Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug
Leitsatz
1. Gemeinschaftrechtliche Unbedenklichkeit der innerstaatlichen Abweichung vom Normalsatz der Mehrwertsteuer bei Dienstleistungen von Bestattungsinstituten; Europäische Kommission gegen Französische Republik1. Art. 98 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten abweichend von dem Grundsatz, dass der Normalsatz gilt, die Möglichkeit ein, einen oder zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Nach dieser Bestimmung können die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III dieser Richtlinie genannten Kategorien angewandt werden.
2. Ein Mitgliedstaat verletzt seine Pflichten aus den Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) nicht dadurch, dass er nicht auf alle Dienstleistungen von Bestattungsunternehmen, einschließlich der Lieferung von damit im Zusammenhang stehenden Gegenständen, einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz anwendet.
Instanzenzug:
Gründe
Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus den Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) verstoßen hat, dass sie nicht auf alle Dienstleistungen von Bestattungsunternehmen, einschließlich der Lieferung von damit im Zusammenhang stehenden Gegenständen, einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz angewandt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Durch die Richtlinie 2006/112 ist die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) mit Wirkung zum aufgehoben und ersetzt worden.
Art. 96 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie entspricht, lautet:
"Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist."
Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie entspricht, bestimmt:
"(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
..."
Anhang III der Richtlinie 2006/112, der Anhang H der Sechsten Richtlinie entspricht, enthält eine Liste von Tätigkeiten, u. a. die beiden folgenden Kategorien:
"5. Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks;
...
16. Dienstleistungen von Bestattungsinstituten und Krematorien, einschließlich der Lieferung von damit im Zusammenhang stehenden Gegenständen".
Nationales Recht
Art. L. 2223-19 des Code général des collectivités territoriales (Gesetzbuch über die Gebietskörperschaften) definiert den externen Dienst von Bestattungsunternehmen:
"Der externe Dienst von Bestattungsunternehmen ist eine öffentliche Aufgabe und umfasst
1. die Beförderung von Leichnamen vor und nach der Einsargung;
2. die Organisation von Trauerfeierlichkeiten;
3. Thanatopraxie;
4. die Lieferung von Bezügen, Särgen samt Zubehör (innen und außen) sowie Graburnen;
5. aufgehoben;
6. die Verwaltung und Benutzung von Aufbahrungshallen;
7. die Stellung von Leichen- und Trauerwagen;
8. die Stellung bzw. Erbringung der für die Trauerfeierlichkeiten, Beerdigungen, Exhumierungen und Einäscherungen notwendigen Arbeitskräfte, Materialien und Dienstleistungen, mit Ausnahme von Gedenktäfelchen, religiösen Zeichen, Blumen, verschiedenen Druck- und Steinmetzarbeiten.
..."
Was den auf Bestattungsdienstleistungen anzuwendenden Mehrwertsteuersatz betrifft, sieht die ministerielle Weisung Nr. 68 vom (Bulletin officiel des impôts 3 C-3-05) vor:
"...
Dem ermäßigten Steuersatz unterliegt ausschließlich die von zugelassenen Dienstleistern mit speziell zu diesem Zweck ausgestatteten Sonderfahrzeugen durchgeführte Beförderung von Leichnamen vor und nach der Einsargung. Das gilt gegebenenfalls ebenso für die Beförderung von Personen in Begleitwagen oder in Wagen der Geistlichkeit.
Alle anderen Verrichtungen, die von diesen Dienstleistern im Rahmen des externen Dienstes vorgenommen werden können, oder andere damit verbundene Tätigkeiten unterliegen dem für sie geltenden Steuersatz, also grundsätzlich dem Normalsatz.
..."
Art. 279 des Code général des impôts (Steuergesetzbuch) bestimmt:
"Die Mehrwertsteuer wird zu einem ermäßigten Satz von 5,50 % erhoben auf:
...
bd) die Personenbeförderung;
..."
Vorverfahren
Mit Schreiben vom wies die Kommission die Französische Republik darauf hin, dass bestimmte nationale Vorschriften zum Mehrwertsteuersatz auf Dienstleistungen von Bestattungsinstituten dem Unionsrecht nicht zu entsprechen schienen, und forderte diesen Mitgliedstaat nach Art. 226 EG auf, sich dazu zu äußern.
In ihrer Antwort vom trug die Französische Republik vor, dass das nationale Mehrwertsteuerrecht mit dem Unionsrecht vereinbar sei.
Da die Kommission diese Antwort nicht für überzeugend hielt, richtete sie am eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Französische Republik, in der sie diese aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.
Mit Schreiben vom wiederholte die Französische Republik ihre Ansicht.
Da die Kommission von den Argumenten der Französischen Republik nicht überzeugt war, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Die Kommission macht geltend, dass alle Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von Bestattungsinstituten an die Familien der Verstorbenen für die Zwecke der Mehrwertsteuer einen einheitlichen komplexen Umsatz darstellten, der demnach mit einem einheitlichen Steuersatz belegt werden müsse.
Die Kommission stützt ihren Standpunkt auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein Umsatz, der in einer wirtschaftlich einheitlichen Leistung bestehe, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden dürfe (Urteile vom , CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr. 29, und vom , Levob Verzekeringen und OV Bank, C-41/04, Slg. 2005, I-9433, Randnr. 20). Die Organisation von Trauerfeierlichkeiten, mit der die Familie des Verstorbenen das Bestattungsinstitut beauftrage, sei durch ein Bündel von Leistungen gekennzeichnet, die als eine einheitliche komplexe Dienstleistung anzusehen seien, da sie für einen Durchschnittsverbraucher so eng miteinander verbunden seien, dass sie wirtschaftlich gesehen objektiv eine Einheit bildeten, deren Trennung künstlich wäre.
Die künstliche Trennung der Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug von der Gesamtheit der Dienstleistungen, die von den Bestattungsunternehmen erbracht würden, wie sie aus der ministeriellen Weisung Nr. 68 vom hervorgehe, führe dazu, dass die Französische Republik zwei verschiedene Mehrwertsteuersätze auf zwei Bestandteile einer Dienstleistung anwende, die als eine Einheit zu betrachten sei. Diese Dienstleistung unterliege somit einem anderen tatsächlichen Steuersatz, der einem durchschnittlichen Steuersatz entspreche, der zwangsläufig niedriger als der in Frankreich geltende Normalsatz sei. Darüber hinaus variiere dieser Steuersatz von Umsatz zu Umsatz, je nachdem, welche Bedeutung der Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug jeweils zukomme. Die französische Regelung verstoße daher gegen Art. 98 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112.
Zudem schaffe diese unterschiedliche Behandlung der Beförderung von Leichnamen komplexe und für den Verbraucher und die Konkurrenten undurchschaubare Vorgänge, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten und somit gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstießen, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liege.
Die Französische Republik trägt im Wesentlichen vor, dass die Rechtsprechung, auf die sich die Kommission stütze, im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei und dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Arten von Dienstleistungen, die in Anhang III der Richtlinie 2006/112 aufgeführt seien, die Möglichkeit hätten, den ermäßigten Satz selektiv anzuwenden.
Sie stützt ihre Ansicht auf die Urteile vom , Kommission/Frankreich (C-384/01, Slg. 2003, I-4395, Randnrn. 22 und 23), zur Lieferung von Elektrizität und Gas, und vom , Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (C-442/05, Slg. 2008, I-1817, Randnr. 39), zur Lieferung von Wasser. Aus diesen Urteilen gehe im Analogieschluss hervor, dass der Wortlaut der Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht zu der Auslegung zwinge, dass der ermäßigte Steuersatz nur dann angewandt werden könne, wenn er sich auf alle Aspekte der von Bestattungsinstituten erbrachten Dienstleistungen im Sinne des Anhangs III dieser Richtlinie beziehe, so dass eine selektive Anwendung eines ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen sei, sofern sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich ziehe.
Unter Hinweis auf die genannten Urteile macht sie geltend, dass die Mitgliedstaaten unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet werde, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liege, die Möglichkeit hätten, konkrete und spezifische Aspekte der von Bestattungsinstituten erbrachten Dienstleistungen mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall in Bezug auf die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug erfüllt. Erstens handele es sich um einen konkreten und spezifischen Aspekt der von Bestattungsinstituten erbrachten Dienstleistungen, was durch den Umstand bestätigt werde, dass dieser Umsatz Gegenstand einer speziellen Regelung sei. Zweitens verstoße die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur auf die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da diese Dienstleistung mit keiner anderen im Wettbewerb stehe.
Würdigung durch den Gerichtshof
Zur Auslegung der Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112
Nach Art. 96 der Richtlinie 2006/112 gilt der gleiche Mehrwertsteuersatz, der Normalsatz, für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen.
Art. 98 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten abweichend von dem Grundsatz, dass der Normalsatz gilt, die Möglichkeit ein, einen oder zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Nach dieser Bestimmung können die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III dieser Richtlinie genannten Kategorien angewandt werden.
Anhang III Nr. 16 der Richtlinie 2006/112 erlaubt die Anwendung eines ermäßigten Satzes auf Dienstleistungen von Bestattungsinstituten.
Die in diesen Bestimmungen festgelegten Regeln entsprechen im Wesentlichen denen in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 und 3 sowie in Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie.
Der Gerichtshof hat zu Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie festgestellt, dass der Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu der Auslegung zwingt, dass der ermäßigte Steuersatz nur dann angewandt werden kann, wenn er sich auf alle Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen im Sinne des Anhangs H dieser Richtlinie bezieht, so dass eine selektive Anwendung eines ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen ist, sofern sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht (vgl. Urteile Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, Randnr. 41, sowie entsprechend Kommission/Frankreich, Randnr. 27).
Daraus hat der Gerichtshof die Schlussfolgerung gezogen, dass die Mitgliedstaaten unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, die Möglichkeit haben, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen im Sinne des Anhangs H der Sechsten Richtlinie mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen (vgl. Urteil Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, Randnr. 43).
Da Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112 im Wesentlichen den Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie übernimmt, ist die Auslegung dieser Bestimmung durch den Gerichtshof auf Art. 98 Abs. 1 und 2 zu erstrecken.
Folglich kann ein Mitgliedstaat, wenn er beschlossen hat, von der ihm in Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112 eröffneten Möglichkeit, auf eine Kategorie von Dienstleistungen im Sinne von Anhang III dieser Richtlinie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, Gebrauch zu machen, unter der Voraussetzung, dass der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, die Anwendung dieses ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf konkrete und spezifische Aspekte dieser Kategorie von Dienstleistungen beschränken.
Diese den Mitgliedstaaten somit eingeräumte Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes ist u. a. dadurch gerechtfertigt, dass, da dieser Satz die Ausnahme ist, die Beschränkung seiner Anwendung auf konkrete und spezifische Aspekte in Einklang mit dem Grundsatz steht, dass Befreiungen oder Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 28).
Es ist jedoch zu betonen, dass die Wahrnehmung dieser Möglichkeit der zweifachen Bedingung unterliegt, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Dienstleistungen herausgelöst werden und dass zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Diese Bedingungen sollen sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit nur unter Umständen Gebrauch machen, die die einfache und korrekte Anwendung des gewählten ermäßigten Satzes gewährleisten und Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch verhindern.
Die Kommission ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie von der ihnen nach Art. 98 der Richtlinie 2006/112 eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Feststellung beachten müssen, ob ein aus mehreren Teilen bestehender Umsatz als einheitliche Leistung anzusehen ist, die einer einheitlichen steuerlichen Behandlung unterliegt, oder als zwei oder mehrere verschiedene Dienstleistungen, die anders behandelt werden können.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass diese Kriterien, wie etwa die Erwartung eines Durchschnittsverbrauchers, auf die sich die Kommission bezieht, das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems angesichts der Vielfalt gewerblicher Umsätze schützen sollen. Der Gerichtshof hat jedoch selbst eingeräumt, dass dieses Problem nicht erschöpfend behandelt werden kann (Urteil CPP, Randnr. 27) und betont, dass eine Gesamtbetrachtung erforderlich ist (Urteile CPP, Randnr. 28, Levob Verzekeringen und OV Bank, Randnr. 19, und vom , Part Service, C-425/06, Slg. 2008, I-897, Randnr. 54).
Daraus folgt, dass diese Kriterien sich zwar zur Anwendung im Einzelfall eignen, um u. a. zu verhindern, dass die vertragliche Gestaltung durch den Steuerpflichtigen und den Verbraucher zu einer künstlichen Aufspaltung eines Umsatzes, der wirtschaftlich betrachtet eine Einheit bildet, in mehrere steuerliche Umsätze führt, dass sie aber nicht als entscheidend für die Ausübung des Wertungsspielraums betrachtet werden können, der den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nach der Richtlinie 2006/112 belassen wurde. Die Wahrnehmung eines solchen Wertungsspielraums erfordert nämlich allgemeine und objektive Kriterien, wie sie in den genannten Urteilen Kommission/Frankreich und Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien entwickelt und in den Randnrn. 26, 28 und 30 des vorliegenden Urteils genannt worden sind.
Unter diesen Umständen ist es für die Entscheidung über die Begründetheit der vorliegenden Klage nicht notwendig, zu untersuchen, wie die Kommission meint, ob die von Bestattungsinstituten erbrachten Dienstleistungen von der Erwartung des Durchschnittsverbrauchers her gesehen als einheitlicher Umsatz zu betrachten sind. Es ist vielmehr zu prüfen, ob die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug, für welche die französische Regelung einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorsieht, einen konkreten und spezifischen Aspekt dieser Kategorie von Leistungen im Sinne von Anhang III Nr. 16 der Richtlinie 2006/112 darstellt, und gegebenenfalls zu prüfen, ob die Anwendung dieses Satzes gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt.
Zur Einstufung der Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug als "konkreten und spezifischen Aspekt" der Dienstleistungen, die von Bestattungsinstituten erbracht werden
Zur Beantwortung der Frage, ob die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungen darstellt, die von Bestattungsinstituten erbracht werden, ist zu prüfen, ob es sich um die Erbringung einer Dienstleistung handelt, die getrennt von den anderen Dienstleistungen dieser Unternehmen als solche bestimmbar ist.
Dazu ist festzustellen, dass sich die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug als Beförderungstätigkeit von anderen Leistungen unterscheidet, die von Bestattungsinstituten erbracht werden können, wie die Thanatopraxie, die Benutzung einer Aufbahrungshalle, die Organisation von Trauerfeierlichkeiten sowie Beerdigungen und Einäscherungen.
Sie unterscheidet sich auch von der Beförderung von Leichnamen durch Träger, da diese ihrer Natur nach auf kurze Strecken beschränkt ist, nicht notwendigerweise von einem Unternehmen durchgeführt wird, sondern auch Angehörigen des Verstorbenen anvertraut werden kann, und vor allem zeremoniellen Charakter hat.
Nach den Angaben der Französischen Republik, denen die Kommission nicht widersprochen hat, unterliegt die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug in Frankreich einer Sonderregelung, da sie nur von zugelassenen Dienstleistern mit speziell zu diesem Zweck ausgestatteten Sonderfahrzeugen durchgeführt werden darf. Wie die Französische Republik geltend macht, kommt es im Übrigen vor, dass die Beförderung von Leichnamen unabhängig von irgendeiner Leistung eines Bestattungsinstituts durch einen zugelassenen Transporteur erfolgt.
Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug einen konkreten und spezifischen Bestandteil der Dienstleistungen darstellt, die von Bestattungsinstituten erbracht werden.
Zur Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität
Zur Frage, ob die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. u. a. Urteile Kommission/Frankreich, Randnr. 25, und Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, Randnr. 42).
Wie in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, unterscheidet sich die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug auch von der Beförderung von Leichnamen durch Träger, so dass es sich nicht um gleichartige Dienstleistungen handelt, die miteinander in Wettbewerb stehen.
Weiter macht die Französische Republik - von der Kommission in diesem Punkt unwidersprochen - geltend, dass, wenn die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug getrennt, d. h. unabhängig von einer anderen Leistung im Rahmen einer Bestattung, von einem Bestattungsinstitut oder einem anderen zugelassenen Dienstleister wie einem Unternehmen für Krankentransporte durchgeführt wird, dieser Umsatz nach französischem Recht als Beförderung von Personen im Sinne von Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112 angesehen wird, die nach Art. 279 des Code général des impôts demselben ermäßigten Steuersatz unterliegt, als wenn sie im Rahmen eines Vertrags durchgeführt worden wäre, der die Erbringung einer größeren Palette von Dienstleistungen im Bereich der Bestattung umfasst. Demnach werden gleichartige Dienstleistungen der Beförderung von Leichnamen mit Fahrzeugen, die miteinander in Wettbewerb stehen können, hinsichtlich der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt.
Die Kommission trägt vor, dass die unterschiedliche Behandlung der Beförderung von Leichnamen mit Fahrzeugen zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte, da die Bestattungsinstitute versucht sein könnten, den Teil des Preises, den sie der Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug zuordneten, künstlich zu erhöhen, um den Preisanteil zu reduzieren, der auf andere Leistungen entfalle, die dem Normalsatz unterlägen.
Dazu ist festzustellen, dass die Kommission nicht ausgeführt hat, inwiefern eine solche Praxis, deren Bestehen sie nicht nachweist, zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Dienstleistern führen könnte. Außerdem wäre es, sollte eine solche Praxis, auf die die Kommission verwiesen hat, nachgewiesen werden können, Sache der zuständigen nationalen Behörden, denen es obliegt, die einfache und korrekte Anwendung des gewählten ermäßigten Satzes zu gewährleisten und Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch zu verhindern (vgl. Randnr. 30 des vorliegenden Urteils), auch zu prüfen, ob sie unter den Begriff der missbräuchlichen Praxis fällt, indem sie sich gegebenenfalls von den Kriterien leiten lassen, die zu diesem Zweck von der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt worden sind (vgl. u. a. Urteil vom , Halifax u. a., C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 74 bis 76).
Demnach hat die Kommission nicht dargetan, dass die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.
Nach alledem ist festzustellen, dass die französische Regelung, wonach die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt, den Anforderungen des Unionsrechts in diesem Bereich entspricht.
Unter diesen Umständen ist die Klage abzuweisen.
Kosten
Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Europäische Kommission trägt die Kosten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
ZAAAD-45037