BSG Urteil v. - B 7 AL 43/08 R

sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Entscheidung durch Einzelrichter - Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters - Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung - besondere rechtliche Schwierigkeit der Sache

Gesetze: § 33 S 1 SGG, § 105 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Instanzenzug: SG Chemnitz Az: S 31 AL 234/06 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 3 AL 125/07 Urteil

Tatbestand

1Im Streit ist die Minderung des an den Kläger in der Zeit ab für die Dauer von 65 Tagen gezahlten Arbeitslosengelds (Alg) um 16,17 Euro täglich wegen einer verspäteten Meldung als arbeitsuchend.

2Der Kläger bezog bis zum Alg. Bereits am hatte er der Beklagten angezeigt, dass er am eine unbefristete Beschäftigung aufnehmen werde. Tatsächlich war das Arbeitsverhältnis aber - was der Kläger erst später erkannt haben will - bis zum befristet. Am beantragte er unter Vorlage des Arbeitsvertrags die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe für seine Tätigkeit. Die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Befristung vermerkte die Beklagte in ihrer Datenbank. Auf den Antrag des Klägers vom bewilligte sie Alg ab mit der Maßgabe, dass sich der Anspruch wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung um 16,17 Euro täglich mindere (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).

3Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe die ihm nach § 37b Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) obliegende Pflicht zur unverzüglichen Meldung als arbeitsuchend verletzt (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch eine Entscheidung des Berichterstatters zurückgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe spätestens am Kenntnis von der Befristung des Arbeitsverhältnisses gehabt; seine gegenteilige Behauptung sei nicht glaubhaft. Er hätte sich deshalb unverzüglich arbeitsuchend melden müssen. Dieser Obliegenheit sei er fahrlässig nicht nachgekommen. Unerheblich sei, dass die Beklagte von der Befristung des Arbeitsverhältnisses auf Grund des Antrags auf Fahrkostenhilfe Kenntnis erlangt habe.

4Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 37b Satz 1 und 2 SGB III. Er ist insbesondere der Ansicht, eine (frühere) Arbeitsuchendmeldung sei in Hinblick auf die Vorlage des befristeten Arbeitsvertrags am nicht mehr erforderlich gewesen.

5Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sächsischen und des SG Chemnitz vom sowie den Bescheid der Beklagten vom 12./ in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben.

6Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Gründe

8Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nur durch den Berichtserstatter ist regelmäßig ein auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu beachtender Verfahrensfehler; denn das LSG hat die Sache nicht in der vorschriftsmäßigen Besetzung entschieden (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 13).

9Nach § 33 Satz 1 SGG werden die Senate des LSG jeweils in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter an der Entscheidung zählt zu den tragenden Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens (BSGE 7, 230, 234 = SozR Nr 1 zu § 108 SGG; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 14). Abweichungen von diesem Grundsatz sind daher nur in Ausnahmefällen gestattet. Einen solchen regelt § 155 Abs 3, 4 SGG, wonach der Vorsitzende oder Berichterstatter eine (auch verfahrensabschließende) Entscheidung anstelle des Senats ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter treffen kann, wenn die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.

10Das dem Vorsitzenden/Berichterstatter hiernach eingeräumte Ermessen ist in gleicher Weise wie bei einer Entscheidung des erstinstanzlichen Richters - ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) in der Weise begrenzt, dass es sich um eine Sache ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art handeln muss (angedeutet in BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 45 f; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 22). Ist die Rechtssache mit besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden, muss der konsertierte Einzelrichter eine Entscheidung des Senats herbeiführen.

11Von besonderen rechtlichen Schwierigkeiten ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Einzelrichter einer zu entscheidenden Rechtsfrage - subjektiv - grundsätzliche Bedeutung beimisst (BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 105 RdNr 6; Roller in Lüdtke, SGG, 3. Aufl 2009, § 105 RdNr 2). Will er mithin die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulassen, weist die Sache regelmäßig "besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art" auf und schließt eine Entscheidung als Einzelrichter aus (BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 17). So liegt der Fall hier, wobei der Senat indes die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Prüfung durch das LSG zum Erfordernis einer Arbeitsuchendmeldung trotz Vorlage des befristeten Arbeitsvertrags nicht in Zweifel zieht.

12Eine von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zugelassene Ausnahme liegt nicht vor. Das Urteil des LSG bezieht sich weder auf eine ständige Rechtsprechung des eigenen Senats (vgl BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2 RdNr 22) noch auf eine vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger Senatsbesetzung getroffene Leitentscheidung oder bereits beim BSG anhängige Parallelfälle (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11) noch ist das Einverständnis des Klägers mit der Entscheidung durch den Einzelrichter auch für den Fall der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache protokolliert (hierzu: - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris, RdNr 14).

13Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:180510UB7AL4308R0

Fundstelle(n):
AAAAD-46039