BFH Beschluss v. - IV B 137/08

Keine Betriebsaufgabe eines landwirtschaftlichen Betriebs bei Nebenerwerbslandwirt; Voraussetzungen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts

Gesetze: EStG § 13 Abs. 7, EStG § 14, EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, EStG § 16 Abs. 3, FGO § 76 Abs. 1, FGO § 96 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Revision kann nicht wegen eines Verfahrensmangels zugelassen werden.

2 1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. In der Begründung der Beschwerde müssen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dazu müssen die Tatsachen genau angegeben werden, die den Mangel ergeben (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 48, m.w.N.).

3 a) Ein Verstoß gegen den Akteninhalt liegt nicht vor.

4 aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO entscheidet das Finanzgericht (FG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dahin auszulegen, dass neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch der gesamte Akteninhalt vollständig zu berücksichtigen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV B 96/98, BFH/NV 2000, 70; vom IV B 116/04, BFH/NV 2006, 2270, unter 2. der Gründe).

5 Die Geltendmachung eines solchen Verfahrensmangels erfordert die genaue Bezeichnung des nicht berücksichtigten Akteninhalts sowie die Darlegung, inwieweit dessen Berücksichtigung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (, BFH/NV 2006, 85). Angeblich widersprüchliche Urteilsbegründungen oder fehlerhafte Sachverhaltswürdigungen sind dagegen —wenn sie vorliegen— materiell-rechtliche Fehler und keine Verfahrensfehler (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2270, unter 2. der Gründe).

6 bb) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) meint, das FG habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) selbst auf den die Feststellung getroffen habe, dass der Betrieb 1988 eingestellt worden sei. Aus einem in den Akten befindlichen Schreiben vom ergebe sich des Weiteren, dass der ursprüngliche Betrieb bereits im Jahr 1980 durch den Kläger und seine verstorbene Ehefrau eingestellt worden sei; der Kläger selbst sei nur noch im Nebenerwerb tätig gewesen. Das FG habe deshalb bei der Annahme, der Betrieb sei zum Zeitpunkt der Veräußerung des streitgegenständlichen Grundstücks () noch fortgeführt worden, wesentliche Teile der Akte nicht berücksichtigt bzw. nicht hinreichend gewürdigt.

7 cc) Daraus ergibt sich schon deshalb kein Verstoß gegen den Inhalt der Akten, weil es auf die behauptete Nutzungsänderung —durch die Weiterführung des Betriebs im Nebenerwerb ab 1981 bzw. die Einstellung der Selbstbewirtschaftung 1988— nicht ankommt. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung, auf die das FG Bezug genommen hat, entschieden, dass bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstücke bei einer Nutzungsänderung, durch die sie nicht zu notwendigem Privatvermögen werden, ohne ausdrückliche Entnahmehandlung landwirtschaftliches Betriebsvermögen bleiben (u.a. , BFH/NV 2005, 334, m.w.N.). Es bedarf einer unmissverständlichen, von einem entsprechenden Entnahmewillen getragenen Entnahmehandlung; daran fehlt es, wenn der Steuerpflichtige nicht die sich aus einer Entnahme ergebende Folgerung zieht, indem er, wie vom Einkommensteuergesetz gefordert, den Gewinn aus der Entnahme von Grund und Boden erklärt (u.a. , BFH/NV 2002, 1135).

8 dd) Des Weiteren macht der Kläger geltend, das FG habe seine im Eilverfahren ergangene Entscheidung (Beschluss vom ) nicht berücksichtigt, worin es festgestellt habe, dass das FA nachweisen müsse, dass das streitgegenständliche Grundstück dem Betriebsvermögen des Klägers zuzurechnen sei bzw. seine Eigenschaft als Betriebsvermögen nicht verloren habe.

9 ee) Nach Aktenlage trifft es nicht zu, dass das FG die im Eilverfahren getroffene Entscheidung nicht berücksichtigt hat. Es hat vielmehr die Akte beigezogen und ausdrücklich auf die Entscheidung Bezug genommen. Auf das Ergebnis jener Entscheidung kommt es im Übrigen schon deshalb nicht an, weil bereits ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zu einer Aussetzung der Vollziehung führen können und die abschließende Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt.

10 b) Einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.

11 aa) Eine schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung verstoßen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), erfordert u.a. die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG hätte erheben müssen, wo Tatsachen vorgetragen waren, aus denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die zusätzliche Erhebung von Beweisen aller Voraussicht nach gehabt hätte und inwieweit die unterlassene Beweiserhebung oder Ermittlungsmaßnahme zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können (vgl. , BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819, unter II.1. der Gründe; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 70, m.w.N.). Außerdem muss vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 70 i.V.m. Rz 67, m.w.N.).

12 bb) Soweit der Kläger meint, das FG habe Ermittlungen zur Fortführung des Betriebs im Nebenerwerb bzw. zu seiner Einstellung treffen müssen, kommt es darauf für die Frage, ob das streitgegenständliche Grundstück Betriebsvermögen geblieben ist, nicht an (s. oben unter 1.a cc). Im Übrigen lässt sich der Erklärung zur Tierhaltung für den Kläger und seine verstorbene Ehefrau vom —auf die sich der Kläger vorliegend beruft— entnehmen, dass zwar die Tierhaltung eingestellt und keine landwirtschaftlichen Maschinen mehr vorhanden waren, aber weiterhin 0,37 ha bewirtschaftet wurden und offenbar (nur) das Haus ins Privatvermögen überführt worden ist. Bei dieser Sachlage ist nicht erkennbar, warum sich dem FG weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.

13 Davon abgesehen hätte der anwaltlich vertretene Kläger eine nach seiner Auffassung unterlassene Sachaufklärung in der mündlichen Verhandlung vom rügen können und müssen. Denn die Frage, ob das streitgegenständliche Grundstück weiterhin Betriebsvermögen war, bildete den Kern des Rechtsstreits.

14 c) Ein Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das FG die zwischen dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau bestehende Errungenschaftsgemeinschaft als Mitunternehmerschaft angesehen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers entspricht die Errungenschaftsgemeinschaft nicht dem Güterstand der Gütertrennung; sie ist der allgemeinen Gütergemeinschaft ähnlich (vgl. , BFHE 131, 497, BStBl II 1981, 63, unter 1.b der Gründe). Abgesehen davon, dass es sich insoweit um eine materiell-rechtliche Frage handelt, hat sich das FG —anders als in der Beschwerdebegründung behauptet— im angefochtenen Urteil mit dieser Frage auseinandergesetzt (unter 2. der Gründe) und seine Auffassung zu Recht auf das (juris) gestützt. Zwar betrifft dieses Urteil einen Gewerbebetrieb. Für landwirtschaftliche Betriebe kann jedoch nichts anderes gelten (vgl. , BFH/NV 2002, 1019; , BFHE 224, 490, BStBl II 2009, 989, zu den Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft bei Landwirts-Ehegatten).

15 2. Inhaltlich wendet sich der Kläger gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Damit macht er jedoch keinen Verfahrensfehler, sondern die unzutreffende Anwendung materiellen Rechts geltend, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 132/98, BFH/NV 1999, 510, und in BFH/NV 2000, 70). Denn sowohl die Sachverhalts- und Beweiswürdigung als auch die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Beweislastverteilung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. , BFH/NV 2000, 874).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1850 Nr. 10
RAAAD-48064