Nichtannahmebeschluss: Keine rückwirkende Einbeziehung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Anwendungsbereich des § 46 SGB 6 (Gewährung von Hinterbliebenenrente) in der bis geltenden Fassung - Unerreichbarkeit des verfolgten Begehrens selbst bei Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 93a Abs 2 Buchst a BVerfGG, § 93a Abs 2 Buchst b BVerfGG, § 46 SGB 6 vom , § 46 SGB 6 vom , § 46 Abs 4 SGB 6 vom
Instanzenzug: Az: B 4 RA 14/05 R Urteilvorgehend SG Fulda Az: S 2 RA 199/03 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 Beschwerdekammerbeschlussnachgehend Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Az: 68919/10 Urteil
Gründe
1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtgewährung von Hinterbliebenenrente an einen überlebenden eingetragenen Lebenspartner aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vor dem .
I.
2 Der Beschwerdeführer schloss am eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Das andere Mitglied der Lebenspartnerschaft gilt als am verstorben. Der Beschwerdeführer beantragte darauf hin die Gewährung einer Hinterbliebenenrente bei dem für den verstorbenen Versicherten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, der den Antrag ablehnte. Voraussetzung für die Zahlung einer Hinterbliebenenrente sei unter anderem das Bestehen einer gültigen Ehe zur Zeit des Todes des Versicherten. Eine eingetragene Lebenspartnerschaft erfülle diese Voraussetzung nicht.
3 Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Klage hiergegen wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Der Beschwerdeführer legte die dagegen zugelassene Sprungrevision ein.
4 Während des Revisionsverfahrens stellte der Gesetzgeber mit Wirkung zum durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom (BGBl I S. 3396) die hinterbliebenen Lebenspartner bezüglich der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung dem verwitweten Ehegatten durch die Einfügung des § 46 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) gleich. Der Rentenversicherungsträger erkannte darauf hin den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch für die Zeit ab dem an. Der Beschwerdeführer nahm dieses Teilanerkenntnis an, führte den Rechtsstreit aber für die Zeit vom bis zum weiter.
5 Das Bundessozialgericht wies die Revision zurück. Für den noch streitigen Zeitraum habe der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Die bis zum geltende Fassung des § 46 SGB VI erfasse nur Ehegatten, nicht aber die Mitglieder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Ausschluss von eingetragenen Lebenspartnern aus dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Rentenversicherung sei nicht verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 (BVerfGE 105, 313 ff.) festgestellt, dass das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften : Lebenspartnerschaften vom in der Fassung des Gesetzes vom mit dem Grundgesetz vereinbar sei. In einem derartigen Verfahren der abstrakten Normenkontrolle prüfe das Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des ganzen Gesetzes und jeder einzelnen seiner Bestimmungen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten. Somit bedeute das Urteil vom 17. Juli 2002, dass das Gesetz mit dem Grundgesetz, und zwar auch mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, vereinbar sei. Somit stehe fest, dass die Nichteinbeziehung eingetragener Lebenspartnerschaften in die gesetzliche Hinterbliebenenversorgung während des Zeitraums bis zum nicht verfassungswidrig sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe nicht entschieden, dass der Bund verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen wäre, eine Hinterbliebenenrente auch für eingetragene Lebenspartnerschaft einzuführen. Vielmehr habe es ausdrücklich bestätigt, dass der Bund die Ehe gegenüber anderen Lebensformen begünstigen dürfe. Daran sei das Bundessozialgericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden.
6 Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen und durch § 46 SGB VI in der bis zum geltenden Fassung. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm sei durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom nicht entschieden worden. Die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen sei, eingetragene Lebenspartnerschaften in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, sei keine Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften : Lebenspartnerschaften, sondern der Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Hinterbliebenenversorgung. Im Übrigen unterliege der Gesetzgeber bei der Regelung der Hinterbliebenenversorgung nicht bloß einem Willkürverbot, sondern einer strengen Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar sei der Gesetzgeber aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG berechtigt, Ehepaare gegenüber eingetragenen Lebenspartnerschaften zu begünstigen. Jedoch wäre neben dem völligen Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften von der Hinterbliebenenrente auch eine abgestufte Regelung, etwa mit einem unterschiedlichen Rentenartfaktor, möglich gewesen.
II.
7 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
8 1. Die Annahmevoraussetzung des § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG liegt nicht vor, weil der aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Für nicht mehr geltendes Recht besteht in der Regel kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse, seine Verfassungsmäßigkeit auch noch nach seinem Außerkrafttreten zu klären (vgl. BVerfGE 91, 186 <200>; BVerfGK 7, 283 <295>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1474/88 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1872/94 -, NJW 1998, S. 2043 <2044>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1478/97 -, NJW 1998, S. 2043; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1313/93 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. November 1999 - 2 BvR 1167/96 -, NJW 2000, S. 797 <798>).
9 Dies ist auch hier der Fall, weil § 46 SGB VI in der vom Beschwerdeführer angegriffenen Fassung seit dem nicht mehr in Kraft, sondern inzwischen durch § 46 Abs. 4 SGB VI ergänzt worden ist.
10 2. Auch die Annahmevoraussetzung des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG ist nicht erfüllt. Die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt, wenn der Beschwerdeführer sein vor den Fachgerichten verfolgtes Begehren nicht erreichen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 119, 292 <301 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 290/10 u. a. -, juris, Rn. 24).
11 Dies ist hier der Fall, weil der Beschwerdeführer mit seinem zuletzt noch verfolgten Begehren - der Gewährung von Hinterbliebenenrente für die Zeit vor dem - keinen Erfolg mehr haben kann. Dabei kann dahinstehen, ob § 46 SGB VI in der bis zum geltenden Fassung mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG, vereinbar war. Selbst wenn man die Verfassungswidrigkeit der Norm unterstellt, könnte dies nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer für die Zeit vor dem Hinterbliebenenrente erhält. Das Bundesverfassungsgericht könnte allenfalls die Verfassungswidrigkeit von § 46 SGB VI in der bis zum geltenden Fassung feststellen, ohne den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung zu verpflichten.
12 a) Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, so ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG). Beruht die Verfassungswidrigkeit ausschließlich auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, so ist jedoch die Unvereinbarkeit die Regelfolge, während die Nichtigkeit die Ausnahme darstellt (BVerfGE 110, 94 <138>). Die bloße Unvereinbarkeitserklärung erfolgt namentlich dann, wenn eine Personen- oder Fallgruppe in eine begünstigende Regelung nicht einbezogen worden ist (vgl. BVerfGE 92, 158 <186>; 101, 397 <409>).
13 So verhält es sich hier, weil in § 46 SGB VI in der bis zum geltenden Fassung eingetragene Lebenspartnerschaften nicht einbezogen waren. In diesem Fall würde die Nichtigkeitserklärung die Rechtsgrundlage für die gewährte Begünstigung insgesamt entfallen lassen. Es würde nicht zuletzt an einer Ansprüche des Beschwerdeführers begründenden Norm fehlen (vgl. BVerfGE 18, 288 <301>) und damit eine Rechtslage eintreten, für dessen Erreichen der Beschwerdeführer kein Rechtsschutzbedürfnis hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1997/08 -, juris, Rn. 8).
14 Das Bundesverfassungsgericht wäre daher - einen Verfassungsverstoß im vorliegenden Fall unterstellt - darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit des § 46 SGB VI in der bis zum geltenden Fassung mit dem Grundgesetz festzustellen und dem Gesetzgeber die Neuregelung der Norm aufzuerlegen (vgl. BVerfGE 18, 288 <301>; 22, 349 <360 f.>). Liegt die Verfassungswidrigkeit in einem gesetzgeberischen Unterlassen, ist grundsätzlich nur eine Unvereinbarkeitserklärung möglich (vgl. BVerfGE 116, 96 <135>).
15 b) Im vorliegenden Fall käme jedoch ein Neuregelungsauftrag an den Gesetzgeber allenfalls für die Zeit ab der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Betracht und damit für einen Zeitraum, der zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens nicht mehr streitig ist.
16 Eine Pflicht des Gesetzgebers zur rückwirkenden Beseitigung eines mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Rechtszustandes hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem in Fällen verneint, in denen die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt war (vgl. BVerfGE 84, 239 <284>; 120, 125 <168>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom - 1 BvL 1/09 u.a. -, NJW 2010, S. 505 <518>, Rn. 217).
17 So verhält es sich hier. Denn bislang ist verfassungsrechtlich ungeklärt, ob der Gesetzgeber verpflichtet gewesen war, die Hinterbliebenenversorgung der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit vor dem auf eingetragene Lebenspartnerschaften zu erstrecken. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe in der betrieblichen Altersversorgung bezieht sich nur auf den Zeitraum seit dem (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1164/07 -, NJW 2010, S. 1439 ff.). Einer Klärung bedarf dies angesichts des zum in Kraft getretenen § 46 Abs. 4 SGB VI indes nicht mehr. Aus dem gleichen Grund ginge auch ein Neuregelungsauftrag an den Gesetzgeber ins Leere.
18 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
19 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100611.1bvr017006
Fundstelle(n):
GAAAD-47343