BFH Urteil v. - IX R 35/09

Neufestsetzung der Eigenheimzulage, wenn zuvor ein Änderungsantrag nach § 173 Abs. 1 AO fehlerhaft abgelehnt wurde

Leitsatz

Als Festsetzung im Sinne von § 11 Abs. 5 EigZulG ist auch die Ablehnung eines Antrags auf Steuervergütung anzusehen.
Eine höhere Festsetzung von Eigenheimzulage gemäß § 11 Abs. 5 EigZulG ist auch nach fehlerhafter Ablehnung eines Änderungsantrags nach § 173 Abs. 1 AO möglich. Dieser Fehler muss dem Finanzamt nicht nachträglich, also nach der letzten Festsetzung bekannt geworden sein. Es reicht aus, wenn er bei der Ablehnung der höheren Festsetzung bereits bekannt war.
Der Neufestsetzung steht auch nicht die Zurücknahme des Einspruchs gegen die Ablehnung der Änderung entgegen. Dadurch wird lediglich der Ablehnungsbescheid bestandskräftig, es entfällt nicht zugleich die Kenntnis von der fehlerhaften Festsetzung der Eigenheimzulage.

Gesetze: EigZulG § 11 Abs. 5, EigZulG § 15 Abs. 1, AO § 155, AO § 173 Abs. 1, AO § 347, AO § 362

Instanzenzug: EZ (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben im Jahr 2000 und nutzen seitdem selbst eine Eigentumswohnung in einem ehemals als Studentenwohnheim ohne abgeschlossene Wohnungen errichteten und in den Jahren 1999 und 2000 vollständig umgebauten und in Eigentumswohnungen aufgeteilten Gebäude. Sie beantragten, Eigenheimzulage ab dem Jahr 2000 festzusetzen. Ausgehend von einem Altobjekt i.S. von § 9 Abs. 2 Satz 2 des Eigenheimzulagengesetzes i.d.F. bis 2003 (EigZulG) setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit Bescheid vom Eigenheimzulage für die Jahre 2000 bis 2007 in Höhe von jährlich 5.500 DM fest. Der Betrag umfasst den Fördergrundbetrag von 2.500 DM und zwei Kinderzulagen von jeweils 1.500 DM.

2 Nachdem sie erfahren hatten, dass es sich bei ihrer Wohnung um ein neu hergestelltes Objekt i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG handele, beantragten die Kläger im Mai 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO), die Festsetzung der Eigenheimzulage ab dem Erstjahr zu ändern. Das FA lehnte den Änderungsantrag am ab. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein, der zunächst im Hinblick auf anhängige Klageverfahren von Miteigentümern ruhte. Nachdem einige Miteigentümer ihre Klage im Anschluss an einen Erörterungstermin zurückgenommen hatten, nahmen die Kläger den Einspruch zurück. Ein weiterer Miteigentümer war schließlich im Revisionsverfahren erfolgreich. Der erkennende Senat gab im Urteil vom IX R 19/05 (BFHE 215, 467, BStBl II 2007, 693) der Klage statt, weil der Umbau zu einer neuen Wohnung geführt habe. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung beantragten die Kläger im Mai 2007 Eigenheimzulage für die neu hergestellte Wohnung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG.

3 Das FA setzte mit Bescheid vom im Wege einer fehlerbeseitigenden Neufestsetzung nach § 11 Abs. 5 EigZulG die Eigenheimzulage für 2007 auf 8.000 DM —4.090,34 €— fest (statt 2.500 DM Fördergrundbetrag nunmehr 5.000 DM) und lehnte den weitergehenden Antrag für die Jahre 2000 bis 2006 ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Jahre 2000 und 2001 seien bereits festsetzungsverjährt. Für die Jahre 2002 bis 2006 fehle es an einer Korrekturnorm. Dem FA sei der Fehler erst durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) bekannt geworden.

4 Mit der Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren für die Jahre 2002 bis 2006 weiter. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1627 veröffentlichten Urteil verneinte es die Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 EigZulG: Zwar sei der Fehler dem FA schon bei dem Änderungsantrag im Jahr 2002 bekannt gewesen. Denn die Kläger hätten bereits damals auf die fehlerhafte Festsetzung in ihrem konkreten Fall hingewiesen. Die Rücknahme des Einspruchs habe jedoch dazu geführt, dass eine Neufestsetzung für die Jahre vor 2007 nicht möglich sei. Unabhängig von den Wirkungen der bestandskräftigen Ablehnung der beantragten Neufestsetzung habe das FA nach der Rücknahme des Einspruchs keine Kenntnis (mehr) von der fehlerhaften Festsetzung.

5 Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 11 Abs. 5 EigZulG und beantragen,

das FA unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, in Abänderung des Bescheides vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom eine Neufestsetzung der den Klägern erstmals mit Bescheid vom gewährten Eigenheimzulage für die Jahre 2002 bis einschließlich 2006 in der Gestalt vorzunehmen, dass diesen für den vorbezeichneten Zeitraum auch die erhöhte Grundförderung für eine neu hergestellte Wohnung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG gewährt wird.

6 Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7 II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

8 1. Die Kläger haben Anspruch auf ungekürzte Eigenheimzulage für die Anschaffung ihrer Eigentumswohnung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Satz 1 EigZulG) in Höhe eines jährlichen Fördergrundbetrages in Höhe von 5 % der Bemessungsgrundlage, höchstens 5.000 DM (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG; vgl. dazu eingehend BFH-Urteil in BFHE 215, 467, BStBl II 2007, 693). Dementsprechend ist das FA verpflichtet, die Eigenheimzulage antragsgemäß ab dem Jahr 2002 neu festzusetzen.

9 a) Nach § 11 Abs. 5 EigZulG können materielle Fehler (§ 177 Abs. 3 AO) der letzten Festsetzung durch Neufestsetzung oder durch Aufhebung der Festsetzung beseitigt werden. Wirkt sich die Neufestsetzung zugunsten des Anspruchsberechtigten aus, wird Eigenheimzulage mit Wirkung ab dem Kalenderjahr neu festgesetzt, in dem der Fehler dem FA bekannt wird (§ 11 Abs. 5 Satz 2 EigZulG).

10 Diese Voraussetzungen hat das FG im Streitfall unzutreffend verneint.

11 aa) Die letzte Festsetzung liegt hier in der Ablehnung des Änderungsantrags vom . Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 EigZulG sind die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden. Auf die Festsetzung einer Steuervergütung sind nach § 155 Abs. 4 AO die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften anzuwenden. Ein Steuerbescheid liegt auch in der Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung, § 155 Abs. 1 Satz 3 AO.

12 Das bedeutet: Als Festsetzung i.S. von § 11 Abs. 5 EigZulG ist auch die Ablehnung eines Antrags auf Steuervergütung anzusehen (§ 155 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 AO). Der Antrag der Kläger auf Änderung der ursprünglichen Festsetzung der Eigenheimzulage aus dem Jahr 2002 war auf eine höhere Festsetzung der Eigenheimzulage in Höhe des ungekürzten Fördergrundbetrags gerichtet. Damit liegt in der Ablehnung des Änderungsantrags durch das FA vom zugleich die Ablehnung des Antrags auf (höhere) Festsetzung von Eigenheimzulage und deshalb eine Festsetzung nach § 11 Abs. 5 EigZulG, und zwar von der Antragstellung im Jahr 2007 aus gesehen die letzte. Diese Festsetzung war, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, fehlerhaft (vgl. dazu das BFH-Urteil in BFHE 215, 467, BStBl II 2007, 693).

13 bb) Nach den Feststellungen des FG war der Fehler, um den es hier geht, dem FA spätestens im Jahr 2002 bekannt. Es erfuhr jedenfalls durch den Änderungsantrag der Kläger, dass es sich bei der Eigentumswohnung um ein neu hergestelltes Objekt handelte, weil durch die Baumaßnahmen Wohnungen erstmals neu entstanden waren und mithin auch die Eigentumswohnung der Kläger neu i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG war.

14 Dieser Fehler muss dem FA nicht nachträglich, also nach der letzten Festsetzung bekannt geworden sein. Es reicht aus, wenn er bei der Ablehnung der höheren Festsetzung bereits bekannt war. Denn das Gesetz bezieht sich in § 11 Abs. 5 Satz 2 EigZulG —anders als in § 11 Abs. 4 EigZulG und § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO— nicht auf „nachträglich” bekannt werdende und damit nicht notwendig auf neue Umstände (vgl. , BFH/NV 2004, 1221; zu § 22 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes , BFH/NV 1988, 690).

15 b) Entgegen der Auffassung des FG ist für die Entscheidung unerheblich, dass die Kläger ihren Einspruch gegen die Ablehnung der Änderung zurückgenommen haben. Dadurch wird der Ablehnungsbescheid lediglich bestandskräftig - es entfällt aber nicht zugleich die Kenntnis von der fehlerhaften Festsetzung der Eigenheimzulage. § 11 Abs. 5 EigZulG durchbricht diese Bestandskraft nämlich auch rückwirkend ab dem Kalenderjahr, in dem der Fehler dem FA bekannt wird. Derartige Fehler wirken sich —bei einer Neufestsetzung zugunsten des Anspruchsberechtigten— entgegen der in der Vorentscheidung geäußerten Auffassung also nicht nur in der Zukunft aus. Darin unterscheidet sich die —materielle Fehler beseitigende— Neufestsetzung von Eigenheimzulage, um die es hier geht, von Anpassungen anderer Dauerverwaltungsakte über Steuervergütungen im Einkommensteuerrecht, z.B. im Kindergeldrecht (vgl. dazu und zum Umfang der Bestandskraft einer Ablehnung von Kindergeld , BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89). Dem entspricht es, wenn der Anspruchsberechtigte Eigenheimzulage nach § 12 Abs. 1 EigZulG unbefristet und damit —in den Grenzen der Festsetzungsfrist— auch für zurückliegende Zeiträume beantragen kann (vgl. dazu auch Wacker, EigZulG, 3. Aufl., § 12 Rz 2 mit Nachweisen aus der Entstehungsgeschichte).

16 2. Da das angefochtene Urteil diesen Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA wird verpflichtet, die Eigenheimzulage antragsgemäß auf der Basis des ungekürzten Fördergrundbetrages (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EigZulG) für die Jahre ab 2002 neu festzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1621 Nr. 9
HFR 2010 S. 1216 Nr. 11
EAAAD-47468