seine Erwartungen der Beklagten bei Abschluss des Arbeitsvertrages überhaupt erkennbar geworden sind.
47cc) Ebenso wenig war der Umfang der Versicherungspflicht Geschäftsgrundlage des einvernehmlichen Wechsels des Klägers in die Übergangsversorgung. Zu diesem Zeitpunkt bestanden zwischen den Parteien bereits unterschiedliche Vorstellungen über die Folgen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
485. Die Beklagte haftet dem Kläger nicht wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs- oder Informationspflichten nach den Regeln des Verschuldens bei Vertragsschluss(jetzt § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB). Die Beklagte traf zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages keine Aufklärungspflicht darüber, dass ein Übergangsgeld nur dann der Versicherungspflicht unterliegt, wenn als Grundlage für seine Zahlung das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben vereinbart wurde.
49a) Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers sind zu beachten. Wie groß das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ist, hängt insbesondere von der Schwierigkeit der Rechtsmaterie sowie dem Ausmaß der drohenden Nachteile und deren Voraussehbarkeit ab(vgl. - Rn. 27 ff., AP BetrAVG § 1 Auskunft Nr. 7). Danach darf der Arbeitgeber bei Vertragsverhandlungen zwar nichts verschweigen, was die vollständige Vertragsdurchführung in Frage stellen kann und was ihm bekannt ist oder bekannt sein müsste. Er muss jedoch, da er im Allgemeinen nicht ohne das Vorliegen besonderer Umstände von einem Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ausgehen muss, nicht auf sämtliche für den Zweck des Arbeitsverhältnisses bedeutsamen Umstände, sondern nur auf besonders atypische Risiken für den Arbeitnehmer hinweisen (vgl. - Rn. 31 ff., AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 7).
50b) Vorliegend kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die Beklagte die Entscheidung des - 7 RAr 46/92 - BSGE 71, 265) kannte und um deren Bedeutung auch für die Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes wusste oder zumindest wissen musste. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger für den Wechsel in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten seinen Beamtenstatus und die damit ua. verbundene Übergangs- und Alterssicherung aufgegeben hat. Die Beklagte musste demnach erkennen, dass die beamteten Fluglotsen keine (wesentlichen) Verschlechterungen ihrer Altersversorgung in Kauf nehmen wollten und dass dafür auch die Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes eine bedeutsame Rolle spielte.
51Auf der anderen Seite hatte die Entscheidung des - 7 RAr 46/92 - BSGE 71, 265) das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs wegen Bezuges von Vorruhestandsgeld nach Maßgabe des § 118b AFG zum Gegenstand; nur in diesem Zusammenhang hatte das Bundessozialgericht ausgeführt, das Vorruhestandsgeld setze begrifflich das Einigsein der Vertragspartner über das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben voraus. Geringfügige Beschäftigungen oder Tätigkeiten seien insoweit unschädlich. Erst in seinem Urteil vom (- B 12 R 10/07 R - Breith 2009, 631), das im Übrigen konkret die Rentenversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes nach dem Ü-VersTV-Lotsen betraf, hat sich das Bundessozialgericht zur Auslegung des § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI, dh. zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen für das Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen eine Beitragspflicht zur Rentenversicherung besteht. Damit stellte sich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages die Rechtslage im Hinblick auf die Versicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes als schwierig und noch nicht abschließend geklärt dar; darüber hinaus war offen, ob der Kläger überhaupt Übergangsversorgung in Anspruch nehmen und in dem Fall endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden würde. Vor diesem Hintergrund bestand für die Beklagte, die zudem auf dem Standpunkt stand, mit den im Ü-VersTV-Lotsen enthaltenen Regelungen die Voraussetzungen für die Sozialversicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes geschaffen zu haben, keine Veranlassung, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
B. Der zulässige Hilfsantrag ist unbegründet, da der Kläger aus den unter A dargestellten Gründen die fehlende Versicherungspflichtigkeit des Übergangsgeldes hinnehmen muss.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
MAAAD-48096